NS-Zwangsarbeiter: Niederländer

Holländische Zivilarbeiter (die holländischen Kriegsgefangenen waren schon im Sommer 1940 entlassen worden) arbeiteten in Göttingen hauptsächlich bei der Reichsbahn: Zunächst wieder im Lager Sültebeck untergebracht, waren die ersten holländischen Bahnarbeiter schon im Januar 1941 nach Göttingen gekommen. Wie bei den Franzosen stiegen die Einsatzzahlen aber erst im Laufe des Jahres 1943, nachdem in den besetzten Niederlanden eine zum Teil mit brutaler Gewalt durchgesetzte Dienstpflicht für alle Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren (und für unverheiratete Frauen zwischen 18 und 40) angeordnet worden war. Schätzungsweise etwa die Hälfte der niederländischen Zwangsarbeiter in Göttingen arbeiteten für die Reichsbahn. Ein Teil, der im Oktober 1943 der Göttinger Reichsbahn zugewiesenen Arbeiter, war im Lager der Eisenbahnfirma Keim untergebracht, ab November 1944 arbeitete eine Gruppe von Gleisbauarbeitern auch für Keim direkt.

Auffällig ist, dass holländische Zwangsarbeiter in Göttingen in der Rüstungsindustrie im Unterschied zu den Franzosen nicht in nennenswertem Umfang eingesetzt wurden. Es gab zwar in fast jedem Rüstungsbetrieb auch holländische Zwangsarbeiter, aber – mit Ausnahme der Aluminiumwerke – scheint ihre Zahl in der Regel sehr klein gewesen zu sein.

Im Juli und Oktober 1942 und noch einmal im Januar und August 1943 kamen außerdem einzelne Holländer, um an dem ursprünglich für Elsässer und Flamen aufgelegten Umschulungsprogramm der Junkerswerke in Göttingen teilzunehmen. Sie blieben in der Regel nur wenige Monate in Göttingen und wechselten dann in das Zweigwerk der Junkerswerke in Schönebeck. Eine Gruppe von niederländischen Umschülern, die im Dezember 1942 und im August 1943 nach Göttingen kamen, blieben allerdings in Göttingen und arbeiteten für die Firma Winkel.

Im Mai 1943 arbeiteten 45 Holländer bei der Faserholz GmbH.

Erwähnenswert ist darüberhinaus noch eine Gruppe von zwischen 30 und 40 Studenten (hauptsächlich Naturwissenschaftler, einige Juristen und ein Geographiestudent), die sich geweigert hatten, die geforderte Loyalitätserklärung für Deutschland zu unterschreiben und die deshalb nach Deutschland transportiert und ab Mai 1943 im Flakzeugamt arbeiteten.

Acht holländische Medizinstudenten, die im Juni 1943 noch durch einige französische Medizinstudenten verstärkt wurden, arbeiteten aus dem gleichen Grund als Krankenpfleger in den Universitätskliniken. Auch einige holländische Nichtmediziner arbeiteten beispielsweise als Heizer oder in der Wäscherei oder auch als Pfleger in den Universitätskliniken, in denen auch einzelne niederländische Frauen beschäftigt waren.

Vom 25.11. bis zum 3.12.1944 waren 104 niederländische Zwangsarbeiter, die einem der Firma Schuppert in Hannover zugeordneten Baubataillon angehörten, für das städtische Bauamt bei Aufräumarbeiten nach zwei Bombenangriffen eingesesetzt. Alle 104 Angehörigen des Baubataillons kamen aus Rotterdam oder der nächsten Umgebung. Von Herbst 1944 an hatte die Deutschen noch einmal 140 000 Niederländer deportiert, davon allein 50 000 Männer aus Rottderdam innerhalb von zwei Tagen. Zum Vergleich: Insgesamt arbeiteten zwischen 450 000 und 500 000 Niederländer während des Krieges im Deutschen Reich. Auch für die Reichsbahn stammten großen Gruppen der im Herbst 1944 nach Göttingen deportierten holländischen Arbeiter aus Rotterdam.

Reichsbahnausweis eines holländischen Zivilarbeiters

Ausweis eines holländischen Zwangsarbeiters der Reichsbahn, gestempelt am 20. März 1945 mit Gültigkeit bis 15. März 1947.

Holländischer Zwangsarbeiter

Holländischer Zwangsarbeiter, Student der Mathematik und Physik, der seit 14. Mai 1943 im Flakzeugamt (Lager Egelsberg) arbeiten musste.

Gegen Ende des Krieges ist in Göttingen außerdem eine Gruppe von holländischen Handwerkern im Feldbekleidungsamt nachgewiesen.

Einzelne Holländer (auch Frauen) arbeiteten außerdem beim Städtischen Betriebsamt, im Gastgewerbe (wie z.B. im Hotel Deutscher Hof), bei den Göttinger Schlachtern, Bäckern, Friseuren und Gärtnereien, bei der Großwäscherei Schneeweiß, bei Göttinger Autofirmen, in der feinmechanischen Werkstatt August Fischer, bei der Phywe, bei Ruhstrat, bei Winkel und bei Sartorius. Einzelne Niederländerinnen arbeiteten auch in Göttinger Privathaushalten. Sie wurden häufig als Fachkräfte in ihrem angestammten Beruf eingesetzt. So kamen beispielsweise auch holländische Uhrmacher nach Göttingen.

Speziell bei Sartorius und auch bei Winkel arbeiteten seit November/Dezember 1944 einige Holländer, in erster Linie Frauen, die nicht als Zwangsarbeiterinnen, sondern als Kollaborateure angesehen werden können. Es handelte sich dabei um Frauen, deren Männer im SS-Bataillion Flandern gedient hatten und die nun nach der Landung der Allierten in den Niederlanden in Deutschland Zuflucht suchten. Auch ein Mann findet sich in den Unterlagen, der sich im November 1944 zum Kriegsdienst meldete. Da dies in seiner Betriebskarte von Winkel offiziell vermerkt war, kann es sich nur um deutschen Kriegsdienst gehandelt haben. Die fraglichen Holländerinnen waren denn dementsprechend auch als "Kriegshelferinnen" (und nicht wie sonst üblich als Hilfsarbeiterinnen" gekennzeichnet. Für Winkel sind nur zwei Kriegshelferinnen und ein holländischer Mann, der sich zum Kriegsdienst meldete nachgewiesen; bei Sartorius soll es sich nach Aussagen eines Zeitzeugen um eine größere Gruppe von Holländerinnen gehandelt haben, die auch nach dem Krieg noch bei Sartorius arbeiteten. Siehe dazu auch die Erinnerungen eines ehemaligen holländischen Zwangsarbeiters und die Kollaboration bei den Belgiern und bei den Franzosen.

Eine besondere Gruppe stellen die niederländischen Kraftfahrer dar, die ab April 1942 beispielsweise für das Göttinger Betriebsamt und für die Spedition Uhlendorf arbeiteten. Auffällig ist nicht nur, dass einige von ihnen nur wenige Monate blieben, was entweder auf eine "Arbeitsflucht" oder auf Verträge über nur ein Vierteljahr schließen lässt; darüber hinaus wechselten zwei dieser Kraftfahrer zur Organisation Todt und ein weiterer meldete sich zur SS. Auch an ihrem Zwangsarbeiterstatus sind also Zweifel angebracht, obwohl in allen diesen Fällen zu bedenken ist, dass die westlichen Arbeiter in Deutschland regelmäßiger, massiver auch mit Drohungen versetzter Werbung, sich zur Waffen-SS zu melden, ausgesetzt waren. Siehe dazu die Erinnerungen des holländischen Medizinstudenten Lambert M.

Insgesamt arbeiteten von Mai 1943 bis Kriegsende in der Stadt Göttingen (einschließlich Geismar, Grone und Weende) nach neuesten Schätzungen etwa 1200 niederländische Zivilarbeiter.

Unterbringung/Lager:

  • Einzelne holländischen Zwangsarbeiter waren in Privatzimmern untergebracht, so beipielsweise die Arbeiter der Phywe und die erste Gruppe der Umschüler für Winkel.
  • Mehrheitlich aber waren die holländischen Zwangsarbeiter in den verschiedenen von der Reichsbahn genutzten Gasthauslagern untergebracht: Zwischen Januar 1941 und Februar 1943 im Lager Sültebeck, ab Oktober 1943 im der Bahnhofsgaststätte, ab spätestens Sommer 1944 im Gasthaus Engel, Rote Straße, Gasthaus Zur Ratte, Groner Landstraße und im Gasthaus Brauner Hirsch in der Zindelstraße, ebenfalls ab Sommer 1944 im Stadtcafé in der Goetheallee und spätestens ab November 1944 im Frankfurter Hof und wieder spätestens ab Dezember 1944 auch im Gasthaus Hegemann im Papendiek.
  • Die holländischen Umschüler für die Junkerswerke, die 1942 und 1943 in Göttingen waren, waren ebenfalls in Gasthäusern (Niedersächsischer Hof und Maschmühle) untergebracht. Die Gruppe der Umschüler, die im August 1943 nach Göttingen gekommen war und für Winkel arbeitete, wechselte im Januar 1944 in die Baracke von Winkel (Groner Landstraße 55).
  • Die holländischen Medizinstudenten waren in der ehemaligen Pförtnerloge der Augenklinik untergebracht.
  • Die Gruppe von 30 Studenten, die im Juni 1943 nach Göttingen gekommen war, war in dem von der Wehrmacht unterhaltenen Lager auf dem Egelsberg untergebracht.
  • Die holländischen Zwangsarbeiter, die im Oktober 1943 zur Reichsbahn kamen, waren in einem Lager der Firma Keim untergebracht. Die Reichsbahn nutzte außerdem eine eigene Baracke an der Liebrechtstraße, in der in erster Linie Tschechen und (West-)Ukrainer untergebracht waren, auch für Holländer.
  • Vor allem gegen Ende des Krieges waren Holländer dann auch in dem großen, in den Leinewiesen hinter dem Reichsbahnausbesserungswerk gelegenen Barackenlager "Auf der Masch" untergebracht.
  • Das holländische Baubataillon aus Hannover, das vom 25.1. bis 3.12.1944 Aufräumarbeiten in Göttingen ausführte, war in von der Stadt gemieteten Baracken auf dem Lohberg untergebracht.
  • Die holländischen Handwerker, die ab November 1944 für das Feldbekleidungsamt der Luftwaffe arbeiteten, waren direkt in dessen Räumlichkeiten untergebracht.
  • Nach einer Angabe aus dem Jahre 1949 sollen insgesamt 200 Niederländer im Lager Eiswiese untergebracht gewesen sein. Eine größere Gruppe von ihnen arbeitete für die Aluminiumwerke.


    Erinnerungen ehemaliger niederländischer Zwangsarbeiter

    Niederländische Künstler am Städtischen Theater Göttingen. Im November 1942 kam außerdem eine Gruppe von holländischen Musikern, die offenbar durch Deutschland tourten, für ein Gastspiel nach Göttingen.

    Niederländer im "Arbeitserziehungslager" Watenstedt

    Fluchtversuche von holländischen Zwangsarbeitern gegen Ende des Krieges

    Fotos von Cees Louwerse



  • Quellen:

    Die obigen Schätzungen für die Anzahl der niederländichen Zivilarbeiter beruhen auf der Auswertung und einer entsprechenden Hochrechnung von 24,12 % der insgesamt 1082 Kisten (Zahl bereinigt um Kisten mit ausschließlich typisch deutschen Namen wie Müller, Schmidt, Schulze) der alten Einwohnermeldekartei, die im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt wird; ergänzt durch: Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15; Register Fremdenpässe, ebd. Ordnungsamt acc. 1047/1991 Nr. 258; Kleine Erwerbung Nr. 192 (Betriebsdatei Winkel), ebd.; Statistiken August/September 1944, ebd. Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541f. , Bl. 544-547; Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12. 1945, Statistiken der Verbrauchergruppen und des Bedarfs an Lebensmitteln vom 19.10.1942-12.11.1944 (nicht vollständig vorhanden), ebd. Ernährungsamt Nr. 50, o.P.; Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Film 3; Beschäftigungsmeldungen 31.12.1944 R 12I/102 (Reichsgruppe Industrie), Bundesarchiv Berlin Lichterfelde.

    Zu den holländischen Medizinstudenten siehe Schreiben 7.7.1943, Rundschreiben 15.7.1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Hann 122 a Nr. 3283, Bl. 108 ff

    Cornelius J. K., Verlorene Jahre, Erinnerungen aus den Jahren 1943-1945, o.J. [2001].

    Fotos niederländische Zivilarbeiter, Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15.

    Literatur:

    Eckart Schörle, Gutachten zur Situation von "Zwangsarbeitern" bei der Firma Sartorius Göttingen während der Zeit des Nationalsozialismus, Göttingen im Juni 2000 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), S. 39 f.

    Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 58 ff.

     


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