Das KZ-Außenkommando Buchenwald in Göttingen

Kommentierte Häftlingsliste

zusammengestellt von Dr. Cordula Tollmien
im Februar 2001

mit Ergänzungen zur SS-Kavallerie-Schule
vom 28. Oktober 2003 und weiteren Ergänzungen
zu einzelnen Häftlingen vom 27. November 2018

 

Angesichts des eklatanten Arbeitskräftemangels entschied die SS-Führung Anfang 1942, auch KZ-Häftlinge für die Kriegswirtschaft zu mobilisieren. Die breite und effiziente industrielle Nutzung der KZ-Arbeitskräfte wurde jedoch zunächst durch die Vorgabe eingeschränkt, daß sich die Fabrikationsanlagen innerhalb der KZs befinden mußten, wozu sich nur wenige Unternehmen bereitfanden. Doch im September 1942 setzte Rüstungsminister Speer bei Hitler durch, der Industrie die notwendigen Arbeitskräfte unter der Voraussetzung zu überstellen, dass direkt bei den Rüstungsbetrieben KZ-Außenlager errichtet würden.

Bis Ende 1942 wurden im Konzentrationslager Buchenwald dementsprechend Häftlingskommandos fast ausschließlich nur bei SS-Dienststellen eingesetzt. Die allesamt kleineren Außenkommandos umfassten im Durchschnitt rund 50 KZ-Häftlinge, die für die SS Instandsetzungs- und sonstige Bauarbeiten ausführten. In größerer Zahl wurden KZ-Außenlager dann seit Herbst 1943 eingerichtet, zunächst vor allem in den neu geschaffenen unterirdischen Produktionsstätten der deutschen Flugzeugproduktion, dann auch bei zahlreichen anderen Industriebetrieben, zugleich dienten aber die KZ-Häftlinge auch weiterhin zur Deckung des SS-eigenen Arbeitskräftebedarfs. Schon Ende 1943 befand sich fast die Hälfte der Häftlinge in Buchenwald in Außenlagern, die durch das Stammlager kontrolliert und verwaltet wurden. Bis zum Frühjahr 1945 stieg die Zahl der Außenlager stetig an - parallel zu den Masseneinlieferungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Frontverlauf und dem Arbeitskräftebedarf der SS standen. (Im KZ-Buchenwald verzehnfachte sich die Häftlingszahl von etwa 8 400 im April 1942 auf 84 505 Häftlinge Ende September 1944.) Im Februar 1945 erreichte das Außenlagersystem des KZs Buchenwald mit 87 Männer- und Frauenlagern seine größte Ausdehnung.

Genau zu diesem Zeitpunkt kam es auch in Göttingen zur Einrichtung eines Außenlagers des KZs Buchenwald: Am 3. Februar 1945 traf ein 30-Mann-starker Häftlingstransport aus Buchenwald in Göttingen ein, der von der SS ("Bauleitung der Waffen-SS und Polizei") mit Bauarbeiten bei der SS-Kavallerieschule in Weende beschäftigt wurde. (In privaten Rüstungsbetrieben waren in Göttingen meines Wissens keine KZ-Häftlinge beschäftigt.) Diese SS-Kavallerie-Schule war erst im September 1944 auf Befehl des SS-Führungshauptamtes neu gegründet worden und in den 1937 von der Wehrmacht in Weende erbauten Artillerie-Kasernen untergebracht worden.

Mannschaftshäuser der Artilleriekaserne in Weende, um 1938,
heute Weender Krankenhaus

Die Schule nahm am 1. Oktober 1944 ihren Lehrgangsbetrieb auf (Ausbildung von Futtermeistern, Fahnenschmieden, Reit- und Fahrlehrern und Kurse für Unterführer, Oberjunker, zukünftige Schwadronsführer). Sie bestand aus 80 Personen Stammpersonal und sollte bei voller Lehrgangsbesetzung zusätzlich rund 200 Mann mit 70 Pferden umfassen. Der Fuhrpark soll nach dem Tagebucheintragungen des ehemaligen Berliner Bibliothekars Hermann Stresau, der in einem benachbarten Weender Rüstungsbetrieb kriegsdienstverpflichtet war, „riesig“ gewesen sein und das Regiment „wie im Dreißigjährigen Krieg zum Teil aus „Wallonen und sonstigen Ausländern“ bestanden haben. Ab Ende November 1944 war die Schule auch Leitstelle für zur Front zurückkehrende Verwundete aus Lazaretten. Welche Baumaßnahmen für die SS-Kavallerie-Schule im Februar 1945 noch ergriffen werden sollten, ist nicht bekannt. Wir wissen auch nicht, wo genau und unter welchen Bedingungen die Häftlinge auf dem Gelände der Artillerie-Kaserne untergebracht waren. Ebenfalls unbekannt sind die Namen des Bauleiters und des Kommandoführers (entsprechende Unterschriften auf Häftlingslisten sind nicht sicher lesbar).

Lage der Artilleriekaserne im heutigen Straßenverlauf.
Die Reitställe südlich der Zimmermannstraße sind grau markiert
und heute nicht mehr erhalten.
In dem Areal zwischen diesen Gebäuden befand sich der Reitplatz.

Der Häftlingstransport nach Göttingen hatte das Konzentrationslager Buchenwald am 2. Februar 1945 verlassen. Die in der Häftlingsschreibstube an diesem Tag verfasste Transportliste führt (ohne Vorname, Geburtstag und Nationalität) die Namen und Häftlingsnummern aller nach Göttingen transportierten KZ-Häftlinge auf. Mithilfe einer in Göttingen aufgestellten "Facharbeiterliste" (in den nachfolgenden Listen mit einem + gekennzeichnet), den Nummernkarten und den Registrierkarten der Schreibstube ließen sich (bis auf eine Ausnahme) die in der Transportliste fehlenden biographischen Daten ergänzen.

Bei dem Göttinger Kommando handelte sich um ein nach Nationalitäten gemischtes Arbeitskommando, bestehend aus: drei deutschen und zwei volksdeutschen Häftlingen, 13 polnischen Häftlingen (von denen einer am 5.3.1945 krankheitshalber wieder nach Buchenwald zurückgeschickt wurde) und zwei Litauern (wobei hier die in Buchenwald vorgenommene Nationalitätenzuordnung zumindest fraglich ist); nach den Polen stellten die Russen und Ukrainer mit sechs Mann die größte Gruppe; außerdem gab es noch einen Tschechen, zwei Italiener (einer von ihnen wurde als "ungeeignet" am 5.3.1945 nach Buchenwald zurückgeschickt), zwei Franzosen und einen Niederländer in dem Göttinger Kommando. Für die beiden in Begleitung des deutschen Kapos nach Buchenwald zurücktransportierten Häftlinge hatte die SS als Ersatz einen Zimmermann und einen Maurer angefordert. Am 10. März 1945 verließen diese beiden neu angeforderten Häftlinge (ein Deutscher und ein Niederländer) mit dem Kapo das KZ-Buchenwald in Richtung Göttingen. Insgesamt gehörten also 32 Häftlinge zum Göttinger Kommando.

Diese Häftlinge teilten das Kollektivschicksal ihrer Nationalitäten, das daher im Anschluß an die namentliche Auflistung jeweils kurz skizziert werden soll. Wiedergegeben werden in dieser Auflistung die Angaben auf den Registrierkarten aus Buchenwald und der Göttinger Transportliste.

Deutsche

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

86008

Boettcher, Gerhard - eingeliefert in Buchenwald am 18.1.1945

20.8.1912 in Erfurt

D(eutscher) - Politischer Häftling

+ Maler

117198 + Fragebogen der Militärreg.

(überlebte)

Kotulla, Emanuel - eingeliefert in Buchenwald am 22.1.1945, am 10.3.1945 als "Ersatz" nach Göttingen

- Zusatzangabe 39 (???)

1) 3.3.1933-12.1933 erstmals verhaftet: KZ Esterwegen

2) 1.36-12-1936 zum zweiten Mal verhaftet - saß in Beuthen

3) 5.1939 zum dritten Mal verhaftet in Beshiden (Tschechei) durch die Gestapo: in: ???oppeln, Sachsenhausen, Ausschwitz, von dort nach Buchenwald
am 11.5.1945 in Buchenwald Fragebogen ausgefüllt

26.3.1891 in Trockenberg

Deutscher - Politischer Häftling

Bergmann

17399

Pidun, Walter - eingeliefert in Buchenwald am 1.9.1943 - das war der Kapo - als Begleitung für den Transport am 5.3.1945 nach Buchenwald und am 10.3.1945 nach Göttingen zurück -
Zusatzangabe 48 (???)

15.12.1912

D(eutscher) - Politischer Häftling

+ Techniker - Gießereitechniker

Der Kapo des Göttinger Kommandos war typischerweise ein Deutscher. Kapos waren Häftlinge, die von der SS als Aufseher der Arbeitskommandos und für die verschiedenen Lagerdienste eingesetzt wurden. Der Kapo konnte seinem Kommando befehlen und Häftlinge zur Bestrafung melden. Er musste selbst nicht arbeiten, war aber gehalten, die anderen Häftlinge zur Arbeit anzutreiben. Es gab Kapos, die für ein ertragbares Arbeitsregime von Häftlingen ihres Kommandos Bezahlung oder persönliche Dienste verlangten. Anzahl und Zusammensetzung der Kapos wechselten in den verschiedenen Perioden der Lagergeschichte, doch stellten die deutschen Häftlinge immer den größten Teil der Kapos. Obwohl der prozentuale Anteil der politischen deutschen Häftlinge an der Gesamtzahl der Lagerinsassen von 34 % im August 1942 (das waren ca. 3300 Häftlinge - zu diesem Zeitpunkt die stärkste Häftlingsgruppe) auf nur noch 8 % im Oktober 1944 (das waren über 7000 Häftlinge) sank und danach noch weiter abnahm, waren von den insgesamt 245 Kapos, die Ende März 1945 in Buchenwald und seinen Außenlagern eingesetzt waren 156 politische "Reichsdeutsche", 61 BV "Reichsdeutsche" (BV = "Berufsverbrecher"), 8 ASR-"Reichsdeutsche" (ASR = "Arbeitsscheu"="Asozial", verhaftet aufgrund der ASR-Aktion der Gestapo von April/Juni 1938, spielten ab 1943 im Lager kaum noch eine Rolle), ein "Bibelforscher", 8 Polen, 10 Tschechen und 1 Belgier.

Emanuel Kotulla, von dem wir aufgrund eines in Buchenwald ausgefüllten Fragebogens der Militärregierung wissen, dass er nach der Befreiung des Lagers noch am Leben war, hatte die typische schon 1933 begonnene Gefängnis- und KZ-Laufbahn eines Regimegegners hinter sich und kam im Januar 1945 mit einem der zahlreichen Transporte aus Ausschwitz nach Buchenwald. Das erstmalige Verhaftungsdatum 5.3.1933, dem Tag der Reichstagswahl, spricht ebenso wie die Tatsache, dass Kotulla schließlich in der "Tschechei" verhaftet wurde, dafür, daß er als KPD- oder SPD-Mitglied im Widerstand war. Kotulla selbst gibt allerdings in dem erwähnten Fragebogen nur "antifaschistische Aktivitäten" als Verhaftungsgrund an.

Polen

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

33684 + Reg.

Brodzinski, Henryk - eingeliefert in Buchenwald am 11.3.1944; verhaftet am 7.2.1944 durch die Stapo Glogau

13.10.1918 in Bodzechow, wohnhaft in Glogau

Pole

Kraftfahrer

10753 + Reg.

(überlebte)

F. , Zygmund (Siegmund) - eingeliefert in Buchenwald am 17.11.1944 - verhaftet am 1.6.1944 - eingewiesen von Stapo Litzmannstadt

26.3.1919 in Posen; wohnhaft in Kempen, Warthegau

P(ole) - Politischer Häftling

+ Holzarbeiter (Göttinger Angabe: Tischler)

39654 + Reg.

F., Josef - eingeliefert in Buchenwald am 16.6.1944, verhaftet am 14.5.1944 in Kassel, eingewiesen von Stapo Kassel

1.4.1920 in Zamosc, dort auch wohnhaft

Pole

Friseur

72607

Fordyska, Wladislaus
am 5.3.1945 krankheitshalber nach Buchenwald zurück keine Nummernkarte der Schreibstube vorhanden

1.11.1896

P(ole)

Maurer

7105 + Reg.

Gawrylenia (auch Gawrilenia), Antoni - eingeliefert am 14.2.1943 - verhaftet durch Stapo Hanau (?? schwer lesbar)

1.3.1913 in Adachows-zczyna, wohnhaft in Altenburg

Pole - Politischer Häftling (Polizeihäftling gestrichen)

Arbeiter (Angabe aus Reg.karte)

13287 + Reg.

G. , Marian - eingeliefert in Buchenwald am 30.4.1943 - verhaftet am 30.3.1943 durch Stapo Frankfurt am Main

8.8.1919 in Kielce, zuletzt Frankfurt am Main

Pole - ASR Pole (Aktion Arbeitsscheu 1938?)

Schlosser

90421

(überlebte)

J., Ryszard (auch Richard) - eingeliefert in Buchenwald am 1.10.1944

17.11.1921 in Warschau

P(ole)

+ Schlosser, Mechaniker

13788 + Reg. (überlebte)

Kasprzyk, Antoni - eingeliefert in Buchenwald am 18.6.1943, verhaftet am 15.6.1943, war vorher im KZ Natzweiler (dort verhaftet)

3.4.1915 (auch 4.3.1915) in Piatkowa (auch Pistkowa) / Lemberg

Pole

Schlosser

12383 + Reg.

(überlebte)

Lackowski (auch Laskowski), Adam - eingeliefert in Buchenwald am 3.4.1943, verhaftet am 12.2.1943 in Lublin - am 3.4.1943 traf ein Transport von 968 Polen aus dem KZ Majdanek-Lublin in Buchenwald ein

27.11.1918 in Warschau, dort auch wohnhaft

Pole

Schlosser

84394

Lipczynski, Julian - eingeliefert in Buchenwald am 8.9.1944

13.1.1895 in Biejkowska Wola

Pole

Schneider

8791 + Reg.

O., Jan - eingeliefert in Buchenwald am 18.12.1944, verhaftet am 5.8.1942 in Radom, am 15.9.1942 nach Ausschwitz, von dort nach Buchenwald - am 18.12.1944 traf ein Transport mit 425 Polen aus Ausschwitz in Buchenwald ein

20.6.1920 in Podlesze

Pole

Schneider

71979 + Reg.

(überlebte)

Wojciechowski, Stanislaus - eingeliefert in Buchenwald am 17.9.1944, verhaftet am 17.8.1944 durch Stapo Köln

11.1.1916 (1914) in Gladbeck

P(ole) - ehemaliger Kriegsgefangener

+ Betriebsingenieur (Göttinger Angabe: Elektriker)

81985

Wojiechowski, Johann - eingeliefert in Buchenwald am 14.8.1944

10.7.1910 in Warschau

P(ole)

+ Elektriker

Polen waren nach Buchenwald schon Ende September 1939 deportiert worden (zunächst ausschließlich aus den bis zum Versailler Vertrag 1919 zu Deutschland gehörenden Gebieten Posen, Westpreußen sowie aus dem oberschlesischen Industriegebiet.) Im August 1940 brachte die SS den ersten Transport aus dem sog. Generalgouvernement in das Lager. Viele Polen wurden darüber hinaus in Deutschland von der Gestapo wegen Arbeitsvertragsbruch, Widerstand oder Verstoß gegen die für polnische Zwangsarbeiter in Deutschland erlassenen Vorschriften verhaftet. Einen Teil von ihnen brachte die Gestapo ausschließlich zur Ermordung ins Lager. Auch in Göttingen wurden - wie wir aus den Belegungslisten des Göttinger Polizeigefängnisses wissen - vor allem 1940/41 viele Polen von der Gestapo verhaftet und anschließend sicher zu einem nicht unerheblichen Teil in ein KZ (möglicherweise auch nach Buchenwald) eingewiesen.

Seit Mai 1943 konnten Gestapo, Sicherheitspolizei und SD in den besetzten Gebieten vor Ort über die Einweisung von Polen in ein Konzentrationslager entscheiden, ohne zuvor einen Schutzhaftbefehl beim Reichssicherheitshauptamt beantragen zu müssen. Zudem ließ die SS seit März 1943 Tausende von polnischen Häftlingen aus den Konzentrationslagern Ausschwitz und Majdanek-Lublin zum "Arbeitseinsatz" nach Buchenwald bringen. Die Zahl der Polen in Buchenwald nahm daraufhin sprunghaft zu: Im August 1942 stellten die Polen mit 1155 Häftlingen nur etwa 12 % der Gesamthäftlinge, im Dezember 1943 mit über 7 500 schon 20 % und im Oktober 1944 mit 17 694 ebenfalls 20 %; sie waren damit zu diesem Zeitpunkt - nach den Russen (27 %) - die zweitgrößte Häftlingsgruppe in Buchenwald.

Von den 13 Polen, die zum Göttinger Kommando gehörten, waren vier schon 1943 in Buchenwald eingeliefert worden, einer von ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Transport von insgesamt 968 Polen, die am 3. April 1943 aus dem KZ Majdanek-Lublin zum "Arbeitseinsatz" nach Buchenwald gebracht worden waren. Zwei von ihnen wurden in Deutschland verhaftet, waren also wahrscheinlich Zwangsarbeiter, die entweder ihre Arbeitsstelle verlassen oder aber sich sonst eines der zahlreichen "Vergehen" hatten zu schulden kommen lassen, die für die Gestapo ein Einlieferungsgrund in ein KZ waren. Auch von den 8 Polen, die erst im Laufe des Jahres 1944 nach Buchenwald kamen, waren drei nachweislich in Deutschland verhaftet worden und auch bei dem in Litzmannstadt verhafteten Häftling kann es sich um einen zuvor außerhalb eines KZs eingesetzten Zwangsarbeiter handeln. Ab Oktober 1944 wurden in mehreren Transporten insgesamt fast 14 000 Polen (und einige Russen) aus Ausschwitz nach Buchenwald gebracht. Unter ihnen war auch der bereits seit September 1942 in Ausschwitz inhaftierte Göttinger Häftling Jan O.; sein Transport, mit dem er am 18.12.1944 nach Buchenwald kam, umfasste insgesamt 425 Polen.

Litauer

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

9047 + Reg.

Kisel, Wladislaus - eingeliefert in Buchenwald am 21.3.1943, eingewiesen durch Stapo Darmstadt

16.7.1901 in Riga

P(olitischer) Häftling - Litauer

+ Maurer (in der Nummernkartei keine Berufsangabe)

4871 + Reg.

(überlebte)

Mazul (auch Mazuc), Johann - eingeliefert in Buchenwald am 29.5.1942, verhaftet am 11.3.1942 von der Stapo Darmstadt wegen "Schlägerei mit Arbeitskameraden"; kam aus Budenheim/Mainz: Chemische Werke

28.(15.) 4.1910 in Wilna (Göttinger Angabe 28.7.1910), wohnhaft in Wilna

P(olen) -Litauen -

Politischer Häftling

+ Schlosser

(keine Berufsangabe in der Nummernkartei)

Die Zuordnung der Nationalitäten ist bei beiden Häftlingen relativ unsicher: Wilna war zwar seit 1920 von Polen besetzt gewesen, nach Beginn des zweiten Weltkrieges aber von der Sowjetunion an Litauen zurückgegeben worden. Riga dagegen gehörte überhaupt nicht zu Litauen, sondern war bis zur deutschen Besetzung 1940 die Hauptstadt von Lettland. Hinzu kommt, dass im NS-Staat die Nationalität gegenüber der sog. Volkstumszugehörigkeit so gut wie keine Rolle spielte, so dass es sich in dem einen Fall durchaus um einen Häftling "polnischen Volkstums", in dem anderen eventuell um einen in Riga geborenen Litauer handeln kann. Die Gruppe der aus den ehemaligen Baltenrepubliken stammenden Häftlinge im KZ Buchenwald war verhältnismäßig klein und es war auch nur eine vergleichsweise geringe Zahl von "Fremdarbeitern" aus diesen Ländern in Deutschland. Dies hing vor allem damit zusammen, dass es sich um verhältnismäßig kleine Volksgruppen handelte; so waren etwa im Juli 1942 ebenso viele Arbeiter aus den Baltenrepubliken in Deutschland wie aus Ungarn (nicht bei allen handelte es sich dabei im Übrigen um Zwangsarbeiter im engeren Sinne; insbesondere aus Lettland kamen vergleichsweise viele Arbeiter freiwillig nach Deutschland). Deshalb lassen sich allgemeine, verallgemeinernde Aussagen über diese Häftlingsgruppe nicht machen. Fest steht lediglich, dass Letten und Litauer in der Rassenideologie der Nationalsozialisten zwar einerseits als "slawische Völker" den Polen, Russen und Ukrainern gleichgestellt und damit am unteren Ende der Hierachie angesiedelt waren, andererseits aber die Angehörigen der Baltenvölker zumindest auf der Verordnungsebene im Einzelfall immer wieder explizit von speziellen Diskriminierungen, die Polen und "Ostarbeiter" trafen, ausgenommen wurden. Inwieweit diese Differenzierungen dann auch in der konkreten Behandlung der Betroffenen praktiziert wurden, bleibt wieder ungewiss, und in einem Konzentrationslager ist wohl eher nicht davon auszugehen.

Beide als "Litauer" eingestufte Häftlinge des Göttinger Kommandos waren schon vergleichsweise lange in Buchenwald inhaftiert (einer seit fast zwei, der andere seit fast drei Jahren), beide waren in Deutschland verhaftet worden. Es handelte sich daher sicher um "Fremdarbeiter", wobei Johann Mazul der einzige Häftling aus dem Göttinger Kommando ist, von dem wir nicht nur Verhaftungsgrund (nämlich eine Schlägerei), sondern auch den vorherigen Arbeitgeber kennen.

Russen und Ukrainer

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

24559 + Reg.

Jenejkin, Prochodor - eingeliefert in Buchenwald am 11.3.1944, verhaftet am 21.2.1944, war vorher im KZ Groß Rosen

17.1.1913 in Badyrjakowo

Russe - Politischer Häftling

Lehrer

5517 + Reg.

Knjazew, Georg - eingeliefert in Buchenwald am 16.7.1942 durch Stapo Halle/Saale

10.10.1915 in Mogilow

UdSSR - Politischer Häftling

keine Angabe

35034 + Reg.

Kubizkij (auch Kubizki), Michail - eingeliefert in Buchenwald am 30.10.1943, war vorher in Dachau

2.10.1891 in Bilij Bereg, wohnhaft in Kiew

Russe - Politischer Häftling

Schlosser

3580 + Reg.

S., Jury - ohne Einlieferungsdatum, verhaftet im März 1944 (????, Jahr unsicher, sehr schwer lesbar) von Gestapo Halle

2.2.1924 in Malin/Kiew

UdSSR (Ukraine) - Politischer Häftling

Autoelektriker (keine Berufsangabe in Nummernkartei)

45864 + Reg.

S., Konstantin - eingeliefert in Buchenwald am 22.6.1944, verhaftet am 25.2.1944 in Chemnitz durch Stapo Chemnitz, eine "kriminelle Vorstrafe" wegen Arbeitsflucht 6 Monate Gefängnis

2.2.1924 in Jelez

Russe - Politischer Häftling

Schweißer

7845

S., Iwan - eingeliefert in Buchenwald am 27.5.1944, verhaftet am 8.2.1944 durch Stapo Berlin

3.6.1926 in Nowa Gangowka/ Dnjeprop.

Russe - Politischer Häftling

Dreher

Aufgrund der massenhaften Einweisung von sowjetischen (und polnischen) Zwangsarbeitern, die sich der "Arbeitsflucht" oder anderer Vergehen schuldig gemacht hatten, durch die Gestapo und aufgrund der seit August 1943 organisierten Transporte von tausenden von jugendlichen Russen und Ukrainern aus den ukrainischen Rüstungszentren wie beispielsweise Dnejepropetrowsk stellten die sowjetischen Häftlinge seit Mitte 1943 die größte Häftlingsgruppe im Lager: Waren im August 1942 nur ca 3 700 sowjetische Häftlinge im Lager gewesen, hatte sich deren Zahl bis Dezember 1943 fast vervierfacht und stieg bis zum Oktober 1944 noch einmal um über 9 5000 Häftlinge auf insgesamt ca 24 000 Häftlinge, das waren 27 % aller Buchenwaldinsassen. Dies ist umso bemerkenswerter als die sowjetischen Häftlinge von der SS besonders schlecht behandelt wurden und verglichen mit anderen Häftlingsgruppen nur eine drastisch herabgesetzte Verpflegung erhielten, so dass die Todesrate extrem hoch war.

Bei den sechs sowjetischen Häftlingen des Göttinger Kommandos handelte es sich wohl durchweg um in Deutschland von der Gestapo verhaftete Zwangsarbeiter (in der Lagerstatistik zumindest bis 1943 als "politische Häftlinge" geführt). Anfänglich war die KZ-Haft als eine vorrübergehende "erzieherische Maßnahme" konzipiert, nach der der Häftling an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren sollte. Doch war "mit Rücksicht der in den Konzentrationslagern laufenden Rüstungsprogramme" bereits im Februar 1943 eine generelle Entlassungssperre für "Ostarbeiter" angeordnet worden, so dass die Häftlinge, die - wie auch drei der Männer des Göttinger Kommandos - häufig aus einem anderen KZ nach Buchenwald eingewiesen worden waren oder aber bereits einen Gefängnisaufenthalt hinter sich hatten, nur noch in den KZ-eigenen Betrieben oder aber in einem der Außenkommandos (wie eben Göttingen) eingesetzt wurden. Auffällig ist weiterhin, dass in der von der Göttinger SS erstellten Facharbeiterliste keiner der sowjetischen Häftlinge aufgeführt ist, obwohl sich darunter (zumindest ausweislich der Buchenwald internen Kartei) ein Schlosser, ein Elektriker, ein Schweißer und ein Dreher befanden - alles klassische Bauberufe. Erklären läßt sich dies entweder mit rassisch-ideologischen Gründen, die die SS davon abhielten, die sowjetischen Häftlinge als Facharbeiter zu führen, oder aber auch mit dem häufig sehr schlechten Allgemein- und Gesundheitszustand der sowjetischen Häftlinge, der ihren Einsatz nur für einfachste Hilfsarbeiten erlaubte.

Volksdeutsche aus der Slowakei

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

100723

Greschner, Anton - eingeliefert in Buchenwald am 6.12.1944

30.11.1896 in Cech (Slowakei)

Volskdeutscher - P(olitischer) Häftling

+ Zimmermann

100724

Greschner, Johann (auch Jan) - eingeliefert in Buchenwald am 6.12.1944

21.6.1900 in Cech (Slowakei)

Volksdeutscher - Politischer Häftling

(in den Akten Staatsangehörigkeit Slowakisch

+ Betonarbeiter (in der Göttinger Liste: Zimmerer)

Durch den Enkel von Johan Greschner wissen wir mehr über das Schicksal seines Großvaters. Die Familie war im 19. Jahrhundert aus Schwaben ausgewandert in das slowakische Cach (ab 1907 Cách, ungarisch Csék, ab 1927 Cech), das bis zur Gründung der Tschechoslowakei 1918 zum Königreich Ungarn gehörte. Bis 1945 war der kleine Ort maßgeblich von einer deutschen Bevölkerung geprägt war. Doch Johann Greschner, der in Cech eine kleine Ziegelei besass, sprach neben Deutsch selbstverständlich auch Ungarisch und Slowakisch (Häftlingspersonalakte Buchenwald ITS 1.1.5.3./6003733). Wir können uns Cech also wohl als ein multiethnisches und multilinguales kleines Örtchen vorstellen. Im März 1939 kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in den Tschechoslowakei erklärte sich die Slowakei für unabhängig, war aber faktisch ein deutscher Vasallenstaaat. Viele der deutschen Einwohner von Cech beteiligten sich aktiv am Widerstand gegen den Nationalsozialismus und verweigerten beispielsweise, wie auch die beiden Greschnerbräder, den Kriegsdienst. Am 7. November 1944 verschleppte die SS daraufhin 32 Familien in Konzentrationslager, viele von ihnen nach Dachau. Johann Greschner (und wohl auch Anton) wurde am 10. November 1944 als politischer sog. Schutzhäftling durch die Staatspolizei in Br¨nn in das KZ Dachau eingeliefert (Häftlingsnummer 123438). Von dort wurde er am 5. Dezember 1944 nach Buchenwald überstellt, wo er am 6. Dezember 1944 gemeinsam mit seinem Bruder Anton registriert wurde. Von dort kamen beide am 2. Februar 1945 in der Außenlager Buchenwald in Göttingen, wo sie am 24. Februar in der oben erwähnten Facharbeiterliste aufgeführt wurden. Danach hat ihre Familie nie wieder etwas von ihnen gehört. Wir müssen also davon ausgehen, dass beide in Göttingen zu Tode gekommen sind.

Johan Greschners Frau Rosalia und seine fünf Kinder kamen nach dessen Verhaftung in Cech in ein Straflager in Halle an der Saale, wo Rasalia und ihre älteste damals 18jährige Tochter in der Rüstungsindustrie Zwangsarbeit leisten mussten. Erst nach Monaten im Lager kamen sie wieder nach Hause. Die Familie von Erwin Greschner, der damals 12jährig ebenfalls mit seiner Mutter im Lager gewesen war, übersiedelte im Sommer 1968 kurz vor dem Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei in die Bundesrepublik.

Tschechen

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

93257

Vrchota, Frantisek - eingeliefert in Buchenwald am 20.1.1945

2.10.1899 in Cep

Tscheche - ASO

Gendarm

Eine nennenswerte Zahl von Häftlingen aus dem sogenannten Protektorat Böhmen und Mähren gab es in Buchenwald erst seit Mitte 1943. Die ersten kamen 1943 aus Ausschwitz. Mit 510 politischen Gefangenen aus Pilsen begann am 22. Juli 1943 die Einweisung direkt aus den besetzten tschechischen Gebieten. Im Zusammenhang mit dem schärferen Vorgehen gegen den 1944 erneut erstarkten Widerstand wuchs die Zahl der in Buchenwald inhaftierten Tschechen von rund 600 Mitte 1943 auf fast 5 000 im Oktober 1944 an. Anfang 1945 war Buchenwald das Konzentrationslager mit den meisten tschechischen Häftlingen. Da das "Protektorat Böhmen und Mähren" als an Deutschland angeschlossenes Gebiet betrachtet wurde, wurden auch an die tschechischen Häftlinge verschiedenen farbige Winkel vergeben. Neben dem roten Winkel, den über 80 Prozent der Tschechen als politische Häftlinge tragen mussten, gab es auch grüne Winkel für die Vorbestraften, lila Winkel für die Zeugen Jehovas, rosa Winkel für Homosexuelle sowie kleine Gruppen von tschechischen Juden und Roma und schwarze Winkel für die sogenannten Asozialen, zu denen offenbar auch der zum Göttinger Kommando gehörenden Tscheche gezählt wurde.

Niederländer

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

123099 + Reg.

Hoos, Friedrich - eingeliefert in Buchenwald am 26.1.1945, war vorher in Auschwitz - am 10.3.1945 als "Ersatz" nach Göttingen - Zusatzangabe 40 ???

4.11.1910 in Zurich, wohnhaft in Unter Eggingen KR. Walshut, Baden

Niederländer - Politischer Häftling

Schreiner

Am 26. Januar 1945 erreichte ein Transport mit insgesamt 3 935 Juden aus Auschwitz Buchenwald. Friedrich Hoos war zumindest ausweislich seiner Registrierkarte kein Jude; dennoch ist es denkbar, dass er mit diesem - einem der letzten - Transporte aus Ausschwitz in Buchenwald eintraf. Abgesehen von den 232 schon im Juli 1940 in Buchenwald eingewiesenen niederländischen Geiseln und den 389 im Februar 1941 nach Buchenwald deportierten Juden, die im Mai 1941 nach Mauthausen weitertransportiert und dort ausnahmslos ermordet wurden, bildeten die Niederländer in Buchenwald nur eine kleine Gruppe aus einzelnen, zu getrennten Anlässen verhafteten Gefangenen.

Franzosen

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

121647

Poncin, Paul - eingeliefert in Buchenwald am 26.1.1945

15.6.1914 in Sousse

F(ranzose) - Politischer Häftling

+ Tischler

38131

V., Charles - eingeliefert in Buchenwald am 16.12.1943 - am 16.12.1943 kam ein Transport mit 921 Menschen (mehrheitlich Franzosen) aus Compiègne nach Buchenwald

12.1.1924 in Nantes

Franzose - Politischer Häftling

Buchhalter

Seit Anfang 1944 stellten unter den politischen Häftlingen aus fast 30 Ländern die Franzosen den höchsten Anteil in Buchenwald. Ihre Deportation war Folge des Terrors, mit dem die deutsche Besatzung auf die französische Résistance reagierte, deren Aktionen nach der deutschen Niederlage bei Stalingrad an Häufigkeit und Intensität spürbar zugenommen hatten. Waren im August 1942 zunächst nur 10 ( = 0,1%) Franzosen in Buchenwald inhaftiert gewesen, so waren es im Dezember 1943 schon fast 4 700 (= 13%) und im Oktober 1944 dann fast 13 500 (= 15 %). Aus dem Polizeihaftlager Compiègne etwa kamen zwischen Juni 1943 und August 1944 zehn Transportzüge mit mehr als 13 000 Menschen (mehrheitlich Franzosen, aber beispielsweise auch Spaniern) nach Buchenwald. Mit großer Wahrscheinlichkeit war in dem Transport von 16.12.1943, der insgesamt 921 Menschen nach Buchenwald deportierte, der zum Göttinger Kommando gehörende Charles V.

Paul P., von dem wir keine Registrierkarte besitzen und daher auch nicht wissen, von wo er nach Buchenwald eingeliefert wurde, könnte ausweislich seiner Häftlingsnummer und dem Datum seiner Einlieferung mit dem Niederländer Friedrich H. aus Ausschwitz nach Buchenwald gekommen sein. Es könnte sich aber auch um eine Einzeleinlieferung am zufällig gleichen Tag wie der Auschwitztransport gehandelt haben.

Italiener

Häftlingsnummer

Name

geb. am

Nationalität - Haftgrund

Beruf

56483 + Reg.

G., Santo - eingeliefert in Buchenwald am 19.11.1944, verhaftet im März 1944 in Piran(o) eingewiesen durch .... (un lesbar???) - am 5.3.1945 als "ungeeignet" nach Buchenwald zurück - am 19.11.1944 kam ein Transport mit 139 Italienern aus Triest nach Buchenwald

24.10.1925 (in Göttinger Liste: 25.10.1924) in Buzet Pr. Pola; wohnhaft in Piran Prov. Pola, bei Triest

I(taliener) - Politischer Häftling

+ Landarbeiter - Tischler

78375 + Reg.

P., Alberto - eingeliefert in Buchenwald am 4.11.1944, verhaftet am 15.8.1944 in Casiacco vom SD Triest - - am 4.11.1944 kam aus Transport mit 103 Italienern aus Triest nach Buchenwald

15.8.1923 in Forgaria/Udine

I(taliener) - Politischer Häftling

+ Maurer

Die ersten italienischen Häftlinge brachte man unmittelbar nach dem Waffenstillstand, den Italien im September 1943 mit den Alliierten schloss, nach Buchenwald. 1944 folgten Transporte insbesondere über das berüchtigte Polizeihaftlager La Risiera in San Sabba bei Triest, in dem Angehörige der Resistenza aus ganz Norditalien inhaftiert waren; von Juni bis November 1944 kamen von dort fast 1300 Italiener nach Buchenwald. Die Einlieferungsdaten der beiden italienischen Häftlinge des Göttinger Kommandos sprechen dafür, dass auch sie aus La Risiera nach Buchenwald kamen. Wie auch viele Südfranzosen hatten die Italiener besonders schwer unter dem rauhen Klima zu leiden, das bei den neu Eingewiesenen oft zu Lungenentzündungen führte. Von den etwa 3 500 Italienern, die zwischen Herbst 1943 und Anfang 1945 von der SS in das KZ Buchenwald verschleppt wurden, kam daher fast jeder Dritte um. Da Santo G. von der Göttinger SS als "ungeeignet" am 5. 3. 1945 nach Buchenwald zurückgeschickt wurde, ist anzunehmen, dass auch er das KZ nicht überlebt hat. Wie für den als krank zurückgeschickten Polen Wladislaus Fordyska bedeutete der Rücktransport nach Buchenwald für ihn mit größter Wahrscheinlichkeit den sofortigen Tod. Denn Häftlinge, die als unbrauchbar galten (und dazu zählte auch, wer wegen Krankheit nicht arbeitsfähig war, wobei anzunehmen ist, dass das Etikett "ungeeignet" die gleichen Folgen hatte) wurden meist sofort getötet. Zwar gab es in Buchenwald keine Vernichtungseinrichtungen wie in Auschwitz, dafür aber den Mord durch Injektionen im Krankenbau, das sog. "Abspritzen".

Über das Schicksal der übrigen zum Göttinger Kommando gehörenden Häftlinge wissen wir sehr wenig. Wir kennen aber - abgesehen von dem oben schon genannten Deutschen Emanuel Kotulla - inzwischen die Namen von sechs weiteren Überlebenden des Kommandos. Es handelte sich um die fünf Polen Zygmund F., Ryszard J., Antoni Kasprzyk, Adam Lackowski und Stanislaus Wojciechowski und den in den Nachkriegsunterlagen ebenfalls als Polen geführten Litauer Johann Mazul. Alle sechs waren - nach den Eintragungen in den Einwohnermeldekarten - seit dem 14. Mai 1945 im Lager Ludendorffring (heute Kreuzbergring) 20 b untergebracht. Dahinter verbarg sich die Krankenbaracke, die die Göttinger Industrie Anfang Februar 1943 auf dem Sportfeld der Universität für "Ostarbeiter" und Polen eingerichtet hatte. Ob die überlebenden KZ-Häftlinge hier medizinisch versorgt wurden oder ob die Baracke nur wie alle Gebäude, die sich als "Sammellager" eigneten, für die vielen "heimatlosen Ausländer" genutzt wurde, ist nicht mehr feststellbar. In dieser Krankenbaracke blieben die überlebenden KZ-Häftlinge offenbar mindestens bis zum Juli 1945. Zygmund F., Ryszard J., Antoni Kasprzyk und Adam Lackowski wurden anschließend in das DP-Lager in den Zietenkasernen verlegt, danach verliert sich ihre Spur. Für alle sechs Überlebenden findet sich entweder gar keine Notiz oder nur der Vermerk "unbekannt verzogen". Interessant sind die charakteristischen Differenzen bei den Berufsangaben der genannten Polen, die - um den überlebenswichtigen Facharbeiterstatus zu erhalten - im KZ Buchenwald natürlich möglichst handwerkliche Berufe angegeben hatten. Offenbar waren insbesondere Schlosser begehrt. Dies war nun nach dem Kriege nicht mehr nötig: So ist Zygmund F. in den Nachkriegsunterlagen nicht mehr als Holzarbeiter, sondern als Student eingetragen, Ryszard J. nicht als Schlosser, sondern als Drucker, Antoni Kasprzyk nicht als Schlosser, sondern als Maler, und Adam Lackowski nicht als Schlosser, sondern als Photograph. Nur der Elektoringenieur Stanislaus Wojciechowski und der Schlosser Johann Mazul hatten offenbar ihre wirklichen Berufe angegeben.

Insgesamt überlebten das Göttinger Kommando 17 Häftlinge, jedenfalls wurde diese Zahl von den Amerikaner bei ihrer Erhebung am 11. April 1945 (dem Tag der Befreiung von Buchenwald) registriert. Das Schicksal der nicht von den Amerikanern aufgefundenen Häftlinge ist ungewiss. Die SS-Kavallerie-Schule hatte bereits Ende März 1945 einen Befehl zur Verlegung der Schule in den Raum Prag erhalten und Göttingen in drei Bahntransporten verlassen. Die Pferde konnten dabei nicht mitgeführt werden, sondern wurden gegen Quittung an die Landwirte in der Umgebung abgegeben. Die Auflösung der Schule muss daher in der Bevölkerung durchaus bekannt gewesen sein. Dennoch war es bisher nicht möglich, etwas über den Verbleib der Häftlinge herauszufinden. Dass einzelne Häftlinge nach Prag mitgenommen wurden, erscheint mir angesichts der relativ großen Zahl von 17 Zurückgelassenen eher unwahrscheinlich. Aus dem gleichen Grund ist wohl auszuschließen, dass man die Häftlinge des Göttinger Kommandos noch kurz vor Kriegsende auf einen der berüchtigten Todesmärsche geschickt hat. Denkbar sind daher eigentlich nur zwei Szenarien: Entweder hat die SS die Häftlinge bei ihrem Aufbruch nach Prag einfach unbewacht ihrem Schicksal überlassen oder aber man ließ ein paar Mann zur Bewachung der Häftlinge zurück. Da die Amerikaner schon am 7./8. April in Göttingen einmarschiert waren, ist es in beiden Fällen theoretisch denkbar, dass einzelne Häftlinge das Kommando bereits vor dem 11. April auf eigene Faust verlassen haben. Bei den sowjetischen und polnischen Häftlingen ist eine solche „Flucht“ allerdings eher nicht anzunehmen, allein schon deshalb nicht, weil sie wohl kaum gewusst hätten, wohin sie hätten gehen sollen. Auch viele der anderen Häftlinge, von denen einige schon jahrelang in Buchenwald oder anderen KZs gewesen waren, werden für ein solches eigenmächtiges Vorgehen viel zu geschwächt gewesen sein. Von den beiden volksdeutschen Brüdern aus der Slowakei wissen wir inzwischen, dass diese nie mehr nach Hause zurückgekehrt sind, also wohl zu den Toten zu rechnen sind.

Es ist daher wohl relativ wahrscheinlich dass es sich bei den von den Amerikanern registrierten 17 Häftlingen tatsächlich um alle Überlebenden des Kommandos in Göttingen gehandelt hat. Das bedeutet, dass die Sterberate in Göttingen (eingerechnet die beiden nach Buchenwald zurückgeschickten Häftlinge) bei 47 % lag. Die durchschnittliche Sterberate im KZ-Buchenwald und den Außenkommandos betrug bei den Männern zwischen Januar 1945 und März 1945 etwas über 13 %. Die Göttinger Sterberate war damit über 3 ½ mal so hoch. Und selbst wenn man davon ausgeht, dass die drei deutschen Häftlinge, der Tscheche, der Niederländer, die beiden Franzosen und der verbliebene italienische Häftling das Kommando in den wenigen Tagen zwischen dem 8. April (Einmarsch der Amerikaner) und dem 11. April (Registrierung durch die Amerikaner) verlassen haben, hätte die Sterberate mit 7 von 32 immerhin noch bei fast 22 % gelegen und wäre auch damit noch immer deutlich überdurchschnittlich gewesen.

 


Quellen:

  1. Häftlingsschreibstube K.L. Buchenwald: Transport Göttingen 2.2.1945; Bauleitung der Waffen-SS und Polizei Göttingen: Arbeitskommando Göttingen, Liste über Facharbeiter 24.2. 1945; Arbeitskommando Göttingen: Transportliste 5.3. 1945; Häftlingsschreibstube K.L. Buchenwald: Transport Göttingen 10.3. 1945, Yad Vashem Archives, ITS Arolsen, BD-3, Bu 43, File 296, Göttingen (Microfilm)
  2. Nummernkarten der Schreibstube des Lagers Buchenwald (außer für Fordyska für alle Häftlinge verhanden), Datenbank NRKART der Gedenkstätte Buchenwald Archiv (Originale im Türingisches Hauptstaatsarchiv Weimar)
  3. Registrierkarten der Schreibstube des Konzentrationslagersbuchenwald für 20 Häftlinge, NARA Rg 242, Gedenkstätte Buchenwald Archiv (hinter der Nummer + Reg.)
  4. Fragebogen der Militärregierung für Kotulla, Emanuel, als Film in Gedenkstätte Buchenwald Archiv, Original im National Archives Washington
  5. Verschiedene Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen
  6. Schreiben von Alfred Greschner, Mössingen, vom 16.11.2018, beiliegend Auskunft des ITS-Archivs (AZ TD_2 274-750) mit Häftlings-Personalkarte des KZs Buchenwald Jan Greschner ITS-Archiv 1.1.4.3./6003733; Auszug aus Zugangsb¨chern des KZs Dachau ITS-Archiv 1.1.6.1./9895852)

Gedruckte Quellen:

  1. Hanns Bayer, Die Kavallerie der Waffen-SS, erschienen im Selbstverlag der Truppenkameradschft der Kavallerie-Divisionen “Florian Geyer”, “Maria Theresia”, “L&uumL,tzow und deren Ersatzeinheiten, Gaiberg/Heidelberg 1980, S. 405 f.
  2. Stresau, Hermann, Von Jahr zu Jahr, Berlin 1948 (Tagebuch), Eintrag 17.9.1944 (S. 373) und Eintrag 15.10.1944 (S. 378).
  3. Martin Weinmann (Hg.), Das nationalsozialistische Lagersystem. Reprint des "Catalogue of Camps and Prisons in Germany and German-Occupied Territories 1939-1945" (CCP), Frankfurt am Main 1990, S. 156 und S. 566.

Eingearbeitete Literatur:

  1. Karola Fings, "Not kennt kein Gebot" - Kommunalverwaltung und KZ-Außenlager, in: Dachauer Hefte 15 (1999), S. 66-76.

  2. Manfred Grieger/Klaus Völker: Das Außenlager "Annener Gußstahlwerk" (AGW) des Konzentrationslagers Buchenwald September 1944-April 1945, insb. S. 12-17.

  3. Interessengemeinschaft "Garnisonstadt Göttingen e.V." (Hg.): Die strenge Form. Zur Geschichte der Militärbauten in Göttingen, Göttingen 1992, S. 33f. (dort auch die Abbildungen).

  4. Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945, Begleitband zur ständigen Ausstellung (hg. von der Gedenkstätte Buchenwald), Göttingen 1999, insb. S. 69, S. 72, S. 81 f., S. 101, S. 138 f., S. 153-167, S. 170, S. 177 ff., S. 222.

  5. Hans Pfahlmann, Fremdarbeiter und Kriegsgefangene in der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Würzburg 1964, S. 134.

  6. Jorge Semprun, Schreiben oder Leben, Frankfurt 1995.


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