Fragebogen für ehemalige "OstarbeiterInnen" und polnische ZwangsarbeiterInnen

Im Zuge des durch das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung Verantwortung und Zukunft" geforderte Nachweisverfahrens wurde von mir ein detaillierter Fragebogen entwickelt, der ins Russische und Polnische übersetzt wurde.

Der Fragebogen enthält insgesamt 89 Fragen, die thematisch in sieben Gruppen geordnet wurden: Die erste Fragengruppe bezieht sich auf die persönlichen Daten und enthält neben Fragen nach Namen, Geburtsdatum, Adresse usw. u. a. auch eine Frage zur jetzigen Lebenssituation. Der zweite Fragenkomplex ist "Dauer der Zwangsarbeit" überschrieben und fragt nicht nur nach dem Zeitpunkt der Deportation, der Art und Weise des Transports nach Deutschland, sondern auch nach Namen von Familienmitgliedern oder anderen Dorfbewohnern, die gleichzeitig deportiert wurden. In einem dritten Abschnitt wird dann nach den genaueren Arbeitsbedingungen gefragt: Name der Fabrik, wenn bekannt (was häufig nicht der Fall war), eine genaue Beschreibung der Arbeitprozesse, die geleistet werden mussten, die tägliche Arbeitszeit, die Entlohnung. Der ausführlichste Fragenkomplex in der Mitte des Fragebogens bezieht sich auf alles, was mit der Unterbringung, dem Lagerleben zu tun hatte. Anschließend wird auch noch nach Verpflegung und Kleidung, nach der Versorgung im Krankheitsfall, nach "Tod und Sterben" und abschließend nach Verhaftung und Bestrafung, insbesondere nach KZ-Haft oder vorübergehender Unterbringung in einem sog. Arbeitserziehungslager gefragt.

Man kann diesen Fragen schon entnehmen, dass der Fragebogen mit seinem Schwerpunkt auf dem Lagerleben in erster Linie für die ehemaligen "Ostarbeiter" entwickelt wurde; zwar ist er auch für Polen – wie ja auch geschehen – noch ohne weiteres verwendbar, doch da diese häufig in der Landwirtschaft eingesetzt waren (wozu es unter dem Komplex "Arbeitsleben" auch ein paar Fragen gibt) und damit nicht in einem Lager lebten, waren große Teil des Fragenbogen für diese irrelevant.

Gedacht war der Fragebogen als "Anleitung" zur Erinnerung, als Ersatz für das nicht mögliche Interview, für das nicht mögliche direkte Gespräch: Die Fragen sollten Anstöße vermitteln, auf Konkreta, Einzelheiten oder Ereignisse verweisen, die den Betroffenen selbst vielleicht ganz unwichtig erschienen. Sie sollten vor allem denjenigen helfen, denen Erinnerungen in Worte zu fassen, grundsätzlich schwer fällt. Einige der Angeschriebenen entschieden sich statt die Fragen zu beantworten, einen Brief zu schreiben. Diese Briefe sind unter dem Aspekt der Erinnerungskultur zumeist natürlich viel aussagekräftiger als die ausgefüllten Fragebögen. Aber auch die darin gegebenen Antworten waren zum Teil sehr ausführlich, es wurden Zusatzblätter angefügt und auch dadurch entstand ein lebendiges Bild von den damaligen Lebensbedingungen.

Fragebogen zur Zwangsarbeit in Deutschland – Göttingen

Zur Person:

1. Name und Vorname
2. Jetzige Adresse
3. Unter welchem Namen waren Sie in Deutschland? (wichtig vor allem für Frauen)
4. Geburtsdatum (Tag Monat Jahr)
5. Geburtsort
6. Welchen Beruf, welche Ausbildung hatten Sie damals in Deutschland?
7. Jetziger Beruf oder Ausbildung? Wie ist ihre derzeitige Lebenssituation?
8. Sprechen Sie Deutsch? Wo und wann haben Sie es gelernt?

Dauer der Zwangsarbeit:

9. Wann kamen sie zur Zwangsarbeit nach Deutschland? (möglichst genaue Angaben: Tag, Monat, Jahr)
10. In welchem Ort, welcher Region lebten Sie, ehe Sie nach Deutschland kamen?
11. Wie und warum kamen Sie nach Deutschland? Haben die Deutschen Sie gezwungen? Wurden Sie bedroht?
12. Wie wurden Sie transportiert (Zug, Wagen)? Beschreiben Sie Ihre "Reise" nach Deutschland - auch die verschiedenen Stationen, ehe Sie an Ihrem Bestimmungsort waren.
13. Wurden Familienangehörige gleichzeitig mit Ihnen nach Deutschland transportiert? Wenn ja, geben Sie bitte die Namen an.
14. Wurden Landsleute gleichzeitig mit Ihnen nach Deutschland transportiert? Erinnern Sie sich an Namen? Erinnern Sie sich an die ungefähre Zahl?
15. In welcher Stadt, in welchen Städten/Dörfern leisteten Sie Zwangsarbeit? Von wann bis wann jeweils (bitte möglichst genau mit Tag, Monat, Jahr)
16. Wann endete ihre Zwangsarbeit und auf welche Weise wurden Sie befreit?
Bitte beschreiben Sie möglichst genau, wie Sie das Kriegsende erlebten.
17. Wann verließen Sie Deutschland und wohin gingen Sie nach Kriegsende?
18. Wie verlief Ihr Leben in der Sowjetunion nach dem Krieg?

Die folgenden Fragen beziehen sich auf Ihre Zwangsarbeit in Göttingen oder in der Umgebung von Göttingen

Arbeit:
19. Arbeiteten Sie in einer Fabrik? Erinnern Sie sich an den Namen der Fabrik? Kennen Sie die Adresse der Fabrik, können Sie ihre Lage beschreiben?
Wenn Sie in verschiedenen Fabriken arbeiteten, beantworten Sie bitte diese und die folgenden Fragen für alle ihre Arbeitsstellen.
20. Von wann bis wann arbeiteten Sie in dieser Fabrik, diesen Fabriken? (Tag, Monat, Jahr)
21. Was für eine Arbeit mußten Sie in der Fabrk leisten? (Möglichst genaue Beschreibung Ihrer Tätigkeit) Wissen Sie, was in der Fabrik produziert wurde?
22. Wenn Sie nicht in einer Fabrik arbeiteten, wo arbeiteten Sie dann?
23. Wenn Sie im Haushalt arbeiteten: Bei wem arbeiteten Sie: Name, Adresse? Waren Sie dort auch untergebracht? Beschreiben Sie die Arbeiten, die Sie verrichten mußten.
24. Wenn Sie in der Landwirtschaft arbeiteten, bei wem arbeiteten Sie: Name, Adresse? Wo und wie waren Sie untergebracht? Welche Arbeiten mußten Sie verrichten?
25. Wie lang war Ihre tägliche Arbeitszeit? Hatten Sie Sonntags frei? Mußten Sie auch nachts arbeiten? Hatten Sie jemals Urlaub?
26. Arbeiteten Sie mit anderen Landsleuten zusammen? Erinnern Sie sich an deren Namen (und Alter)?
27. Arbeiteten Sie mit Deutschen zusammen bzw. unter deren Aufsicht? Erinnern Sie sich an deren Namen?
28. Wie wurden Sie bei der Arbeit behandelt? Wurden Sie von Deutschen bei der Arbeit mißhandelt? Hat Ihnen jemand geholfen?
29. Arbeiteten Kinder an Ihrem Arbeitsplatz? Wenn ja, wieviele? Wie alt waren die Kinder ungefähr? Wie wurden die Kinder behandelt?
30. Bekamen Sie Geld für Ihre Arbeit? Wenn ja, wieviel?
31. Von wem bekamen Sie das Geld ausgezahlt?
32. Konnten Sie sich für dieses Geld etwas kaufen und wenn ja, was und wo?

Unterbringung:

33. Waren Sie in einem oder mehreren Lagern untergebracht? Erinnern Sie sich an den Namen der Lager?
34. Können Sie das (die) Lager beschreiben: die Lage (Skizze)? Wieviele Baracken gab es? Waren die Baracken aus Stein oder Holz?
35. Können Sie schätzen, wie viele Menschen in dem Lager untergebracht waren? Nur Frauen, nur Männer?
36. Wie viele Menschen waren in einer Baracke untergebracht?
37. Konnten Sie sich regelmäßig waschen und wenn ja, wo? Wo waren die Aborte?
38. Erinnern Sie sich an die Namen (und das Alter) von anderen Zwangsarbeitern, mit denen Sie zusammen im Lager waren?
39. Gab es Kinder im Lager?Wieviele ungefähr?
40. Waren sie allein oder mit ihren Familien zusammen? Wer versorgte die Kinder?
41. Mußten die Kinder alle arbeiten?
42. Gab es schwangere Frauen im Lager? Wo und wie bekamen diese ihre Kinder?
43. Was geschah mit den neugeborenen Kindern?
44. War das Lager bewacht? Erinnern Sie sich an die Namen der Wachleute oder können Sie die Wachmannschaften auf andere Weise beschreiben?
45. Wie wurden Sie von den Wachmannschaften behandelt?
46. Gab es Kapos im Lager? Erinnern Sie sich an deren Namen?
47. Wie wurden Sie von den Kapos behandelt?
48. War das Lager (mit Stacheldraht) umzäunt oder auf andere Weise gesichert?
49. Welche Nationalitäten befanden sich in dem Lager?
50. Hatten Sie Kontakt zu Zwangsarbeitern anderer Nationalitäten?
51. Gab es Streit zwischen den verschiedenen Nationalitäten im Lager, gegenseitige Hilfe?
52. Gab es Tauschhandel, Schwarzhandel im Lager? Was wurde getauscht, gehandelt - wie?
53. Erinnern Sie sich an besondere Vorkommnisse (im Lager): Bombenangriffe, Krankheiten, Tote, Mißhandlungen?
(Wenn Sie nicht in einem Lager waren, beantworten Sie bitte diese Frage allgemein.)
54. Haben Sie jemals einen Bombenangriff in Göttingen miterlebt? Wenn ja, wann ungefährt und woran erinnern Sie sich? Gab es für die Zwangsarbeitern irgendeinen Schutz vor Bomben?
55. Waren Sie nach einem Bombenangriff in Göttingen jemals zu Aufräumarbeiten eingesetzt. Wenn ja, wo und wann - welche Arbeiten mußten sie dabei verrichten?
56. Durften Sie das Lager verlassen?Wenn ja, zu welchen Zeiten?
57. Hatten Sie Kontakt zu ihren Landsleuten außerhalb des Lagers, in anderen Lagern oder anderen Orten?
58. Erinnern Sie sich an die Namen anderer Göttinger Zwangsarbeiterlager?

59. Hatten Sie außerhalb des Lagers und außerhalb ihrer Arbeitsstelle Kontakt zu Deutschen? Wie wurden Sie behandelt?
60. Wenn Sie nicht in einem Lager untergebracht waren: Wo wohnten Sie dann? Konnten Sie sich frei bewegen?

Verpflegung und Kleidung:

61. Was bekamen Sie zu essen? Wieviel bekamen Sie zu essen? Wie oft am Tag?
62. Von wem bekamen Sie das Essen und wo? Im Lager? Bei der Arbeit?
63. Konnten und durften Sie selbst Essen zubereiten?
64. Haben Sie gehungert?
65. Konnten Sie für Geld Essen kaufen? Konnten Sie Essen tauschen?
66. Mußten Sie betteln? Mußten Sie Essen stehlen?
67. Haben Ihnen Deutsche Essen gegeben?
68. Wie war ihre Kleidung? Woher bekamen Sie Kleidung?
69. Hatten Sie Schuhe? Woher bekamen Sie Schuhe?

Krankheit und Tod:

70. Waren Sie krank während Ihrer Zwangsarbeit in Götingen?
71. Wenn Sie krank waren, kümmerte sich ein Arzt um Sie? Wenn nein, wie wurden sie behandelt?
72. Waren Sie in Göttingen jemals in einer Klinik?
73. Wenn Sie in einem Lager waren: Gab es einen Arzt im Lager? Erinnern Sie sich an den Namen? War es ein deutscher Arzt oder ein Landsmann?
74. Haben Sie miterlebt, wie andere Zwangsarbeiter starben? Erinnern Sie sich an die Namen? Erinnern Sie sich an die ungefähre Zahl?
75. Woran starben sie: Krankheit, Mißhandlung, Bombenangriff? Wurden sie erschossen, aufgehängt?
76. Wie wurden die Toten begraben? Wo und von wem?

Verhaftung, Bestrafung:

77. Wurden Sie selbst von Deutschen bestraft? Wenn ja, wie und wofür?
78. Haben Sie miterlebt wie andere Zwangsarbeiter bestraft wurden? Wie und wofür?
79. Wurde jemals in ihrem Beisein die Todesstrafe vollstreckt?
80. Wurden Sie in Göttingen einmal verhaftet? Wenn ja, weshalb?
81. Wurden Sie von der Göttingen Polizei verhaftet oder von der Gestapo? Wurden Sie verhört?
82. Waren Sie im Gefängnis? Wenn ja, wie lange? Wie wurden Sie dort behandelt?
83. Waren Sie in einem Arbeitserziehungslager? Wenn ja, in welchem, warum und wie lange?
84. Waren Sie jemals in einem Konzentrationslager? Wenn ja, in welchem und von wann bis wann?
85. Sind Sie aus Göttingen in dieses Konzentrationslager gekommen?
86. Aus welchem Grund kamen Sie in dieses Konzentrationslager?
87. Mußten Sie in dem Konzentrationslager arbeiten? Wenn ja, wo und welche Arbeiten mußten Sie verrichten?
88. Können Sie Ihre Erlebnisse im KZ schildern. Wie haben Sie das KZ überlebt?
89. Wann wurden Sie aus dem KZ befreit und von wem?

Erinnerungen ehemaliger "OstarbeiterInnen"

Zusammenfassende Auswertung

Beispielantworten (Briefe und Fragebögen)

 


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