Die "Polenerlasse" vom 8. März 1940

Die ständig zunehmende, in immer neuen Vorschriften sich niederschlagende Diskriminierung der polnischen Arbeiter wurde am 8. März 1940 in ein zusammenhängendes Erlaßpaket gegossen wurde.

Diese sog. Polenerlasse forderten jetzt einheitlich von den nachgeordneten Stellen, die Polen künftig mit einer besonders gekennzeichneten Arbeitserlaubniskarte mit Lichtbild zu versehen und sie soweit wie möglich geschlossen, also in Lagern oder zumindest getrennt von den deutschen Arbeitskräften unterzubringen. Außerdem sollte für die polnischen Zivilarbeiter ein nächtliches Ausgehverbot erlassen, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nur nach vorheriger Genehmigung gestattet und der Besuch deutscher Veranstaltungen kultureller, kirchlicher und geselliger Art sowie auch den Besuch von Gaststätten verboten werden. "Je nach den örtlichen Verhältnissen" konnte aber "eine oder mehrerer Gaststätten einfacher Art gegenbenfalls für bestimmte Zeiten" (Richtlinien des Reichsführer SS für die Verwaltungsbehörden 8.3.1940, abgedruckt in: Dokumenta occupationis, S. 15) zum Besuch freigegeben werden. Jedoch durfte kein Gaststätteninhaber gegen seinen Willen zur Aufnahme polnischer Arbeiter gezwungen werden. Verboten war nun auch der Besuch von deutschen Gottesdiensten. Nach den Märzerlassen durften Polen nur noch an speziell für die polnischen Arbeiter abgehaltenen Gottesdiensten teilnehmen, in denen jedoch keine Predigt gehalten und nicht polnisch gesprochen werden durfte.

Das Erlasswerk bestand aus insgesamt aus zehn verschiedenen Verordnungen und dazugehörigen Erläuterungen, und enthielt als die entwürdigendste Bestimmung auch eine "Polizeiverordnung über die Kenntlichmachung der im Reich eingesetzter Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums". In dieser Verordnung wurde bestimmt, das alle im Reichsgebiet zum zivilen Arbeitseinsatz eingesetzten Polinnen und Polen auf der "rechten Brustseite jedes Kleidungsstückes ein mit ihrer jeweiligen Kleidung fest verbundenes Kennzeichen stets sichtbar zu tragen" haben: "Das Kennzeichen besteht", so hieß es weiter in der Verordnung, "aus einem auf der Spitze stehenden Quadrat mit 5 cm langen Seiten und zeigt bei ˝ cm breiter violetter Umrandung auf gelbem Grunde ein 2 ˝ cm hohes violettes P." (Reichsgesetzblatt 1940 I, Nr. 55, S. 555, abgedruckt in: Documenta occupationis, X, S. 17 f.)
Wer dieses Abzeichen - fünf davon hatte jeder polnische Arbeiter zum Stückpreis von 10 Pfennig zu erwerben - nicht trug, wurde mit einer Geldstrafe von 150 Reichsmark oder Haft bis zu 6 Wochen bestraft. Dies war die erste öffentliche Kennzeichnung von Menschen im Dritten Reich, nach deren Muster im September 1941 der Judenstern eingeführt wurde.

Das Verordnungspaket vom März 1940 enthält auch Begründungen und diese zeigen, dass den restriktiven Polenverordnungen nicht nur und vielleicht noch nicht einmal in erster Linie polizeiliche oder sicherheitspolitische Überlegungen zugrundelagen, sondern dass diese vor allem der unverhohlene Ausdruck der rassistischen NS-Ideologie waren, mit der der massenhafte Arbeitseinsatz von "rassisch-fremden" "minderwertigen" Ausländern eigentlich unvereinbar war. Dabei stand man vor dem Problem, dass sich nicht alle durch den Arbeitseinsatz von Ausländern entstehenden Alltagssituationen legeslativ vorhersehen und durch Verordnungen regeln ließen. Man war deshalb auf die "Einsicht" des deutschen Volkes angewiesen:

"Der Aufenthalt von fast einer Million Polen im Reich macht es […] erforderlich, dass nicht nur der Arbeitseinsatz als solcher geregelt, sondern darüber hinaus auch die Lebensführung der Polen durch umfassende Massnahmen geordnet werden muss, um einem dem Zweck des Arbeitseinsatzes abträglichen Verhalten der Polen entgegenzuwirken und unerwünschte Erscheinungen in ihrem Verhältnis zur deutschen Bevölkerung zu verhindern. […] Der Masseneinsatz von Arbeitern fremden Volkstums in Deutschland ist so einmalig und neuartig, dass dem deutschen Volk für das notwendige Zusammenleben mit den Fremdstämmigen keine bindenden, ins Einzelne gehenden Vorschriften gemacht werden können. Der Belastungsprobe, die dem deutschen Volk in volkstumpolitischer Hinsicht dadurch gestellt wird, muss die innere Festigkeit des Volkes entgegengestellt werden. Hier ist es vor allem Aufgabe der Partei und ihrer Gliederungen, durch stete Aufklärung dem Volk die Gefahren aufzuzeigen und ihm den notwendigen Abstand gegenüber den polnischen Arbeitern erkenntlich zu machen." (Erläuterungen 8.3.1940, abgedruckt in: Documenta occupationis X, S. 8-11, hier S. 9 f.)

Dementsprechend begann die NSDAP Mitte März 1940 eine große Propagandakampagne, um die Prinzipien und Vorschriften der Märzerlasse zu verbreiten. So wie jeder Pole bei Arbeitsantritt in Deutschland nunmehr ein Merkblatt vorgelesen bekam, in dem ebenso brutal wie eindeutig festgestellt wurde: "Wer lässig arbeitet, die Arbeit niederlegt, andere Arbeiter aufhetzt, die Arbeitsstätte eigenmächtig verläßt usw., erhält Zwangsarbeit im Konzentrationslager. […] Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt, wird mit dem Tode bestraft" (Pflichten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums während ihres Aufenthaltes im Reich 8.3.1940, abgedruckt in: Documenta occupatonis X, S. 19) - so wurde jeder deutsche Arbeitgeber künftig nicht nur darüber belehrt, dass er sich stets bewußt zu sein habe, dass die ihm unterstellten Zivilarbeiter polnischen Volkstums Angehörige eines Feindesstaates seien, sondern auch über seine "Pflichten gegenüber dem deutschen Blut" aufgeklärt:

"So wie es als größte Schande gilt, sich mit einem Juden einzulassen, so versündigt sich jeder Deutsche, der mit einem Polen oder einer Polin intime Beziehungen unterhält. Verachtet die tierische Triebhaftigkeit dieser Rasse! Seit rassenbewußt und schützt eure Kinder. Ihr verliert sonst euer höchstes Gut. Eure Ehre." (Merkblatt "Wie verhalten wir uns gegenüber den Polen?", NSDAP-Stabsleitung 15.3.1940, zitiert nach Herbert, Fremdarbeiter, 1985, S. 80)

Hier ging es nicht mehr nur um die allgemein in Deutschland auch schon vor dem Krieg verbreitete Verachtung des "faulen", "widersetzlichen" und "dreckigen Polen". Hier ging es um die "Wahrung des deutschen Volkstum", um die "völkische" Gefahr, die von dem triebgesteuerten, primitiv-brutalen Polen ausging, der seit Kriegsbeginn die nationalsozialistische Greuelpropaganda beherrschte. Spätestens damit wird der spezifische Charakter der sog. Märzerlasse deutlich. Es handelte sich eben nicht um Rechtsnormen im engeren Sinne, sondern um die Kodifizierung einer Haltung: um die rechtsförmige Festlegung der Überlegenheit der "deutschen Herrenrasse" gegenüber dem "polnischen Untermenschen".

Arbeitsrecht der Polen

1942 von Hans Küppers und Dr. Rudolf Bannier verfasstes Arbeitsrecht der Polen im Deutschen Reich (Private Wirtschaft und Öffentlicher Dienst)

 

Geitel Fahnenfabrik

Rechnung der Firma Geitel über 400 an die Stadt Göttingen gelieferte "Polenabzeichen"
Hergestellt wurden die Polenabzeichen von einer bis heute bestehenden Berliner Fahnenfabrik, die inzwischen als BEST Berliner Stoffdruckerei GmbH firmiert und sich immer noch im Besitz der Familie Geitel befindet. Diese Firma, die auch im Jahre 2011 auf ihrer Webseite noch immer scheinbar neutral ganz offen von dem Aufschwung berichtet, den die Firma durch den "enormen Fahnenbedarf des Dritten Reiches" genommen habe, produzierte später auch die "Judensterne" und die "Ost"-Abzeichen für die Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion.

 

Polenabzeichen

Die sog. Polenerlasse vom 8. März 1940 zwangen jeden polnischen Arbeiter in Deutschland ein violettes P auf gelbem Grund gut sichtbar an der Kleidung zu tragen.

 

Quellen:

Documenta Occupationis (hg. vom Instytut Zachodni Posnan), Band X: Praca Przymusowa Polaków Pod Panowaniem Hitlerowskim 1939-1945, Posnan 1976 (mit deutscher Einleitung und ausschließlich deutschen Dokumenten), darin:
Göring an die obersten Reichsbehörden 8.3.1940 mit Erläuterungen, S. 7-11;
Richtlinien des Reichsführer SS für die Verwaltungsbehörden 8.3.1940, S. 11-17;
Reichsgesetzblatt 1940 I, Nr. 55, S. 555, S. 17 ff.;
Reichsführer SS an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten 8.3.1940, S.38;
Pflichten der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums während ihres Aufenthaltes im Reich 8.3.1940, S. 18 f.;
Merkblatt für deutsche Betriebsführer über das Arbeitsverhältnis und die Behandlung von Zivilarbeitern polnischen Volkstums 8.3.1940, S. 20.

Merkblatt "Wie verhalten wir uns gegenüber den Polen?", NSDAP-Stabsleitung 15.3.1940, zitiert nach: Ulrich Herbert, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin / Bonn 1985, S. 80; auch abgedruckt als Dokument 3 in: Janet Anschütz, Irmtraud Heike, Feinde im eigenen Land. Zwangsarbeit in Hannover im Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2000, S. 244 ff.

Rechnung Polenabzeichen 30.9.1940, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 404 v.

Literatur:

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin / Bonn 1985, S. 70-81.

Diemut Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements (Schriften des Bundesarchivs 28), Boppart am Rhein 1981, 128-131.


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