Begriff "Zwangsarbeiter": Ausländische Zivilarbeiter

Nach neuesten Schätzungen waren zwischen 1939 und 1945 insgesamt fast 8.5 Millionen ausländische Arbeiter in Deutschland zu Arbeit eingesetzt, wobei man davon ausgeht, dass zu Beginn des Krieges etwa eine Million von ihnen freiwillig zur Arbeit nach Deutschland kamen. "Freiwillig" ist hier allerdings ein sehr relativer Begriff. In der Regel bedeutete er nur, dass die Betroffenen ohne direkte körperliche Gewalt oder Androhung von Strafe einen Arbeitsvertrag unterschrieben, was sie jedoch in vielen Fällen nicht davor bewahrte, in Deutschland dann in den rechtlosen Status der zwangsrekrutierten Arbeitskräfte überführt zu werden. So wurden beispielsweise viele Holländer, die ursprünglich einen Arbeitsvertrag für ein Jahr geschlossen hatten, nach Ablauf des Vertrages vom Arbeitsamt gegen ihren erklärten Willen bis zum Ende des Krieges weiterhin dienstverpflichtet; ein Verlassen der Arbeitsstelle galt als "Arbeitsvertragsbruch" und zog die entsprechenden Strafen nach sich. Außerdem lässt sich kaum von echter "Freiwilligkeit" sprechen, wenn einem Tschechen, der sich weigerte im Deutschen Reich zu arbeiten, im neugebildeten Protektorat Böhmen und Mähren die Arbeitslosenunterstützung gestrichen wurde oder sogar die Einweisung in eine halbmilitärische "Arbeitsformation" drohte, in die in der Tschechoslowakei schon kurz nach dem sog. Münchener Abkommen im Oktober 1938 Arbeitslose dienstverpflichtet werden konnten.
Die beiden größten Gruppen der ausländischen Zivilarbeiter stellten die Polen (insgesamt 1.6 Millionen) und die Arbeiter aus der Sowjetunion, die sog. Ostarbeiter (etwa 2.8 Millionen). Beide waren diskriminierenden Sonderrechten unterworfen: Für die Polen galten laut Polizeiverordnung vom 8. März 1940 und Anordnung des Reichsarbeitsministers vom 5. Oktober 1941 Kennzeichnungspflicht, Zwang zur Lagerunterbringung und das Verbot jeglichen privaten Umgangs mit Deutschen. Für die "Ostarbeiter" wurden im Februar 1942 besondere Erlasse geschaffen, die diese noch schlechter stellten als die Polen: streng bewachte Lager, minderwertige Verpflegung, geringe Entlohnung usw.
Die ersten Opfer des europaweiten nationalsozialistischen Menschentransfers waren schon vor Beginn des Zweiten Weltkrieges die Tschechen, gegen die - als die Freiwilligenmeldungen nicht das gewünschte Ausmaß erreichten - die Besatzer schon im Sommer 1939 zu massiven Zwangsmaßnahmen griffen.

Für die verschiedenen Ausländergruppen hatten die Nationalsozialisten je nach rassisch-politischer Einstufung ein hierarchisches System der Diskriminierung entwickelt, an dessen Spitze (bis 1943) die mit Deutschland verbündeten Italiener standen und dessen unteres Ende von den "Ostarbeitern" gebildet wurde.
 

Hierarchie der Diskriminierung

Italiener bis 1943*
Kroaten
Slowaken
Balten
Belgier (Flamen)
Franzosen / Wallonen
Niederländer
Serben
Tschechen
Polen / Westukrainer
Italiener ab 1943
"Ostarbeiter" ("Sowjets")

* Auf der gleichen Stufe die Arbeiter aus den anderen mit Deutschland verbündeten Staaten Bulgarien, Rumänien, Ungarn, aus dem neutralen Spanien und den besetzen Ländern Dänemark und Norwegen

  Siehe dazu auch das Merkblatt über die Behandlung der eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte, o.J. [nach Sep. 1943]


 
Literatur:

Gerhard Hirschfeld, Zur Begrifflichkeit "Zwangsarbeit", in: Klaus Barwig / Dieter R. Bauer / Karl-Joseph Hummel, Zwangsarbeit in der Kirche, Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung, Stuttgart 2001

Miroslav Kárný, Der „Reichsausgleich“ in der deutschen Protektoratspolitik, in: Ulrich Herbert (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 26-50, hier bes. S. 28.

Stephan Posta, Tschechische „Fremdarbeiter“ in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, Dresden 2002, S. 71

Mark Spoerer, Zwangsarbeit im Dritten Reich - Fakten und Zahlen, Universität Hohenheim 13.12.2000

Ders., Zwangsarbeit im Dritten Reich und Entschädigung: ein Überblick, in: Klaus Barwig / Dieter R. Bauer / Karl-Joseph Hummel, Zwangsarbeit in der Kirche, Entschädigung, Versöhnung und historische Aufarbeitung, Stuttgart 2001

 


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