Tamara Borisowna P., geb. 1.1.1929, im Juli 1942 als 13jährige deportiert (Ruhstrat, Schlachthof) |
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Tamara Borisowna, geb. am 1.1.1929, wurde im Juli 1942 als 13jährige nach Deutschland deportiert. Ohne Halt wurden sie – bewacht von zwei Soldaten, die in den Fronturlaub fuhren - im Güterwagen über Litzmannstadt (so die damalige NS-Bezeichnung für Łódź) in das Durchgangslager Lehrte gefahren. Weil sie ein hochgewachsenes großes Mädchen war und natürlich keine Papiere hatte, wurde dort ihr Geburtsjahr auf 1924 geschätzt. Mit 37 anderen ZwangsarbeiterInnen wurde sie von der Firma Ruhstrat "ausgewählt" und in das von der Firma betriebene Lager Tonkuhle gebracht. Das war eines der schlimmsten Lager in Göttingen – eingerichtet in einer alten Ziegelei, am Boden eines ausgebeuteten Tonlagers, so dass man den Himmel nur sah, wenn man den Kopf in den Nacken legte und so feucht, dass die Baracken auf Klötzen über dem Boden schwebend errichtet werden mussten. Bei Ruhstrat arbeitete sie zunächst an der Drehbank, dann füllte sie Akkumulatoren mit Spezialsäure auf und wurde schließlich an eine Fräsmaschine versetzt und zwar in der Nachtschicht. Sie war so müde, dass sie die Maschine laufen ließ, auf die Toilette ging und dort einschlief. Der Meister entdeckte sie schlafend in der Toilette und begoss sie mit kaltem Wasser. Sie schreckte auf und berührte dabei den Meister. Das wurde so ausgelegt, als hätte sie ihn geschlagen. Sie kam daraufhin strafweise zu den Pelikanwerken nach Hannover, wo sie Kleber in Flaschen abfüllte, und von dort nach einem Monat wieder nach Göttingen: "Du hast einen deutschen Mann gestoßen, dafür musst du im Schlachthof arbeiten", wurde ihr von der Polizei gesagt. Im Schlachthof arbeiteten viele Zwangsarbeiter, sie produzierten Konserven für die Front. Die Arbeit (Hühner und Gänse töten) war so schrecklich für sie, dass sie sich nach nur einer Woche entschloss zu fliehen. Zwei Tschechen, die dort als Maschinisten arbeiteten, halfen ihr dabei. Sie nutzte einen Bombenangriff (wahrscheinlich Ende November 1944) und kam tatsächlich bis ins Protektorat, dort wurde sie aufgegriffen und kam in ein Gefängnislager bei Teresin. In einem Pferdestall waren dort Zwangsarbeiter verschiedener Nationalitäten inhaftiert, darunter auch eine deutsche Frau, die eine Beziehung zu einem Zwangsarbeiter gehabt hatte, Frauen, deren Männer tschechische Partisanen waren etc. Ende März 1945 wurde sie befreit und zu einem Bauern geschickt, und musste dort die Kühe versorgen, vor denen sie schreckliche Angst hatte (sie war damals etwas über 16 Jahre alt). Sie floh wieder, und wurde von Tschechen bis zum Einmarsch der Roten Armee versteckt. "Ich habe gesehen", schrieb sie, "wie gut die Menschen in der Tschechoslowakei lebten". Sie lernte einen Tschechen kennen, den sie im Januar 1946 (17jährig) heiratete. Nur einen Monat später im Februar 1946 wurde sie im Zuge des stalinistischen Repatriisierungsprogramms aus Prag abtransportiert und kam in der Sowjetunion ins Lager. Sie schrieb: "In der Sowjetunion musste ich zehn Jahre absitzen (ich war eine Verräterin) und fünf Jahre hatte ich kein Stimmrecht. Ich musste auch ein Schild 'ND2-494' tragen wie in Deutschland den Aufnäher mit der Aufschrift 'Ost'. Erst nach dem Tod von Stalin wurden wir Verräter befreit, das war im Jahre 1954, aber bis dieser Erlass in Kolyma bekannt wurde, habe ich viel Wald abgeholzt." Sie konnte das Lager erst 1956 verlassen. Ihren tschechischen Mann hat sie nie wieder gesehen, sie bekam zwei Söhne, ohne wieder zu heiraten. Tamara Borisowna P. wohnt nach wie vor im Wald (auf der Krim), sie wurde erst 1996 rehabilitiert, bis dahin standen sie und ihre Söhne unter Staatsaufsicht. Sie schrieb: „Man kann sagen, im Leben habe ich nicht viel Gutes erlebt. Ich habe keine richtige Bildung, habe nur bis zur 4. Klasse die Schule besucht, im November 1941 kamen deutsche Soldaten, die sich in unserem Haus einquartiert haben. Die haben unsere Zimmer beschlagnahmt, wir mussten im Flur übernachten. Meine Großmutter musste für die Soldaten Wäsche waschen und ich sollte einem deutschen Offizier das Essen servieren. Ich habe mich geweigert und deswegen wurde ich nach Deutschland verschleppt.“
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Tamara Borisowa P. - das Foto wurde während ihrer Zwangsarbeit in Göttingen aufgenommen.
Tamara Borisowa P. im Lager Magadan 1953 - nach dem Tod von Stalin durfte Tamara ohne Bewachung Kohl vom Feld abfahren. Tamara Borisowa P. im September 2005 |
Briefe Tamara Borisowna P., ohne Datum (Eingang 11.3.1996), 24.3.1996, 4.8.2001 (Zitate), 24.9.2005 und Fotos, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, Korrespondenz und Foto-CD.