Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Göttinger Stadtverwaltung

Ergebnisse

Die quantitative Dimension des Zwangsarbeitereinsatzes in städtischen Behörden und Betrieben

Dr. Cordula Tollmien - Stand 18.12.2000

Insgesamt etwa 540 Zwangsarbeiter in städtischen Diensten nachgewiesen

Addiert man ohne Berücksichtigung der Dauer des Einsatzes alle oben aufgeführten Zwangsarbeiter in städtischen Ämtern und Betrieben, so kommt man unter Einschluß der 19 Göttinger Juden (aber ohne die Zwangsarbeiter auf den Stadtgütern im Landkreis) auf fast 540 städtische Zwangsarbeiter, wobei dabei nicht die unbekannte Zahl von "Ostarbeitern", die im Gaswerk tätig waren, und die ebenfalls nicht bekannte Zahl von sowjetischen Kriegsgefangenen, die 1942 das Staubecken im Ebertal bauten, berücksichtigt werden konnte. Doch auch unabhängig von letzteren, ist davon auszugehen, daß es noch eine erhebliche Dunkelziffer gibt, und die genannte Zahl ist daher als eine Untergrenze anzusehen. Geht man davon aus, daß grob geschätzt insgesamt mindestens 10 000 Menschen während des Krieges für kürzere oder längere Zeit in Göttingen Zwangsarbeit leisten mußten, so bedeutet dies, daß mindestens zwischen 5 und 6 Prozent von ihnen dauerhaft oder auch nur vorübergehend für städtische Belange eingesetzt waren.

171 städtische Zwangsarbeiter bisher namentlich bekannt (ohne Stadtgüter und Städtische Brauerei Duderstadt)

 

171 der städtischen Zwangsarbeiter sind bisher namentlich bekannt, bei elf von ihnen kennen wir allerdings nur Vor- und Nachnamen, also nicht das Geburtsdatum, und bei sechs von ihnen sogar nur den Nachnamen. Durch die bisher erst in Ansätzen erfolgte systematische Auswertung der städtischen Einwohnermeldekartei, in der nach ersten Schätzungen zwischen 4000 und 5000 ausländische Zwangsarbeiter registriert sind, sind weitere Namen zu erwarten. Ebenfalls namentlich bekannt sind die auf dem Stadtgütern in Geismar und in Rosdorf beschäftigten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.

Die größte Gruppe bildeten die sowjetischen Kriegsgefangenen, gefolgt von den "Ostarbeitern"

Die größte Gruppe unter den städtischen Zwangsarbeitern bildeten die sowjetischen Kriegsgefangenen mit über 200, von denen 50 dauerhaft (d.h. für mehrere Monate oder Jahre) bei der Stadt eingesetzt waren. Dann folgten die "Ostarbeiter" mit etwa 150, von denen etwa 40 dauerhaft für die Stadt arbeiteten. Unter den "Ostarbeitern" waren 13 Frauen. Andere osteuropäische Zwangsarbeiter (Polen, Slowenen, Exilukrainer) wurden nur 31 (ohne die beiden Polen bei der städtischen Brauerei in Duderstadt) nachgewiesen. Von den französischen Kriegsgefangenen standen etwa 20 in Diensten der Stadt und westliche Zivilarbeiter arbeiteten - abgesehen von dem Aufräumeinsatz der 104 Holländer nach dem Bombenangriff im November 1944 - nur vereinzelt für die Stadt.

Mehr als 150 Zwangsarbeiter dauerhaft in städtischen Institutionen

Insgesamt waren unter Einschluß der 19 Göttinger Juden, aber wieder ohne die Stadtgüter in Geismar, Rosdorf und Niedernjesa über 150 Zwangsarbeiter dauerhaft, soll heißen für einen längeren Zeitraum von mehreren Monaten oder Jahren, in städtischen Betrieben oder Behörden eingesetzt. Charakteristisch für den Zwangsarbeitereinsatz durch städtische Institutionen war jedoch der kurzfristige oder der "leihweise" Einsatz von Zwangsarbeitern, insbesondere in aktuellen Notsituationen (Bombenangriff) und bei den Luftschutzprojekten des städtischen Bauamts.

Die meisten Zwangsarbeiter beim städtischen Bauamt

Entsprechend waren denn auch die meisten Zwangsarbeiter, nämlich um die 280, auf Veranlassung des städtischen Bauamtes im Einsatz, das seine Bauprojekte in der Regel durch eine privaten Baufirma durchführen ließ. Doch in fast jeder städtischen Behörde und in fast jedem städtischen Betrieb ließen sich Zwangsarbeiter nachweisen und - weil es kein zentrale Koordinationsstelle in Göttingen gab - waren auch alle Ämter und Behörden auf die eine oder andere Weise ständig mehr oder weniger erfolgreich damit beschäftigt, sich wenigstens einige der begehrten, aber gemessen am öffentlichen wie privaten Bedarf niemals ausreichend zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte zu sichern. Auch Oberbürgermeister Gnade, Bürgermeister Claassen und Stadtbaudirektor Frey engagierten sich - zum Teil mit erheblichem persönlichen Einsatz - bei der Beschaffung von Zwangsarbeitern für die Stadtverwaltung.

Zwei städtische Kriegsgefangenen- lager, aber kein von der Stadt betriebenes Lager für Zivilarbeiter

Seit August 1940 betrieb die Stadtverwaltung unter Federführung des Bauamtes zunächst nur ein, dann zwischen Februar 1944 und November 1944 zwei Lager für Kriegsgefangene, die dann aber nach der Zerstörung des Kriegsgefangenenlagers Sültebeck im Maschmühlenweg in den von der Wehrmacht angemieteten Baracken auf dem Lohberg zusammengelegt wurden. Mit dem Lager Sültebeck, in dem zwischen 70 und 170 in erster Linie in Göttinger Privatunternehmen eingesetzte französische Kriegsgefangene untergebracht waren, machte die Stadt durch die den Firmen in Rechnung gestellten Unterbringungskosten zwar Gewinn, war aber längst nicht so geschäftstüchtig wie etwa die Stadt Marburg. Dort übernahm 1942 der Magistrat alle in der Stadt befindlichen Zwangsarbeiterlager und erwirtschaftete auf diese Weise allein 1942/43 einen Gewinn von über 80 000 RM. Dies dürfte allerdings reichsweit ziemlich einmalig gewesen sein.

Küchenvereinigung e.V.

In Göttingen befanden sich alle Lager für zivile Zwangsarbeiter entweder in der Hand der Reichsbahn oder von Privatunternehmen, und die Stadtverwaltung nutzte daher - umgekehrt - deren Lager für ihre Zwecke: etwa das Lager der Firma Keim im Maschmühlenweg, das Kriegsgefangenenlager der Aluminiumwerke oder das Lager auf dem Schützenplatz, das unter der Federführung der Aluminiumwerke von einem Zusammenschluß der wichtigsten Göttinger (Rüstungs-)Unternehmen betrieben wurde. Dieser Zusammenschluß firmierte als eingetragener Verein, der sich - da darin dieselben Firmen vertreten waren, die auch die Gemeinschaftsküche in der Geiststraße betrieben - Küchenvereinigung e.V. nannte. Formal war er allerdings mit dem Verein Gemeinschaftsküche e.V. nicht identisch: Lager- und Küchenverwaltung lagen in den Händen zweier verschiedener Vereine.

Enge Zusammenarbeit mit der Wehrmacht, der Reichsbahn und den Privatunternehmen

Die enge Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit der privaten Wirtschaft, aber auch mit Reichsbahn und Wehrmacht kann als Basis der Zwangsarbeiterbeschäftigung in Göttingen angesehen werden: Ob nun Reichsbahn, Wehrmacht oder Aluminiumwerke den städtischen Behörden und Betrieben vorübergehend Zwangsarbeiter aus ihrem Kontingent zur Verfügung stellten oder ob der Bauindustrie Zwangsarbeiter nur für einen städtischen Auftrag und nur auf Antrag der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt wurden; ob die Stadtverwaltung ein Kriegsgefangenenlager einrichtete, von dem schließlich über 50 Göttinger Firmen durch die Zuweisung von Kriegsgefangenen profitierten oder ob Wehrmacht und Aluminiumwerke die der Stadtverwaltung zugewiesenen sowjetischen Kriegsgefangenen in ihren Lagern unterbrachten; ob der Verein Gemeinschaftsküche e.V. die Verpflegung der französischen Kriegsgefangenen im stadteigenen Lager übernahm oder die Stadt der Küchenvereinigung (ebenso wie auch der Gemeinschaftsküche selbst) mit dem Schützenplatz und der Eiswiese, wo die Küchenvereinigung ebenfalls ein Lager betrieb, städtischen Grundbesitz zur Verfügung stellte (auch die Reichsbahn errichtete mehrere Lager auf städtischem Grund) - es bestand ein eng verwobenes Geflecht zwischen kommunalen und staatlichen Institutionen und der privaten Wirtschaft, das ausgerichtet auf die wechselseitige Beförderung der jeweiligen Interessen konstitutiv für die auf der Ausbeutung von Zwangsarbeitern beruhende Kriegswirtschaft in Göttingen war.

Den gesamten Bericht findet man hier.


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