NS-Zwangsarbeit: Cees Louwerse, geb. 13. Apirl 1923, deportiert im Mai 1943 (Flakzeugamt)

Cees Louwerse, der am 13. April 1923, als Sohn eine Schulrektors in einem zeeländischen Dorf geboren worden war, studierte seit 1941 an der Universität Utrecht Geographie. Als die 15 000 niederländischen Studenden im April 1943 aufgefordert wurden, eine Loyalitätserklärung für Deutschland zu unterschreiben, gehörte Cees wie die Mehrheit seiner Kommillitonen zu denen, die diese Unterschrift verweigerten. Als daraufhin die Studenten zum Arbeitseinsatz in Deutschland gezwungen werden sollen, tauchte er - wie ebenfalls viele seiner Mitstudenten - zunächst bei einem Onkel in Scheveningen unter. Die Nationalsozialisten bedrohten darauf die Eltern der Studenten und zwangen diese so, ihre Verstecke zu verlassen. Cees Louwerse schrieb dazu:

"Meine Eltern wohnten in der Provinz Zeeland. Mein Vater wurde bedroht von einem „NSB“-er (holländischer Nationalsozialist), der sagte, dass sie (die NSB-er) wussten wo die Studenten aus meiner Gegend untergetaucht waren. Wenn sie sich nicht meldeten für den Arbeitseinsatz würden sie die Väter verhaften. Meine Eltern haben dann Angst bekommen und sind zu mir gefahren mit der Frage ob es nicht besser wäre dass ich mich melden würde. Das habe ich dann gemacht, wie die meisten meiner Freunde."

Die Studenten - mehrere Hundert - wurden zunächst in das niederländische Lager Ommen gebracht, wo sie von niederländischen Soldaten in deutschen Diensten bewacht wurden. Die Nationalsozialisten hatten 1940 ein seit 1820 in Ommen bestehendes Arbeitslager für Bettler und Nichtsesshafte in ein Polizeihaftlager verwandelt, von wo aus zahlreiche (in der Regel nichtjüdische) Häftlinge in deutsche Konzentrationslager verschleppt wurden. 1943 wurde das Lager in ein "Arbeitserziehungslager" umgewandelt. Das Lager war wegen der Brutalität des Lagerpersonals berüchtigt. Nach etwa einer Woche wurden sie nach Deutschland weitertransportiert und zwar nach Drütte, in ein Lager auf dem Gelände der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter-Watenstedt. Nach einer Nacht fuhr dann eine Gruppe von 40 Studenten nach Göttingen, wo eine kleinere Gruppe von ihnen - sechs Medizinstudenten, wovon einer Göttingen allerdings schon im November 1943 wieder verließ - den Göttinger Universitätskliniken zugewiesen wurde und alle anderen zum Flakzeugamt und in das Lager Egelsberg kam.

Cees Louwerse über das Lager Egelsberg:

"Wir wohnten im Lager Egelsberg. Zehn Studenten auf einem Zimmer mit 5 Pritschen. Es gab ungefähr 5 – 6 Baracken mit etwa 10 Zimmer pro Baracke. Am Kopf und Ende der Baracken gab es zwei Einzelzimmer. In einem von diesen Zimmern wohnte der Lagerführer. Es gab Zwangsarbeiter aus Frankreich, Italien, Polen, Rußland, Ukraine und Holland. Bis 1945 nur Männer. Insgesamt 300 bis 400 (?). Es gab auch eine große Kantine mit Küche, es gab eine Waschbaracke und ein Riesenklo, wo es etwa 20 Plätze nebeneinander, ohne Scheidungswände gab. An der Vorderseite für Männer, an der Hinterseite für Frauen. Die hygienischen Verhältnisse waren nicht super. Es gab immer Flöhe und Wanzen. (Die Wanzen versuchten wir zu beseitigen mit Salzsäure.) Es gab wenig Bewachung. So weit ich mich erinnere nur der Lagerführer."

Über die Arbeit im Flakzeugamt:

"Die gut 30 Studenten auf dem Flakzeugamt wurden in den nächsten Tagen verteilt über die verschiedenen Abteilungen, die es dort gab. Ich kam mit drei anderen Studenten auf dem „Auffangsbezirk für instandsetzungsbedürftiges Gerät“.

Ich habe ziemlich lange als Transportarbeiter gearbeitet. Und in dieser Beziehung bin ich etwa 1 Jahr auf einer „Eidechse“ (kleiner elektrischen Transportkarre) gefahren. Alles was es im Auffangsbezirk zu transportieren gab, habe ich gefahren. Weiter habe ich täglich mit einem französischen Zwangsarbeiter (Robert le G.), und später mit einem Holländer (Wim D.) das Essen aus der Küche in Lager Egelsberg geholt und zu den Kantinen auf dem Flakzeugamt gefahren. (Es ist wichtig dies zu bemerken denn es gab uns die Gelegenheit in der Küche allerhand Lebensmittel zu „organisieren“. Ich muss auch sagen, dass uns dort verschiedene Frauen (deutsche) ab und zu etwas gaben.)"

Über das Verhältnis zu den Zwangsarbeitern anderer Nationalitäten im Lager:

"Das Verhältnis zu den Franzosen war herzlich und interessant, weil es uns die Gelegenheit gab festzustellen ob die Sprachstunden auf dem Gymnasium erfolgreich gewesen waren.
Ganz besonders interessant war für mich die Beziehung zu Wladimir, ein 18-jähriger russischer Kriegsgefangener. Er hat mir monatenlang Worte vorgelesen aus einem russischen Lehrbuch, das ich bei der Buchhandlung Peppmüller gekauft hatte. Er sprach nur russisch, aber ich konnte mich nach ein paar Wochen schon einigermasesen mit ihm verständigen. Dank seiner Hilfe konnte ich mich schon nach einigen Monaten mit anderen russischen Kriegsgefangenen und Arbeitern unterhalten. Und es hat natürlich auch dazu beigetragen, dass ich in der Sammlerladestation, wohin ich täglich die Eidechse brachte, weil sie während der Nacht aufgeladen werden musste, eine ukrainische Freundin gefunden habe, die später meine Frau geworden ist."

Über die Beziehung zu den deutschen Arbeitern, die auch die Aufgabe hatten, die Ausländer zu kontrollieren und während der Arbeit zu bewachen:

"Die Beziehung zu den deutschen Mitarbeitern war sehr unterschiedlich. Schon früh habe ich gemerkt, dass es Deutsche gab, denen man vertrauen konnte und andere, bei denen man aufpassen musste, auch wenn sie Freundlichkeit vortäuschten. Die Beziehung zum Chef war von Anfang an gut. Mir wurde ziemlich schnell deutlich, dass man ihn wegen seiner Fachkenntnisse brauchte. Weil man ihm aber nicht vertraute, bekam er ein Parteimitglied an die Seite, der zusehen musste, dass er nichts Falsches machte; dessen Funktion war die „Überwachung Ein- und Ausgang“ und es war ein sehr dummer Mann.
Als gegen Ende des Krieges Schüler eingesetzt wurden auf dem Flakzeugamt, habe ich einige von ihnen öfters gewarnt, dass sie sich mit mehr Vorsicht benehmen mussten. Mit den meisten hatte ich recht gute Kontakte."
Im Arbeitsbereich waren die Betriebsobmänner gefährlich. Sie waren die richtigen Parteivertreter auf dem Flakzeugmat. Ihnen sollte man besser nicht begegnen. Es gibt eine Geschichte von einem misslungenen Versuch Holz zu „organisieren“, um unsere Zimmer zu heizen. Vom Betriebsobmann wrude das gedeutet als „Gefährdung der Wehrmacht“, vom Flakzeugamtkommandanten als Bubenstreich, „und ich verurteile euch zu zwei mal Bereitschaftsdienst ausser der Reihe!“"

Nicht immer gingen solche "Widersetzlichkeiten" jedoch so gut aus: Jan Klompenhouwer, der ebenfalls im Flakzeugamt arbeitete und einen deutschen Arbeiter, der ihn ins Gesicht geschlagen hatte, zurückschlug, kam ins Arbeitserziehungslager Watenstedt, und Lambert M., einer der Medizinstudenten, die in den Kliniken arbeitete, wurde in ein Lager bei Hildesheim eingewiesen, weil - so der Bericht von Cees Louwerse - einer Krankenschwester, die ihn immer mit "Heil Hitler" gegrüsst habe, einmal "Heil Holland" erwidert habe. Zwar hat Lambert M. die Geschichte nicht ganz so bestätigt (den genauen Grund für seine Einlieferung kann man seinen eigenen Erinnerungen entnehmen), Tatsache aber bleibt, dass beide nach 10 Tagen "gebrochen" aus diesen Lagern zurückkamen.

Über die Verpflegung:

"Von 1943 bis Sommer 1944 bekam ich alle 14 Tage ein Päckchen von meinen Eltern, worin immer Brot war, und auch oft Haferflocken oder etwas ähnliches. Das warme Essen, das wir mittags in der Kantine bekamen, war oft Suppe und gegen Ende des Krieges mit immer mehr Wasser. Wenn es zu wenig zu essen gab habe ich immer versucht irgendwo Essen zu „organisieren“. Wenn man sich mit der Sprache behelfen kann, ist das nicht so schwierig."
In der Sammlerladestation, wo ich jeden Abend die Eidechse hinfuhr, weil sie dort aufgeladen werden musste, arbeiteten zwei Deutsche, zwei Franzosen und zwei ukrainische Mädchen. Weil sie mit Säuren arbeieten, bekamen die Arbeiter eine extra Portion Milch. Das heisst: die Deutschen bekamen 1 Liter pro Tag, die Franzosen ½ Liter pro Tag, und die Ukrainerinnen... nichts. Das war die Folge der sogenannten „Rassenunterschiede“!!"

Eine der beiden ukrainischen Mädchen war Marusja. Sie wurde Cees' Freundin (und später seine Frau).

Über die Freizeit:

"Am Abend nach der Arbeit und im Wochenende konnten wir in die Stadt gehen. Es war uns nicht gestattet, uns irgendwohin ausserhalb von Göttingen zu begeben. Ab und zu habe ich das trotzdem gemacht. Ich erinnere mich an einen Besuch an dem Hanstein und an einer Fahrt nach Hannoversch-Münden. Und einmal habe ich eine Fahrt nach Nienburg beantragt, wo ein Freund arbeiten musste (er war auch Student). Ich bekam die Genehmigung für ein Wochenende (29.1./30.1.1944). Mit französischen Arbeitern habe ich ab und zu in der Stadt gegessen. Und ab Herbst 1944 traf ich meine ukrainische Freundin auch regelmässig im Wochenende in der Stadt."

Über die Krankenversorgung:

"Ich hatte eine Blinddarmreizung. Ich habe mich untersuchen lassen in einem Poliklinik der Uni. (Mit Hilfe meiner Freunde, die dort arbeiten mussten.) Ich wurde da arbeitsunfähig geschrieben von einem Doktor N. Nach 14 Tagen gab es eine Kontrolle bei einem Militärarzt im Spital auf dem Fliegerhorst. Dieser Oberst wies mich für 14 Tage in sein Spital ein."

Im Herbst 1944 war noch davon die Rede, dass die Studenten aus dem Auffangbezrik für instandsetzungsbedürftiges Gerät, in dem auch Cees Louwerse arbeitete, zum Flakzeugamt nach Minsk versetzt werden sollte, doch konnte der Chef des Auffangbezirks dies in letzter Minute verhindern.

Nach dem Krieg musste Cees Louwerse seine Freundin Marusja erst heiraten, ehe er sie mit in die Niederlande nehmen konnte:

"Ich bin in Mai 1945 nicht nach Holland zurückgefahren, weil ich meine Ukrainische Freundin nicht mitnehmen konnte, da die Grenze für Ausländer, die sich nicht legitimieren konnten, geschlossen war. Wenn ich sie heiraten würde, wäre sie Holländerin und ich könnte mit ihr zu meinen Eltern fahren. Ich habe mich dann entschlossen, in Göttingen zu bleiben und zu versuchen sie dort zu heiraten. Ich habe bis Januar 1946 beim Town Major als Dolmetscher gearbeitet. Schon in Juni 1945 hat es eine „erste“ Heirat gegeben. Zusammen mit acht polnischen Paaren hat ein amerikanischer Armeepfarrer uns verheiratet. Aber eine Woche später hat sich herausgestellt, dass die Heirat nicht rechtsgültig war. Dann hat einen Monat später Pfarrer Cordes – der Pfarrer der Marienkirche war – uns in der Ehe verbunden. Auch diese Ehe hatte keine Rechtsgültigkeit. Erst als ein Vormund für meine Freundin ernannt worden war, die unsere Ehe genehmigt hat, hat das Oberlandesgericht in Celle die endgültige Genehmigung gegeben, so dass wir im Herbst 1945 endlich im Standesamt heiraten konnten."

Danach brachte Cees Marusja zu seinen Eltern nach Holland und kehrte danach noch einmal nach Göttingen zurück, um seinen Vertrag als Dolmetscher zu erfüllen: "In Januar 1946 bin ich zurückgefahren nach Holland. In 1949 konnte ich mein Studium der Geographie und Geschichte beenden."

Cees Louwerse promovierte, war dann Lehrer an einem Gymnasium in Utrecht und richtete später an der Akademie "De Horst" in Diresbergen eine Abteilung "Kulturelle Arbeit" ein. Ab 1971 arbeitete er als Studienberater an der Universtität Utrecht.

Fotos von Cees Louwerse

Tagebuch von Cees Louwerse

Das Foto zeigt Marusja und Cees (rechts). Es wurde von dem Göttinger Fotografen Adalbert Blankhorn aufgenommen, der viele Zwangsarbeiter fotografiert hat. Erhalten haben wir dieses Foto von einer Freundin Marusjas, die ebenfalls im Flakzeugamt Zwangsarbeit leistete und mit ihr in einer Baracke im Lager Schützenplatz lebte. Marusja hatte ihr das Foto als Andenken geschenkt. Cees und Marusja, die kuzr nach dem Krieg in Göttingen heirateten (weil sonst Marusja Cees nicht nach Holland hätten begleiten können), hatten gemeinsam vier Kinder. Marusja starb 1992 im Alter von 68 Jahren.

Diese Fotos vom Lager Egelsberg wurden alle von Cees Louwerse selbst fotografiert. Auf dem letzten Foto steht seine Freundin Marusja, die nach dem Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz am 1. Januar 1945 in einer gesonderten Baracke für "Ostarbeiterinnen" auch im Lager Egelsberg lebte, vor einem Bunkereingang. Den Bombenangriff auf das Lager Schützenplatz erlebte auch Cees Louwerse hautnah mit: "Ich war zur Leinebrücke beim Schützenplatz gegangen, weil ich dort meine Freundin treffen möchte. (Sie wohnte dort im Russenlager.) Als ich bei der Brücke kam, fielen die Bomben. Ich bin dann in einem Bombentrichter gesprungen und habe dort die zweite „Ladung“ abgewartet."

Louwerse fotografierte auch nach dem Krieg das zerstörte Flakzeugamt, das am 7. April 1945 kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner bombardiert wurde. Außerdem wurden einzelne Gebäude von den letzten abziehenden deutschen Soldaten teilweise gesprengt:

Er legte davon ein Album an, das er mit der Überschrift versah: "Was übrigbleibt..."


Literatur und Quellen:

Fragebogen Cees Louwerse, o.D. (2002) mit Fotos (überlassen von Günther Siedbürger, mit kleinen Korrekturen der deutschen Grammatik), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

Foto Blankhorn, überlassen von Tajana Sergejewna J., geb. 11.7.1924, 2001, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

Martin Heinzelmann, Göttingen im Luftkrieg, Göttingen 2003, S. 73.

 


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