NS-Zwangsarbeiter: Lohn / Bezahlung

Polen:

Die ersten Zwangsarbeiter, die im November 1939 in die Stadt Göttingen kamen, waren polnische Zivilarbeiter, die bei der Firma Fritz Keim arbeiteten. Sie bekamen nach Aussage eines dort als Dolmetscher tätigen Volksdeutschen 71 Pfennig pro Stunde (ungelernte deutsche Arbeiter bekamen 90 Pfennig pro Stunde). (Aussage 11.12.1939, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 373).

Der Lohn der polnischen Arbeiter richtete sich offiziell nach dem der Deutschen, doch erhielten sie nur die niedrigsten Tariflöhne, Zulagen (etwa Schmutz- oder Kinderzulage) durften nicht gezahlt werden, bei Arbeitsausfall durch Krankheit oder für Feiertage gab es ebenfalls kein Geld. Außerdem mußten die Polen eine sog. Sozialausgleichsabgabe von 15 % an den Staat abführen. Hinzu kam daß den polnischen Arbeitern natürlich auch noch die Kosten für Verpflegung und Unterkunft, wie schlecht diese auch immer sein mochte, in Rechnung gestellt wurden und auch die Arbeitskleidung, so sie denn welche erhielten. Sogar das P-Abzeichen mussten sie selbst bezahlen. Effektiv - so das Kalkül hinter diesen Regelungen - sollte den Polen gerade so viel bleiben, wie sie zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft benötigten.

Für die 1942 bei den Gas- und Wasserwerken beschäftigten Polen existiert eine vom Personalamt angestellte Berechnung, nach der (nach Abzug von Steuern und Krankenversicherung und der Kosten für Unterkunft und Verpflegung) den Polen wöchentlich 22,06 RM auszuzahlen sei. Zum Vergleich: Diese Summe entsprach etwa 2/3 des Lohnes, den ein kinderloser Arbeiter 1940 im Göttinger Schlachthof bekam. Doch ist diese Berechnung mit Vorsicht zu betrachten. Man kann einer solchen Aufstellung nämlich nicht entnehmen, was den polnischen Arbeitern aktuell wirklich ausbezahlt wurde und welche zusätzlichen Kosten und Ausgaben ihnen von Fall zu Fall noch in Rechnung gestellt wurden. Auch kann es sich bei dieser Aufstellung um eine bloße Kalkulation handeln, die vielleicht niemals in konkrete Zahlungen mündete. Es fällt nämlich auf, dass in dieser Berechnung ein Stundenlohn von 0,62 RM zugrundegelegt wurde, während das Bauamt schon ein Jahr früher als Maximalentlohnung für polnische Arbeiter über zwanzig Jahre nur 90% dieser 0,62 RM ansetzte. Außerdem taucht in der Berechnung der Gas- und Wasserwerke eine als "Auslösung" bezeichnete Summe von 10,50 RM (1,50 RM täglich auf), deren Bedeutung unklar ist. Wenn es sich dabei um eine einmalige Zahlung gehandelt hat - etwa damit zusammenhängend, dass diese polnischen Arbeitskräfte von der Firma Schönewolf überstellt worden waren und ihnen von daher noch Lohnzahlungen zustanden - dann hätte der reguläre Wochenlohn für diese Arbeiter nur 13,30 RM (statt 22,06 RM) betragen. Auch sind in dieser Aufstellung zwar Lohnsteuern und Krankenkassenbeiträge abgezogen, nicht aber die 15 % sog. Sozialausgleichsabgabe, mit denen die von den Deutschen verlangten Beiträge zur Partei, NSV oder zum Winterhilfswerk ausgeglichen werden sollten.

Der Pole Stefan M. bekam nach seiner Erinnerung von dem Geismaraner Landwirt Engelhardt, bei dem er von Februar 1940 bis zu seiner Flucht im Juni 1942 arbeitete, 25 Mark monatlich. Für dieses Geld kaufte er sich gebrauchte Sachen in einem Laden in Göttingen; Tadeusz K. bekam von dem Groner Landwirt Schrader in den ersten drei Jahren ebenfalls 25 Mark und in den letzten beiden Kriegsjahren sogar 30 Mark monatlich.

Die Polin Henryka B. erinnerte sich daran, dass sie von dem Gastwirt und Hotelbesitzer Ernst Breyel Geld bekommen habe, aber sie wusste nicht mehr wieviel. Ihre Kolleginnen aus Weißrussland dagegen erhielten kein Geld.

Die beiden Polinnen, die in Göttinger Haushalten arbeiteten und von denen wir Berichte über ihre Zwangsarbeit haben, gaben an, dass sie gar kein Geld bzw. nur einen sehr geringen Lohn bekommen hätten.

Westliche Kriegsgefangene:

Lagergeld für westliche Kriegsgefangene (private Sammlung C. Tollmien)

Westliche Kriegsgefangene bekamen pro Arbeitstag 0,30 RM, wöchentlich aber maximal nur 2,- RM und monatlich 8,- RM ausbezahlt. Der diese Summe übersteigende Lohnbetrag wurde dem Gefangenen auf seiner im Stalag geführten Personalkarte gutgeschrieben. Bezahlt wurden nur wieder die Tage, an denen der Gefangene wirklich gearbeitet hatte. Bargeld bekamen die Kriegsgefangenen allerdings nicht in die Hand, sondern nur sog. Lagergeld, mit dem sie an bestimmten zugelassenen Verkaufsstellen einkaufen konnten. In Göttingen konnten die Kriegsgefangenen bei der Städtische Brauerei mit diesem Lagergeld einkaufen und auch bei der Karstadt AG, die Anfang 1941 innerhalb von zwei Wochen immerhin einen Umsatz von insgesamt 572,51 RM an Lagergeld hatte, was bedeutete, das jeder der 167 Kriegsgefangenen im Lager Sültebeck durchschnittlich 3,45 RM bei Karstadt ausgegeben hatte, also fast seinen gesamten Zweiwochenlohn. Die Unternehmen konnten das Lagergeld bei der Städtischen Sparkasse in "kursfähiges Geld" umtauschen, wobei von den Kassen strengstens darauf zu achten war, dass der Einzahler auch wirklich zum Umtausch berechtigt war. Man befürchtete nämlich nicht nur Fälschungen, die es mit großer Wahrscheinlichkeit wohl auch gegeben hat, sondern vor allem, daß das Lagergeld sich unter der Zivilbevölkerung verbreitete und damit den Charakter eines allgemeinen Zahlungsmittels annahm.

Bei den optischen Werken Schneider & Co erhielten die französischen Kriegsgefangenen angeblich den gleichen Lohn wie die deutschen Arbeiter, allerdings gekürzt um eine "Rücklage" von 30 %, die ihnen später ausgezahlt werden sollte.

Französische Zivilarbeiter:

Bei den französischen Zivilarbeitern haben sich die Lohnabrechnungen eines Arbeiters bei Winkel erhalten.

Außerdem gibt es eine Reihe von Zeitzeugenaussagen über die Entlohnung der französischen Zivilarbeiter, die Cécile Bonnet in ihrer Magisterarbeit gesammelt hat.

Cécile Bonnet, Service du travail obligatoire (STO) in Göttingen, Magisterarbeit Universität Aix en Provence, Frankreich, 2004 (Manuskript), Abschnitt 2.1. Rechte.

"Ostarbeiter":

Nachdem es wegen der geringen Löhne der "Ostarbeiter", denen nach Abzug der "Ostarbeitersteuer" und den für Verpflegung und Unterkunft in Rechnung gestellten Kosten in der Regel nichts oder fast nichts ausbezahlt wurde, auch zu Protesten bei den deutschen Unternehmern gekommen war, war die Entlohnung der "Ostarbeiter" am 30. Juni 1942 neu geregelt worden. Es gab nun ein tabellarisch festgelegtes Nettolohnsystem, nach dem es für höhere Arbeitsleistungen auch höhere Löhne geben sollte. Grundlage war der Lohn eines vergleichbaren deutschen Arbeiters, von dem eine vom Unternehmer abzuführenden sog. Ostarbeiterabgabe abgezogen wurde, mit der man verhindern wollte, daß die sowjetischen Arbeiter für die Unternehmen billiger als deutsche Arbeiter seien. Man befürchtete, daß es sich für den einzelnen "Betriebsführer" eventuell lohnen würde, deutsche Arbeiter zu entlassen, um Ostarbeiter einzustellen - eine angesichts des allgemeinen Arbeitskräftemangels allerdings wohl relativ unbegründete Befürchtung. Nach dieser Tabelle konnte ein "Ostarbeiter" nach Abzug der Kosten für Unterkunft und Verpflegung je nach Arbeitsplatz und Leistung zwischen 0,10 RM und 2,40 RM am Tag bzw. zwischen 1,05 RM und 18,90 RM in der Woche oder 6,00 RM und 84,00 RM im Monat verdienen. Dieses System scheint aber in der Realität nur selten bis gar nicht umgesetzt worden zu sein. Für Göttingen berichten ehemalige "Ostarbeiter" jedenfalls übereinstimmend, daß sie entweder überhaupt niemals Lohn ausbezahlt bekommen hätten, oder aber 2 RM für zwei Monate bis 2 RM wöchentlich oder - die höchste genannte Summe - 20 RM im Monat. Die Reichsbahn forderte von der Stadtverwaltung im Dezember 1944 für jeden der vier zur Verfügung gestellten Ostarbeiter pro Woche 21,- RM für vorauslagten Lohn zurück. Wenn man davon die üblichen 1,50 RM täglich für Unterkunft und Verpflegung abzieht, würde dies bedeuten, daß die betreffenden "Ostarbeiter" immerhin einen Wochenlohn von 10,50 RM ausbezahlt bekommen hätten. Dem widerspricht allerdings die Aussage eines ehemaligen Zwangsarbeiters aus der Ukraine, der berichtet, daß er für seine Zwangsarbeit bei der Reichsbahn in Göttingen niemals Geld bekommen habe. Denkbar ist sowohl, daß die Reichsbahn das von der Stadt Göttingen überwiesene Geld nicht an die Zwangsarbeiter weitergab, als auch (und dies ist wahrscheinlicher), daß in der genannten Summe die "Ostarbeiterabgabe" enthalten war. Dann nämlich wäre für die betreffenden Zwangsarbeiter tatsächlich nichts oder fast nichts übrig geblieben.

Siehe dazu beispielsweise die Erinnerungen der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen von Schöneis (später Reichsbahn).
und die Berichte der weißrussischen Kinderzwangsarbeiter über ihre Entlohnung in den Aluminiumwerken.
Nikolai Sawtschantschik über seine Entlohnung bei Rube & Co.

"Ostarbeiter" und Niederländer im Vergleich:

Da der Holländer Cees Louwerse eine ukrainische Freundin in Göttingen hatte, die wie er im Flakzeugamt arbeitete, haben wir einen direkten Vergleich zwischen den Löhnen eines West- und eines Ostarbeiters (die Zahlen und Daten stammen von der Homepage "Zwangsarbeit in Niedersachsen"):

Cees Louwerse erhielt für seine Arbeit im Flakzeugamt einen Monatslohn von 162,03 Reichsmark (RM), von dem 52,82 RM abgezogen wurden, so dass ihm 109,21 RM blieben. Seine ukrainische Freundin Marusja erhielt brutto nur 75,74 RM Monatslohn. Davon blieben nach Abzug von 68,81 RM nur noch 6,93 RM als auszuzahlender Monatslohn übrig.

Alle beide hatten von ihrem Zwangsarbeitslohn Abzüge für die deutsche Krankenversicherung, Lohnsteuer und die „Deutsche Arbeitsfront“; Marusja wurde überdies – anders als Cees – auch ein hoher Beitrag für das NS-„Winterhilfswerk“ abgezogen. Der größte Unterschied auf der Minusseite bestand aber in dem Posten „“Einbeh[alten]“, wo bei Cees Louwerse immerhin 27,- RM, bei Marusha jedoch fast das doppelte, nämlich 48,- RM in der Lohnabrechnung eingetragen sind. Dabei handelte es sich um den Betrag, den das Flakzeugamt den Zwangsarbeitenden für Unterkunft (Barackenlager) und Verpflegung in Rechnung stellte. Wahrscheinlich ist bei Marusja in den 48,- RM auch noch die vom Unternehmer an den Staat abzuführende „Ostarbeiterabgabe“ enthalten.

Sowjetische Kriegsgefangene:

Keinerlei Entlohnung bekamen die sowjetischen Kriegsgefangenen, so dass beispielsweise die Stadtverwaltung für die 25 sowjetischen Kriegsgefangenen, die im April 1942 die deportierten Juden bei de Beseitigung der Hochwasserschäden ersetzen sollten, nur mit den täglichen Kosten von 1,30 RM für die Verpflegung kalkulieren musste. Ob die vom Heeresbauamt vorgeschlagene "kleine zusätzliche Verpflegung" wirklich ausgegeben wurde, kann man den Akten nicht entnehmen.

 

 

 

Entlohnung der jüdischen Zwangsarbeiter

Entlohnung der ausländischen Künstler am Städtischen Theater Göttingen


Quellen und Literatur:

Lohnaufstellung Schlachthof 12.7.1940, Anordnung 7.9.1944, Stadtarchiv Göttingen, Schlachthof B 53 Nr. 14, o. P. (unter L); Reichstreuhänder für den öffentlichen Dienst 3.3.1941, veröffentlicht durch DGT 20.8.1941, Aktennotiz 3.8.1942, Stadtarchiv Göttingen, Personalamt C 21 Nr. 315, o. P.

Stalag Fallinbostel an Haumeister August Kulle in Waage, 29.12.1941 und Stadtforstamt an Stalag Fallingb. 3.2.1941, Stadtarchiv Göttingen Stadtforstamt 401.00 Az, o. P.; Richtlinien vom 27.3.1941, Lohnlistenmuster, Schreiben an Stadtbauamt, Absender unklar, 23.4.1941, Brauerei an Stadtkämmerei 5.5.1941, Gnade an Reichsbankstelle 10.5.1941, Reichsbank an Oberbürgermeister 10.5.1941, OKW 7.1.1941, Aktennotiz 12.5.1941, Sparkasse an Claassen 16.5.1941, Rückseite zu Fallingbostel an Oberbürgermeister 21.5.1941, Sparkasse an Oberbürgermeister 1.8.1941, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 52, o. P.

Anschütz, Janet / Heike, Irmtraud, Feinde im eigenen Land. Zwangsarbeit in Hannover im Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2000, S. 64.

Reichsbahn an Bauamt 21.12.1944, 26.1.1945, 7.3.1945, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45 a Bd. 3, o. P.
Aktennotizen 28.3. 1942, 2.4.1942, Stadtarchiv Göttingen Tiefbauamt Lei 2, o. P.
Verschiedene Zeitzeugenaussagen, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32-Tollmien, Korrespondenz.

Herbert, Ulrich, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin-Bonn 1985, S. 170-175.

 


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