NS-Zwangsarbeiter: Hanna Adelung, geb. 10.11.1901, gest. 1984, Hebamme seit September 1942, brachte fast alle Göttinger Zwangsarbeiterkinder auf die Welt

Anfänglich waren in Göttingen noch drei Hebammen - nämlich Käthe Lambach, Hermine Junge und Hanna Adelung - für die schwangeren Polinnen und Ostarbeiterinnen zuständig, ab September 1943 wurden aber alle schwangeren Polinnen und Ostarbeiterinnen nur noch von Hanna Adelung entbunden, die damit die einzige Hebamme war, die in der Baracke im Ludendorffring 20 b arbeitete. Die Eintragungen auf zwei Einwohnermeldekarten lassen vermuten, dass sie dabei von einzelnen "Ostarbeiterinnen" und Polinnen unterstützt wurde, die selbst im Ludendorffring 20 b entbunden hatten und dort nach und vor der Geburt als Pflegerinnen arbeiteten. Ob Hanna Adelung bei Bedarf auch medizinische Unterstützung durch einen Arzt erhielt, ist nicht bekannt. Der für die Baracke zuständige ukrainische Arzt Igor N. ist jedenfalls im Zusammenhang mit der Versorgung der Schwangeren nicht aktenkundig geworden.

Hanna Adelung, geb. 10. November 1901, war als junges Mädchen in die USA ausgewandert, wo sie ihren Mann kennenlernte, der ebenfalls Deutscher und kaufmännischer Angestellter bei einer amerikanischen Firma war. Auf den Rat seiner dem Nationalsozialismus sehr zugeneigten Mutter kehrte die Familie Ende 1938 nach Deutschland zurück. Nachdem der Ehemann dann 1939 überraschend gestorben war, war Hanna Adelung nicht nur gezwungen, in das Göttinger Haus ihrer Schwiegermutter einzuziehen (was ihr nach Aussage ihrer Tochter sehr schwer gefallen ist), sondern sie musste auch für sich und ihre beiden kleinen Kinder den Lebensunterhalt verdienen. Deshalb absolvierte sie eine Ausbildung zur Hebamme, die sie im September 1942 erfolgreich abschloss. Hanna Adelung begann ihre Tätigkeit als Hebamme daher erst mit über vierzig Jahren und musste erst allmählich beruflich Fuß fassen. Anders als die meisten ihre Kolleginnen arbeitete sie - gezwungenermaßen oder freiwillig? - nie fest an einer Klinik, sondern immer als freie Hebamme (dies allerdings gelegentlich auch an einer Privatklinik). Dies mag ein Grund gewesen sein, warum gerade Hanna Adelung, die im Übrigen auch noch eine amerikanische Staatsbürgerschaft hatte und daher selbst so eine Art Ausländerin war, für die Betreuung der osteuropäischen Schwangeren ausgewählt wurde. Denn eine Hebamme aus einer anderen Einrichtung ab- und sie damit den deutschen Frauen zu entziehen, das wäre 1942 undenkbar gewesen. Wählerisch konnte Hanna Adelung selbst natürlich auch nicht sein. Vielleicht aber hat sie die Betreuung der Polinnen und "Ostarbeiterinnen" sogar gern übernommen und nicht versucht, diese schwierige und anstrengende Aufgabe loszuwerden. Ihre durch den langen USA-Aufenthalt gewonnene innere Unabhängigkeit und ihre sogar für ihre kleinen Kinder deutlich spürbare Distanz zur politischen Haltung der Schwiegermutter lässt ebenso wie die Tatsache, dass sie auch noch nach dem Krieg gern und häufig von den auf dem Göttinger Schützenplatz ansässigen sog. Zigeunern in Anspruch genommen wurde, dies nicht unwahrscheinlich erscheinen.

Dass sie die Alleinzuständigkeit für alle Geburten von Polinnen und "Ostarbeiterinnen" dennoch manchmal überfordert hat, das zeigen die Eintragungen in den Geburtenbüchern des Standesamtes. Denn ihre Meldungen dort mussten in mehreren Fällen nachträglich geändert werden, weil sie entweder das Geschlecht des Kindes oder seinen Namen oder beides falsch angegeben hatte. Dabei handelte es sich eindeutig um Verwechslungen aufgrund der großen Zahl der von ihr erstatteten Meldungen und nicht um medizinisch bedingte Unklarheiten etwa bei der Geschlechtsbestimmung. Angesichts der Tatsache, dass Hanna Adelung allein 1944 211 Hausgeburten (die meisten, aber nicht alle von Zwangsarbeiterinnen) und zusätzlich auch noch 85 Geburten in der Göttinger Privatklinik Dr. Eichmann in der Wagnerstraße betreute, also durchschnittlich - wenn man die Sonntage weglässt - jeden Tag eine (wobei faktisch natürlich häufig täglich mehrere Geburten anfielen), lässt solche Flüchtigkeits- und Erinnerungsfehler verständlich erscheinen.

Hanna Adelung arbeitete in Göttingen bis weit in den 1970er Jahre hinein als Hebamme. Ihre auffällige Erscheinung - sie fuhr auch noch in hohem Alter mit einem Moped zu ihren Klientinnen - waren allen Göttingern vertraut und ihre burschikose, aber herzliche Art, die vielleicht auch den Göttinger Zwangsarbeiterinnen zugute gekommen ist, haben viele alte Göttinger noch in Erinnerung. Hanna Adelung starb 1984. Und noch lange nach ihrem Tod hing an ihrem Haus im Hainholzweg 14 die Tafel mit der stolzen Inschrift: "Hanna Adelung - staatlich geprüfte Hebamme."

Die Hebamme Hanna Adelung: Das Foto lag ihrem Antrag auf Niederlassungserlaubnis vom 22. 9.1942 bei.

Hanna Adelung mit ihrem Moped 1953 (Privatbesitz)

Eines der Zwangsarbeiterkinder, das Hanna Adelung als Hebamme auf die Welt gebracht hat, war im Mai 2003 gemeinsam mit seiner Mutter zu Besuch in Göttingen.


 

Quellen:

Geburtenbücher 1942-1945, Stadtarchiv Göttingen, Standesamtliche Unterlagen.

Hebammentagebücher Hanna Adelung 1942-1933, 1944, 1945, Stadtarchiv Göttingen, Gesundheitsamt C 87 (acc. 1641/2002).

Liste Hebammenverzeichnis o.D., wahrscheinlich Anfang 1942, mit Nachträgen 1944, Stadtarchiv Göttingen Sozialamt Acc. Nr. 434/510 Nr. 319, o.P.

Einwohnermeldekarte Hanna Adelung, geb. 10.11.1901, Einwohnermeldekarten Janina T. (Tochter Barbara, geb. 21.6.1944), Olga D. (Tochter Maria, geb. 15.9.1944), Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

Interview mit Hanna Adelungs Tochter Renate W., geb. 1937, am 15.11.2002 (Notizen und Fotos), Erinnerungen von Standesamtsbeamtinnen April 2001 (Notizen).
 


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