NS-Zwangsarbeiter: Italiener nach 1943 (Zivilarbeiter und Militärinternierte)

Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit den Alliierten im September 1943 verfügten die deutschen Besatzer praktisch postwendend schon im Oktober 1943 eine Arbeitspflicht für Männer im besetzten Nord- und Mittelitalien, die allerdings nicht sehr effektiv war. Dafür hatte sich die Wehrmacht in den Gebieten Süd- und Mittelitaliens, die sie wegen des alliierten Vormarsches nach und nach räumen musste, schon seit September in auch aus Osteuropa bekannter Weise auf "Sklavenjagd" begeben; und diese Aktionen wirkten sich auch direkt in Göttingen aus: Im Oktober und November 1943 kamen Süditaliener (in Göttingen vor allem aus Neapel und Umgebung) zu Feinprüf, zu den Aluminiumwerken, zu Schneider & Co und vor allem zu der Aktenordnerfabrik Emil Mehle & Co.

Doch auch diese Aktionen brachten nicht genügend der in der Endphase des Kriegens immer dringender benötigen Arbeitskräfte. Die Wehrmacht transportierte daher auch die nach dem Waffenstillstand gefangen genommenen italienischen Soldaten zum Arbeitseinsatz nach Deutschland. Man bezeichnete sie aus außenpolitischen Gründen kurzerhand als Militärinternierte (IMIs) und überführte sie im August 1944 dann – wie vier Jahre zuvor die polnischen Kriegsgefangenen - geschlossen in den Status von Zivilarbeitern, was ihren Arbeitseinsatz wegen des Wegfalls der Bewachung effektiver gestaltete, den italienischen Arbeitern aber auf der anderen Seite auch höhere Verpflegungssätze und freien Ausgang bescherte (was insbesondere für das Organisieren von Lebensmitteln von großer Bedeutung war. In Göttingen kamen ab Oktober 1943 über 150 IMIs zur Reichsbahn und etwa 90 zu den Aluminiumwerken.

Dass die ehemaligen Verbündeten als "Verräter" gebrandmarkt in Deutschland besonders schlecht behandelt wurden, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Dass dies auch in Göttingen nicht anders gewesen sein wird, zeigt ein Tagebucheintrag des ehemaligen Berliner Bibliothekars Hermann Stresau, der seit Februar 1943 bei Schneider & Co dienstverpflichtet war. Er schrieb am 7.11.1943:

"In der Fabrik sind neue Gesichter aufgetaucht: Italiener: Deutsche, Belgier und Franzosen schauen auf die armen Kerls, die "Makkaronis" mit einhelliger Verachtung herab. Zum guten Teil Süditaliener, gutmütige Burschen. Manche sehr zerlumpt, müssen erst Arbeitskleidung bekommen." (Stresau, Von Jahr zu Jahr, 1948, S. 342).

Wenn schon die harmlosen süditalienischen Bauern "einhellige Verachtung" hervorriefen, wie mag dies dann erst bei den ehemalig verbündeten italienischen Soldaten, den IMIs, gewesen sein?

Nach den Zuweisungen im Oktober/November 1943 bekamen die Göttinger Betriebe kaum noch italienische Arbeitskräfte und wenn doch, so stammten diese zumeist aus anderen Einsatzorten innerhalb Deutschlands.

Die Göttinger Universitätskliniken bemühten sich im November 1944 um die Zuweisung von ehemaligen italienischen Sanitätssoldaten als Krankenpfleger. Die Akten sagen nicht, ob dieser Anforderung entsprochen wurde. Dafür sind aber Ende 1943, Anfang 1944 zwei Italienerinnen in der Friedrich-Zimmerklinik in der Goßlerstraße 5, deren Eigentümerin der Evangelische Diakonieverein Berlin Zehlendorf war und die von vielen Universitätsmedizinern als Privatklinik genutzt wurde, nachgewiesen. Beide hatten ursprünglich in Ballenhausen gearbeitet und waren direkt zuvor erst aus der Gestapohaft entlassen worden. Bei diesen Zwangsarbeiterinnen handelte es sich um einige der wenigen italienischen Frauen, die nach 1943 noch in Göttingen arbeiteten. Darüber hinaus ist nur noch eine italienischer Hilfsarbeiterin bei der Firma Mehle nachweisbar, die aber zuvor in Frankreich gelebt hatte. In allen drei Fällen handelt es sich um Zufallsfunde in der Göttinger Einwohnermeldekartei, die keine quantitativen Rückschlüsse auf die Beschäftigung von italienischen Arbeiterinnen in Göttingen zulassen.

Das Heeresverpflegungsamt erhielt im November 1944 noch einige italienische Arbeiter aus den inzwischen bombardierten Junkerswerken in Dessau, und zur Baufirma Drege kam noch im März 1945 eine kleinere Gruppe ehemaliger IMIs aus einem Lager der Ziegelwerke in Rosdorf. Nach Zeitzeugenaussagen arbeitete gegen Ende des Krieges auch noch eine kleine Gruppe von Italienern nach Zeitzeugenaussagen für das Städtische Bauamt.

Insgesamt arbeiteten von Oktober bis Kriegsende in der Stadt Göttingen (einschließlich Geismar, Grone und Weende) nach neuesten Schätzungen etwa 600 Italiener (je zur Hälfte Zivilarbeiter und IMIs).

Unterbringung/Lager:

  • Die Reichsbahn unterhielt ein Lager für italienischer Zivilarbeiter und Militärinternierte im Groner Hof.
  • Bei den Aluminiumwerken befand sich ebenfalls ein Lager für Italienische Militärinternierte. Nach einer Angabe aus dem Jahre 1949 waren am Ende des Krieges 90 IMIs in diesem Lager.
  • Die Zivilarbeiter der Firma Mehle waren auf dem Firmengelände untergebracht.
  • Die italienischen Zwangsarbeiter der Firma Feinprüf waren im ehemaligen Jugendheim, Hospitalstraße 1 untergebracht.
  • Die italienischen Arbeiter des Heeresverpflegungsamtes waren auf dessen Gelände untergebracht;
  • die italienischen Arbeiter der Firma Drege im Lager Eiswiese.
     
  • Drei der italienischen Zivilarbeiter, die im Oktober 1943 zur Aktenordnerfabrik Mehle kamen (Fotos anderer italienischer Zwangsarbeiter sind für Göttingen nicht bekannt):

    Italienischer Zivilarbeiter

    Dieser Arbeiter kehrte am 15.5.1944 lungenkrank nach Italien zurück. Er war Analphabet.

    Italienischer Zivilarbeiter

    Dieser Arbeiter kehrte am 21.7.1944 lungenkrank nach Italien zurück.

    Italienischer Zivilarbeiter

    Dieser Arbeiter wurde am 24.11.1943 (auf der Einwohnermeldekarte fälschlich 24.II.) von der Gestapo festgenommen und kam in das Arbeitserziehungslager Lahde, wo er am 10.2.1944 an Blutvergiftung starb.


    Einwohnermeldekarte einer Italienerin, die im Oktober 1943 in Gestapohaft war

    Italiener im "Arbeiterziehungslager" Lahde

    Über das Verhalten italienischer Zwangsarbeiter am Ende des Krieges



    Quellen:

    Die obigen Schätzungen für die Anzahl der italienischen Arbeiter beruhen auf der Auswertung und einer entsprechenden Hochrechnung von 24,12 % der insgesamt 1082 Kisten (Zahl bereinigt um Kisten mit ausschließlich typisch deutschen Namen wie Müller, Schmidt, Schulze) der alten Einwohnermeldekartei, die im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt wird; ergänzt durch: Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15; Register Fremdenpässe, ebd. Ordnungsamt acc. 1047/1991 Nr. 258; Statistiken August/September 1944, ebd. Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541f. , Bl. 544-547; Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12. 1945, Statistiken der Verbrauchergruppen und des Bedarfs an Lebensmitteln vom 19.10.1942-12.11.1944 (nicht vollständig vorhanden), ebd. Ernährungsamt Nr. 50, o.P.; Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Film 3; Beschäftigungsmeldungen 31.12.1944 R 12I/102 (Reichsgruppe Industrie), Bundesarchiv Berlin Lichterfelde.

    Außerdem wurden benutzt:

    Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Film 3, Nr. 1486 (Lager Aluminiumwerke).

    Rundbrief 31.10.1944, Regierungspräsident 17.11.1944, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Hann 122 a Nr. 3282, Bl. 16.

    Fotos Italienische Zivilarbeiter, Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15.

    Hermann Stresau, Von Jahr zu Jahr (Tagebuch), Berlin 1948.

    Literatur:

    Cajani, Luigi, Die italienischen Militär-Internierten im nationalsozialistischen Deutschland, in: Ulrich Herbert (Hg.), Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 295-316, hier S. 298 f.

    Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 82 ff.

     


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