NS-Zwangsarbeit: Lager Sültebeck Umbau 1942/43

Im November 1942 unterrichtete Kontrolloffizier Herrnkind die städtischen Behörden, daß das Lager Sültebeck gründlich umgebaut werden müsse. Die Gefangenen könnten nicht mehr nur in einem Saal untergebracht werden, sondern bräuchten je einen separaten Tages- und Schlafraum. Die 3-stöckigen Pritschen müßten durch 2-stöckige Einzelbetten ersetzt werden. Die Waschbaracke müsse Wände erhalten, durch die der Frost nicht eindringen könne und außerdem dürfe das Lager nicht mit mehr als 100 Gefangenen belegt werden. Gleichzeitig informierte er insgesamt zehn der Firmen, die bisher das Lager genutzt hatten (die Autohallen Opel, die Göttinger Kohlenhändler, die Getreidehandlung Günther, den Landesproduktenhandel Henjes, das Fuhrunternehmen Quentin und die Firma Sartorius, Feinprüf und "Schneider & Co) dass sie ihre Gefangenen nun in einem eigenen Lager unterbringen müssten - vorbildlich seien hier die Baracken, die die Firma Feinprüf auf der Eiswiese und die Firma Schneider & Co in Weende erstellt hätten. Die Gefangenen, die beim Gaswerk beschäftigt waren, konnten dagegen im Lager bleiben und auch die Gefangenen von Sartorius waren nach den vorliegenden Unterlagen bis zur Zerstörung des Lagers im November 1944 weiter im Lager Sültebeck untergebracht.
Die Stadt trat daraufhin in erneute Verhandlungen mit der Südhannoverschen Zeitung und mietete zu dem bereits von ihr genutzten Saal und den beiden Räumen für die Wachmannschaften noch den Schankraum (als Tagesraum für die Gefangenen) und die dazugehörige Küche, die zum Waschraum umgebaut werden sollte. Außerdem übernahm die Stadt auch noch zwei Räume, in denen die Reichsbahn unabhängig vom städtischen Kriegsgefangenenlager seit Juli 1940 ein kleines Lager für Tschechen und spätestens seit Oktober 1941 auch für Belgier unterhalten hatte (die Wehrmacht stellte der Reichsbahn zum Ausgleich dafür zwei Baracken zur Verfügung). In einem dieser Räume sollte eine Krankenstube, im anderen eine Registrierstube für die Gefangenen eingerichtet werden. Im Keller war ein Luftschutzraum für die Wachmannschaften geplant. Die von Ludwig Bürger bis dahin noch weiter betriebene Gastwirtschaft wurde am 1. Dezember 1942 geschlossen (Bürger erhielt von der Stadt für seinen Verdienstausfall eine monatliche Entschädigung von 250 RM). Einen Speisesaal behielt die Südhannoversche Zeitung als Essraum für ihre eigenen Betriebsangehörigen. Im Hause befanden sich demnach außer dem städtischen Gefangenenlager und dem von der Südhannoverschen Zeitung genutzten kleinen Saal nur noch drei privat vermietete Wohnungen (auch Bürgers wohnten weiter im Haus). Der neue Mietvertrag wurde am 12. Juni 1943 geschlossen. Dabei stellte die städtische Preisstelle fest, daß die Südhannoversche Zeitung in den vergangenen Jahren für das gesamte Objekt mehr als 1000 RM jährlich über die gesetzlich zulässige Miete eingenommen hatte. Die Miete wurde daher drastisch gesenkt, und so zahlte die Stadt trotz der erheblichen Erweiterung des Lagers nicht sehr viel mehr als vorher für den Saal allein. Eine Rückforderung gegenüber der Südhannoverschen Zeitung scheint es allerdings nicht gegeben zu haben.

Mit dem Umbau hatte die Stadt spätestens im April 1943 begonnen, doch ist aus den Akten nicht erkennbar, wann er abgeschlossen war. Ab April 1943 verringerte sich auch, wie gefordert, die Belegzahl des Lagers, doch wurde die festgelegte maximale Belegung von 100 Mann erst Anfang 1944 erreicht. Die Zahl der Gefangenen stieg dann im Mai 1944 noch einmal auf durchschnittlich etwa 130, um dann ab Ende August 1944 auf 70 abzusinken, woran sich bis Kriegsende nichts Wesentliches änderte. Die von der Stadt anfänglich gefürchtete "Katastrophe einer Auflösung des Lagers" konnte also abgewendet werden.


Literatur und Quellen:

Kontrolloffizier Fallingbostel an verschiedene Firmen 4.11.1942, Sartorius an Kontrolloffizier Fallingbostel 6.11.1942, Kontrolloffzier an Bauamt 7.11.1943, zwei Aktennotizen 10.11.1942 (Zitat), Südhannoversche Zeitung (SHZ) an Frey 5.12.1942, Aktennotiz 8.12.1942, Reichsbahn an DAF, weiter an Stadtbaudirektor Frey, 7.12.1942, Aktennotiz Frey 10.12.1942, Aktennotiz 23.12.1942, Wirtschaftsgruppe Gaststätten und Beherbergungsgewerbe Kreisgruppe Göttingen an Frey 25.12.1942, Bescheinigung des Oberbürgermeisters (OB) 8.2.1943, SHZ an Frey 11.2.1943, Preisstelle an Oberbürgermeister 8.3.1943, Aufstellung o. D. (wahrscheinlich zur Mietberechnung 8.3.1943), Reichsbahn an OB 9.3.1943, Provinzialdienststelle an OB o. D. (Eingang 2.4.1943), OB an OKW 14.4.1943, OB an SHZ 17.4.1943, Baubevollmächtigter des Reichsministeriums Speer an OB, 22.4.1943, SHZ an OB 22.4.1943, Schreiben an Frau Brüger 3.5.1943, SA an SHZ 7.6.1943, Übernahmeprotokoll, handschriftlich, Entwurf, noch mit Mai Datum (später 8.6.1943 hinzugefügt), Mietvertrag 12.6.1943, SHZ an OB 16.6.1943, Aktennotiz 21.6.1943, Zusatzmietvertrag 2.12.1943; Übergabe an neuen Kommandoführer 3.11.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 52, o. P.

Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12.1945, Stadtarchiv Göttingen Ernährungsamt Nr. 50, o. P.

Cordula Tollmien: Zwangsarbeiter der Göttinger Stadtverwaltung, Stand Dezember 2000, unveröffentlichter Bericht, insb. S. 19 f.

 


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