Sonderrecht für Juden |
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Mit Erlass des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Friedrich Syrup vom 20.12.1938 war der "geschlossene Arbeitseinsatz" (also in gesonderten Kolonnen) für erwerbslose und wohlfahrtsunterstützte Juden (deutsche und österreichische, später auch tschechische) angeordnet wurden. Ab Sommer 1939 zeichnete sich allgemein eine informelle Ausweitung der Arbeitsverpflichtung auch auf nicht-unterstützte Juden aus. Wenige Tage vor Kriegsbeginn mussten dann alle Juden zwischen fünf und 70 Jahren die Formulare der Volkskartei ausfüllen, die es dem NS-Staat ermöglichte, für einen umfassenden Zwangsarbeitereinsatz jederzeit auf die ja nicht wehrpflichtigen Juden zurückgreifen zu können.
Juden waren zusätzlich zu den allgemeinen steuerlichen Abgaben auch noch einer Sondersteuer unterworfen (verheiratete Juden mussten seit Januar 1939 den Steuerabzug für Ledige bezahlen) und seit 24. Dezember 1940 mussten sie außerdem eine sog. Sozialausgleichsabgabe von 15 % zahlen. Dies begründete man damit, dass Juden keine Beiträge zu Partei, NSV oder zum Winterhilfswerk zu entrichten hätten. Jüdische Zwangsarbeiter mussten daher in der Regel über 20 % ihres Verdienstes an die Finanzämter abführen. Hinzu kam, dass Juden nur Anspruch auf Vergütung "für die tatsächlich geleistete Arbeit" hatten. Juden erhielten daher keinerlei staatliche oder betriebliche Sozialleistungen, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder während des Urlaubs, kein Kurzarbeitergeld und Arbeitslosenhilfe nur in Höhe des "zum Lebensunterhalt unerläßlich Notwendigen". Sie erhielten keine Steuerermäßigung für ihre Kinder, keine Lebensmittelzusatzmarken für Schwerarbeit und keine Schuh- und Bekleidungsscheine. Der Arbeitseinsatz von Juden und Ausländern während des Krieges war auf vielfältige Weise miteinander verschränkt: Nicht nur, dass Juden arbeitsmarktstatistisch gemeinsam mit Ausländern geführt wurden, schließlich gehörten sie nicht zum "deutschen Volkskörper". Der jüdische Zwangsarbeitseinsatz wurde auch auf einer sehr grundsätzlichen und bis in die jüngste Vergangenheit bedeutsamen rechtlichen Ebene zum Vorbild für den Ausländereinsatz: Denn schon bei den Verhandlungen über den Syrup-Erlass vom 20. Dezember 1938 war man davon ausgegangen, dass Juden im Geschlossenen Arbeitseinsatz in keinem regulären Arbeitsverhältnis, sondern nur in einem "tatsächlichen Beschäftigungsverhältnis" stünden, und dieser Terminus sollte dann nicht nur 1941/42 zum Schlüsselwort der Zwangsarbeiterverordnungen für "Ostarbeiter" (wie die zivilen Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion in der NS-Terminologie hießen) werden, sondern wirkte bis in die Entschädigungsdebatte der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte hinein. Denn aufgrund dieser Rechtskonstruktion erklärten sich die bundesdeutschen Arbeitsgerichte für die Entschädigungsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter grundsätzlich und prinzipiell als nicht zuständig und nahmen mit dieser Begründung alle individuellen Klagen auf angemessene nachträgliche Entlohnung nicht zur Verhandlung an. Zwar hatte man sich tatsächlich erst im zweiten Kriegsjahr auf ein homogenes antijüdisches Sonderarbeitsrecht geeinigt, das dann in der Verordnung des Reichsarbeitsministers über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober 1941 und der dazugehörigen Durchführungsverordnung vom 31. Oktober 1941 formuliert wurde. Doch wurden die darin erstmals formalrechtlich festgehaltenen Prinzipien "Juden, die in Arbeit eingesetzt sind, stehen in einem Beschäftigungsverhältnis eigener Art" und "der Jude kann als Artfremder nicht Mitglied einer deutschen Betriebsgemeinschaft sein", bereits seit Anfang 1939 faktisch überall praktiziert und die genannten Verordnungen schufen daher kein neues Recht, sondern sanktionierten lediglich eine seit 1939 gegen Juden ausgeübte Praxis. Jüdische Zwangsarbeit war daher tatsächlich in weiten Teilen gemeinsam mit dem Sonderrecht für Tschechen das rechtliche Vorbild für den massenhaften Zwangsarbeitereinsatz von Ausländern im Deutschen Reich. Bei Einzelbestimmungen konnte es auch schon einmal anders herum sein: So betraf die für Juden am 24.12.1940 angeordnete 15% Sonderausgleichsabgabe zunächst nur Polen, und dies schon ab August 1940. Auch die Kennzeichenpflicht wurde zunächst an Polen erprobt, die ein großes aufgenähtes P zu tragen hatten (als Teil der sog. Polenerlasse vom 8.3.1940, Reichsgesetzblatt 1940 I, Nr. 55, S. 555). |
Literatur:
Wolf Gruner, Der Geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938-1943, Berlin 1997, passim, insb. S. 61-78, S. 80, S. 97-106, S. 158, S. 197-202, S. 284 -289.
Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880-1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Berlin/Bonn 1986, S. 134 ff.
Wolf Klimpe-Auerbach, Deutsche Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit und NS-Zwangsarbeit, in: Ulrike Winkler (Hg.), Stiften gehen - NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, Köln 2000, S. 205-221.
Dieter Maier, Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozalistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945, Berlin 1994, S. 57 f.
Cordula Tollmien, ".... und die deutschen Juden machten den Weg" - Jüdische Zwangsarbeiter in Göttingen 1938-1945", Vortrag vom 7.11.2001 (Manuskript).
Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden 31.10.1941, RGBl. Jg. 1941, Teil I, Nr. 124, Ausgabe 4.11.1941, StadtAGö Personalamt C 21 Nr. 316, o. P.
Entscheidung des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 9.6.1999, Geschäftszeichen: 15 Ca 2117/99 (Leitsatz der Entscheidung: Für Ansprüche aus Zwangsarbeit ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben).