Strafen und Vergehen

Viele Straftatbestände, die dann unerbittlich verfolgt und mit zum Teil drastischen Strafen belegt wurden, wurden durch die NS-Ausländergesetzgebung erst geschaffen, wie etwa die in den Polen- und "Ostarbeitererlassen" festgelegte Kennzeichnungspflicht oder der "verbotene Umgang" mit Deutschen, und machte die ausländischen ArbeiterInnen, wie dies auf gleiche Weise auch den Juden geschah, auch statistisch zu einer großen Gruppe von vorgeblich Kriminellen (vgl. dazu auch das für Tschechen schon im Sommer 1939 geschaffene Sonderrecht).

Bei Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht drohte eine Geldstrafe oder Gefängnis, bei Verweigerung der Arbeit oder nachlässiger Arbeit, was als Sabotage ausgelegt werden konnte, Einweisung ins KZ oder in eins der seit März 1940 bestehenden sog. Arbeitserziehungslager, die zur Disziplinierung und Abschreckung der gesamten arbeitenden Bevökerung geschaffen worden waren, deren Häftlinge aber zu zwei Dritteln ausländische Zwangsarbeiter waren. Flüchtige ausländische Arbeiter, die in den ersten Jahren noch dem Arbeitsamt zur Neuvermittlung zugeführt wurden, waren seit 1944 in ein KZ einzuweisen. Auf Geschlechtsverkehr mit Deutschen stand für Polen und "Ostarbeiter" die Todesstrafe. Insgesamt galt für Strafverfolgung der Zwangsarbeiter nicht das deutsche Strafrecht, sondern die Erlasse des Gestapochefs Himmler, auch in den Fällen, in denen es sich wie etwa bei Diebstahl nicht um spezifische Zwangsarbeiterdelikte handelte. Insbesondere für die polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiter bedeutete dies die ständige latente Präsenz der Gestapo im alltäglichen Leben.

Außerhalb der von der Gestapo kontrollierten Gefängnisse und Lager hatten auch die Betriebe vor allem gegenüber osteuropäischen Zwangsarbeitern sehr weitgehende Strafbefugnisse, die sie in ihren Lagern exerzierten. So konnten Betriebe in eigener Verantwortung polnische und sowjetische Zwangsarbeiter mit Rationenkürzungen, Entziehung der warmen Tagesverpflegung, Arrest in einer extra eingerichteten Arrestzelle auf dem Lagergelände, Zuteilung zu einem Straftrupp und körperlicher Züchtigung bestrafen (siehe dazu beispielsweise auch die Erinnerungen der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen von Schöneis (später Reichsbahn). Darüber hinaus waren, was Demütigungen und Erniedrigungen anging, der Fantasie der Betriebs- und Lagerleiter keine Grenzen gesetzt: So wurde im größten Göttinger Ostarbeiterlager Schützenplatz nicht nur geprügelt, sondern auch Frauen in den Waschräumen eingesperrt, ihnen das warme Wasser abgedreht, so lange gewartet, bis sie vor Kälte steifgefroren waren, und sie anschließend gezwungen, nackt in ihre Baracken zu laufen.

Über tausend Zwangsarbeiter saßen insgesamt zwischen November 1940 und März 1945 im Göttinger Polizeigefängnis ein, die Einweisung in ein "Arbeitserziehungslager" ist für Göttinger Zwangsarbeiter in mehreren Fällen belegt; KZ-Haft ist in den Akten für Serben belegt; außerdem wissen wir von einzelnen Zwangsarbeitern, anderer Nationalität, die in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert wurden. Dass in Göttingen Hinrichtungen stattfanden oder Göttinger Zwangsarbeiter zum Tode verurteilt wurden, dafür fehlen konkrete Hinweise, was nicht bedeutet, dass es dies nicht gegeben hat. Die Leichen von Hingerichteten wurden in der Regel an das anatomische Institut der Universität Göttingen als Anschauungsmaterial für Medizinstudenten abgeliefert. In den überlieferten Abgabelisten findet sich jedoch ebensowenig wie in den Göttinger standesamtlichen Sterbebüchern oder anderen überlieferten Quellen kein eindeutiger Hinweis auf eine in Göttingen stattgefundene Hinrichtung. Das ist für den Landkreis Göttingen anders, für den mehrere öffentliche Hinrichtungen dokumentiert sind. Damit ist jedoch weder ausgeschlossen, dass es nicht auch in Göttingen selbst solche Hinrichtungen gegeben hat, noch dass nicht auch Göttinger Zwangsarbeiter beispielsweise in einem Arbeitserziehungslager, einem KZ oder aus einem Nicht-Göttinger Gefängnis, in das sie überführt worden waren, mit dem Tode bestraft worden sind.

 

Disziplinierung in den Betrieben und Lagern

 

Gefängnis (Gestapohaft)

 

"Arbeitserziehungslager"

 

KZ

 

Todesstrafe

 



Quellen und Literatur:

Prüger, Kathrin, Osteuropäische Zwangsarbeiter (1939-1945) im Regierungsbezirk Braunschweig. Untersuchungen zu ihren Lebensbedingungen und ihrem Verhältnis zur deutschen Bevölkerung, Staatsexamensarbeit Göttingen 1988 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), insb. S. 44 ff.

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 168-180.

Günther Siedbürger, Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 19139-1945, hg. vom Landkreis Göttingen, Duderstadt 2005, S. 491-496.

Cordula Tollmien, Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Göttinger Stadtverwaltung während des Zweiten Weltkriegs (Fassung ohne Namensnennungen), Göttingen Dezember 2000, S. 76 f., S. 79, S. 82.

Häftlingslisten 1940-1945, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 8 Nr. 9; Schreiben von Olga Aleksejwena T., geb. 15.4.1925, vom 6.12.2000, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, vgl. auch Cordula Tollmien: „Jetzt kann ich sterben“ - Begegnungen mit ehemaligen Göttinger Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen. Vortrag gehalten auf Einladung der Universität des Dritten Lebensalters an der Universität Göttingen am 24. Oktober 2003 (leicht überarbeitet im August 2011), S. 13.

 


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