Aus: Ji Xianlin, Zehn Jahre in Deutschland (1935-1945), Foreign Language Teching and Research Press o. J. (2009), S. 126 ff. |
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Ji Xianlin, geboren am 6.8.1911, gestorben am 11.7.2009, begann 1930 ein Studium westlicher Literatur an der Tsinghua-Universität und kam dort zum ersten Mal mit Sanskrit in Berührung. Von 1935 bis 1945 studierte er an der Georg-August-Universität Göttingen bei Ernst Waldschmidt und Emil Sieg Sanskrit und Tocharisch und wurde dort 1941 bei Waldschmidt mit einer Sanskritarbeit promoviert. Nach seinem Studien- und Forschungsaufenthalt in Deutschland ging er zurück nach China, wo er in Peking eine Professur an der Peking-Universität bekam. Er baute dort die Fakultät für asiatische Sprachwissenschaften auf. 1956 folgte die Ernennung zum Leiter des Südasien-Instituts der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Ji Xianlin gilt als einer der bedeutendsten Indologen Chinas und wurde für seine Arbeit 2008 mit dem Padma-Bhushan-Preis der indischen Regierung ausgezeichnet Kurz vor seinem Tod stellte er seine Erinnerungen an seinen Deutschlandaufenthalt fertig, die 2009 auch ins Deutsche übersetzt und von der Universität Göttingen herausgegeben wurden. "Die Universität befand sich jetzt in einem entsetzlichen Zustand. Nach
dem Ausbruch des Krieges wurden nach und nach fast alle Studenten
einberufen. Es blieben nur Studentinnen übrig. Ich sah sie in der
Stadt zwischen verschiedenen Instituten herumlaufen. Die Universität
Göttingen war zu einer Frauenuniversität geworden. Wer einen Hörsaal
oder ein Labor betrat, begegnete nur weiß, schwarz und grün gekleideten
Frauen. Es schien, als sei hier ein Reich der Frauen. Als der Krieg den
Höhenpunkt erreichte und allmählich zu Ende ging, kehrten viele
deutsche Verwundete von der Ostfront aus Russland zurück – so auch
nach Göttingen. Zu dieser Zeit liefen überall in der Stadt neben den
Studentinnen auch die verwundeten Studenten umher. Sie humpelten
teilweise ohne Arme oder Beine an Krücken oder saßen im Rollstuhl.
Die Aula und die sauberen und hellen Flure waren erfüllt vom harten
Aufsetzen ihrer Krücken. Es hallte zwischen den Frauen wider. Ich
wusste nicht, welche Empfindungen das auslöste. Unter den deutschen
Komponisten hat niemand jemals eine Krücken-Sinfonie geschrieben.
Ich, ein Fremder, wollte weinen, aber ich hatte keine Tränen mehr.
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Buchcover Dr. Ji Xianling als alter Mann Den Hinweis aus diese Quelle verdanke ich Martin Heinzelmann. |