NS-Zwangsarbeit: Stellungnahme der Ortspolizei Göttingen zu den Arbeitsbedingungen der polnischen Zwangsarbeiter bei der Firma Fritz Keim 31. Januar 1940

Anlass für diese Stellungnahme war die Sorge des Arbeitsamts Göttingen, die polnischen Zwangsarbeiter könnten in Kontakt mit der deutschen Bevölkerung kommen:„Die Berührung mit der deutschen Bevölkerung soll weitmöglichst erschwert werden. Vielleicht lässt es sich z.B. auch erreichen, dass der Kirchenbesuch möglichst nicht mit der deutschen Bevölkerung zusammen erfolgt.“ (Arbeitsamt Göttingen an Oberbürgermeister 9.1.1940, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 375)

Transkription:
„Die bei der Firma Fritz Keim, hierselbst, beschäftigten polnischen Arbeiter sind durch ihre Unterbringung in dem Massenquartier auf dem Keim’schen Lagergrundstück, Maschmühlenweg 50, schon an sich an einer ständigen Berührung mit der deutschen Bevölkerung wesentlich behindert. Auf der Arbeitsstelle beim Bahnoberbau werden diese Polen auch meist geschlossen in Trupps beschäftigt und kommen hier auch weniger mit hiesigen Arbeitern in Berührung. Außerdem befinden sie sich dort ständig unter Aufsicht. Nach Feierabend gehen die polnischen Arbeiter geschlossen nach der Gastwirtschaft „Maschmühle“, wo sie ihr einmaliges warmes Essen am Tage einnehmen. Nach dem Abendessen begeben sie sich meist in ihr in der Nähe der Maschmühle gelegenes Quartier, wo sie sich bislang auch bis zur ihrem Schlafengehen aufgehalten haben. Mit wenigen Ausnahmen haben die polnischen Arbeiter ihr Quartier in der Freizeit nicht ver-lassen. Sie vertreiben sich die Abendzeit meist mit Kartenspiel, Gesprächen und In-standsetzung ihrer Kleidungsstücke. Auch in ihrer Freizeit an Sonntagen haben bislang nur wenige Polen ihr Quartier verlassen. Das Bedürfnis zum Kirchenbesuch hat sich bislang bei diesen polnischen Arbeitern noch nicht allgemein geltend gemacht. Lediglich einige von ihnen haben an Sonntagen den katholischen Gottesdienst hier besucht. Bei diesen Personen handelt es sich um solche, die außer ihrer Arbeitskleidung noch einen anderen Anzug in Besitz haben. Die meisten der polnischen Arbeiten haben bis jetzt nur einen Anzug in Besitz, den sie auch bei der Arbeit tragen. Dieser Umstand sowie auch ihre Müdigkeit mag vielleicht die meisten von ihnen bislang vom Kirchenbesuch abgehalten haben. Das Erscheinen einiger von ihnen zum Kirchenbesuch ist bisher noch nicht aufgefallen. Es würde dieses auch kaum sonderlich in Erscheinung treten, wenn mehrere von ihnen die Gottesdienste zu verschiedenen Zeiten besuchen und sie sich auf die beiden hiesigen katholischen Kirchen verteilen. Polnische Saisonarbeiter haben auch in früheren Jahren die hiesige katholische Kirche besucht, ohne daß dieses sonderlich aufgefallen wäre. Eine seelsorgerische Betreuung, wie dieses bei den polnischen Kriegsgefangenen seitens der katholischen Kirche geschieht, kommt in diesem Falle nicht in Frage, da es sich bei diesen Polen um Zivilarbeiter handelt, die in ihrer Freizeit am Sonntag am Ausgehen nicht behindert sind. Zu einer besonderen Maßnahme für den etwaigen Kirchenbesuch der Polen liegt nach den zur Zeit bestehenden Verhältnissen kein Anlass vor.
2)
In gesundheitspolizeilicher Hinsicht ist für die Berührung der Polen mit der deutschen Bevölkerung durch die ärztliche Überwachung und die bereits erfolgten Entlausungen vorgebeugt." (Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 377).

Faktisch war allerdings vor allem die "ärztliche Überwachung" mehr als mangelhaft.

"Um die ohnehin bestehenden Gefahren nicht durch Alkoholmissbrauch zu vermehren", hatte das Arbeitsamt außerdem ein Alkoholverbot für die Polen angeregt. Dazu stellte die Ortspolizei unter Punkt 3 auf der Rückseite des Berichts (hier nicht abgebildet) fest:

„Hinsichtlich des Alkoholmißbrauchs durch die Polen ist festgestellt, daß diese bislang größere Mengen von Alkohol nicht verbraucht haben. Sie trinken meistens Flaschenbier, besonders Malzbier, das sie sich auch der Gastwirtschaft „Maschmühle“, wo sie verpflegt werden, mitbringen. Hin und wieder haben auch einige der Polen Branntwein getrunken, jedoch meist nur in solchen Fällen, wenn sie erkältet waren oder infolge der ungewohnten Kost Magenbeschwerden hatten. Hierbei hat es sich aber meist nur um den Konsum von wenigen Schnäpsen gehandelt. Der Gastwirt Sigburg [richtig Sieburg - C.T.] ist erneut angewiesen, den Polen möglichst wenig Branntwein zu verabfolgen. Sigburg hat dieses auch bislang schon so gehalten und an Polen nur in den vorerwähnten Fällen Branntwein ausgeschenkt. Er hat angeblich auch kein Interesse daran, den ihm unter den heutigen Verhältnissen nur in begrenzter Menge zur Verfügung stehenden Branntwein an die Polen zu verkaufen, sondern will diesen möglichst an seine deutschen Gasthausbesucher ausschenken.
Unter diesen Umständen wird ein besonderes Alkoholverbot für die Polen zur Zeit nicht für erforderlich gehalten." (Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 377 v.)

Siehe zu diesem Text ausführlicher:
Cordula Tollmien: "Die Überwachung der polnischen Arbeitskräfte wird nach wie vor täglich ausgeübt" - polnische Zwangsarbeiter in Göttingen von November 1939 bis Frühsommer 1940, unveröffentlichtes Manuskript 2004 (mit geringfügigen Änderungen im September 2011).

 


 Impressum