Anna Jakowlena M., geb. 2.6.1922, deportiert im Mai 1942 (Haushaltshilfe in einem Studentenpensionat) |
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Anna Jakowlewna, die nach dem Krieg im Charkower Leichtindustrie-Technikum unterrichtete, wurde gemeinsam mit einer Reihe anderer junger Mädchen aus ihrem Dorf bei Charkow deportiert. Zumindest eine davon leistete dann in Göttingen ZWangsarbeit bei Winkel. Sie selbst kam in ein Studentenpensionat, das sich weder örtlich noch personell genau identifizieren ließ, was aber bei den vielen privaten Pensionaten in der Studentenstadt Göttingen und angesichts des häufigen Namens "Wagner" nicht verwunderlich ist. Anna Jakowlewna schrieb über ihre Zwangsarbeit in Göttingen: Ich arbeitete bei Frau Martha Wagner, die ein Pensionat für Studenten unterhielt. Sie hatte eine Tochter, Charlotte und bei ihnen wohnte noch eine alte Frau. Das Pensionat befand sich neben dem Konzlager für die Kriegsgefangenen. Ich bin in diese Arbeit durch das Arbeitsamt gekommen, zu dem wir alle gefahren wurden. Einige von uns wurden von einer Fabrik genommen, andere wurden Dienstmädchen. Meine Herrin erwies sich als sehr böse, sie hat mich brutal geprügelt. Ich wurde von der Herrin im Dachgeschoß einquartiert, wo ich nicht in voller Größe stehen konnte. Ich arbeitete von morgens früh bis abends spät. Ich hatte keine freien und keine Feiertage. Ich habe geputzt, serviert, gewaschen u.s.w. Ich arbeitete von 6.00 bis 23.00 Uhr ohne freie Tage und Urlaub. Nachts arbeitete ich nicht. Das Haus zu verlassen, war mir nicht erlaubt. Wenn ich zum Laden gehen musste, um Lebensmittel für die Studenten zu besorgen, musste ich unter der Aufsicht eines deutschen Dienstmädchen gehen. Die Herrin hat mich brutal geprügelt. Ich bin von ihr zum Arbeitsamt gelaufen und habe dort gebeten, mir eine andere Arbeit zu geben. Dort wurde die Herrin ermahnt, aber ich wurde wieder zu ihr zurückgetrieben. Mir hat keiner geholfen. Ich wurde schlecht ernährt (Wasser, Brot, Suppe). Wie oft am Tag, erinnere ich mich nicht, etwa einmal. Nachdem ich von meiner Herrin zum Arbeitsamt gelaufen war, wurde ich zurückgetrieben, aber danach etwas besser ernährt. Ich bekam kein Geld. In der Kleidung, in der ich angekommen bin, in der bin ich auch wieder abgefahren. In den Schuhen, in denen ich angekommen, in denen bin ich auch wieder abgefahren. Oft hatte ich wegen der schlechten Ernährung Magenschmerzen. Abschließend fügte sie noch ein paar persönliche Zeilen hinzu: Mir ist es sehr schwer gefallen, mich an diese Zeiten zu erinnern. Ich bin jetzt nicht mehr jung. Woran ich mich erinnert habe, das habe ich geschrieben. Ich habe eine Bitte an Sie. Wenn sie die Tochter der Herrin suchen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Ich war damals sehr jung und habe meine Sklaverei und den schlechten Charakter meiner Herrin sehr schwer ertragen. Ihre Tochter aber hat mich oft beruhigt und hat versucht, mir meine Sklaverei zu erleichtern. Sie hat sehr schön Klavier gespielt und, es scheint mir so, dass sie in einem Theater gearbeitet hat." Leider ließ sich dieser Wunsch nicht erfüllen. |
Auf der Rückseite des Portraits befindet sich ein schwacher Stempel des Fotografen Blankhorn mit seiner Adresse in Göttingen: Straße der SA 35 (Weender Straße).
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Zu dem Foto schrieb Anna Jakowlewna:
"Ich schicke Ihnen ein Foto von mir von damals, das mir die Herrin geschenkt hat. Die Kleidung für das Foto hat sie mir gegeben und danach hat sie sie mir wieder weggenommen. Auf der Rückseite des Fotos war ein rundes Siegel [vom Fotografen - C.T.], das ich ausradiert habe, weil ich nicht wollte, dass jemand etwas über meinen Aufenthalt in Deutschland während des Krieges erfährt.
Das erklärt, warum so viele Zwangsarbeiter auf den Fotos von Blankhorn auch dann, wenn diese während des Krieges aufgenommen wurden, so gut gekleidet sind.
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Fragebogen Anna Jakowlewna M., geb. 2. Juni 1922, ohne Datum (Eingang 21.2.2001), mit Foto, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, Korrespondenz und Foto-CD.