NS-Zwangsarbeit: Städtische Fahrbereitschaft

Am 6. Juni 1942 hatte der Reichsinnenminister verfügt, dass zur "Erreichung eines beschleunigten Transportmittelumlaufs" die Landräte bzw. Oberbürgermeister Belade- und Entladekolonnen bilden sollten, in denen geeignete Hilfskräfte, in erster Linie sowjetische Kriegsgefangene dafür sorgen sollten, die Be- und Entladezeiten für Güterzüge auf ein Minimum zu reduzieren. Organisatorisch verantwortlich für die Aufstellung dieser Be- und Entladekolonnen war der dem Oberbürgermeister zugeordnete städtische "Fahrbereitschaftsleiter", der auf kommunaler Ebene für die Koordination des Nahverkehrs verantwortlich war. Aufsichtsbehörde war der Oberpräsident als Bevollmächtigter für den Nahverkehr in der Provinz Hannover. Dieser übernahm daher auch die Kosten, die den Städten durch Unterkunft und Verpflegung der Kriegsgefangenen entstanden.

Eingesetzt wurden die Kolonnen auf Anforderung der Reichsbahndienststellen bzw. der Anlieferer oder der Empfänger von Gütern, die entsprechend auch für den Einsatz zu zahlen hatten: und zwar die verglichen mit den sonstigen Tagessätzen (für jeden sowjetischen Kriegsgefangenen musste täglich nur 2,30 RM abzüglich 1,00 RM für Unterkunft und Verpflegung an das zuständige Stalag überwiesen werden) ausgesprochen hohe Summe von 0,60 RM pro Gefangenen und Stunde (!). Dieser hohe Betrag erklärt sich vielleicht aus der Tatsache, dass der Einsatz in den Be- und Entladekolonnen ein ausgesprochenes Stoßgeschäft war und daher keine kontinuierliche Einnahmen zu erwarten waren. Dementgegenstehend war aber gerade der Güterumschlag reichsweit ein ständig unter Zeit- und Arbeitskräftemangel leidender Bereich, und es gibt auch für Göttingen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die der Stadt Ende August 1942 zugewiesenen zunächst 30 sowjetischen Kriegsgefangenen etwa zwischenzeitlich für andere Arbeiten herangezogen worden wären.

Ein Jahr lang war diese Entladekolonne, die zwischenzeitlich noch einmal aufgestockt worden war, im Einsatz. Im August 1943 wurden dann aber plötzlich 30 Gefangene abgezogen, so dass der Stadt nur noch 8 Gefangene blieben, was sofort zu Problemen mit der Reichsbahn führte, die wegen fehlender Güterwaggons auf einen raschen Wagenumlauf angewiesen war. Die Reichsbahn beschwerte sich daher beim Oberbürgermeister, dass das Gaswerk die Kohlenladungen nicht mehr fristgemäß entlade und drohte, falls sich dies nicht ändere, mit einer drastischen Erhöhung des Wagenstandgeldes. In der erstaunlich schnellen Zeit von nur etwas mehr als einem Monat gelang es dem städtischen Fahrbereitschaftsleiter erneut die Zuweisung von 40 sowjetischen Kriegsgefangenen durchzusetzen, die über den Oktober 1944 hinaus, wahrscheinlich sogar bis Kriegsende für die Stadt im Einsatz blieben.

Untergebracht war der erste Trupp von sowjetischen Kriegsgefangenen im Lager Lohberg, nachdem man zunächst überlegt hatte, sie in den von der Firma Feinprüf im Lager Eiswiese nicht benötigten Baracken unterzubringen, weil im Lager Lohberg kein Platz war. Die Gefangenen mussten denn auch ihre Unterkünfte im Lager Lohberg erst einmal selbst bauen. Der zweite Trupp, der im Oktober 1943 eintraft, war im Lager der Aluminiumwerke untergebracht. Diese teilten der Stadt jedoch im Juli 1944 mit, dass sie den Platz im Lager selbst benötigten und die Baracke deshalb bis zum 1. August 1944 geräumt sein müsse. Durch zähe Verhandlungen gelang es der Stadt dann aber, im Oktober 1944 von den Aluminiumwerken die Zusicherung zu erlangen, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen "vorläufig" in den Aluminiumwerken bleiben könnten.

Die im November 1943 vom Oberpräsidenten avisierten 40 italienischen Militärinternierten trafen bis September 1944 nicht in Göttingen ein.


Zuweisung von 30 sowjetischen Kriegsgefangene, die im Lager Lohberg untergebracht werden sollen - 13.7.1942 (Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 2 Nr. 34, o.P.)


Mitteilung der Aluminiumwerke, dass die von der städtischen Fahrbereitschaft in deren Lager untergebrachten sowjetischen Kriegsgefangenen, anderweitig untergebracht werden müssen - 21.7.1944 (Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 2 Nr. 34, o.P.).


Quellen:

RdErl. des RMdI 4.6.1942, Erl. des RMV 3.6.1942 (Zitat), Deutscher Gemeindetag 24.6.1942, Güterabfertigung Göttingen 24.6.1942, Rundschreiben des Oberpräs. 24.6.1942, 1.7.1942 mit Anhang Bedarf, zwei Aktennotizen 4.7.1942, Aktennotiz 29.6.1942, Aktennotiz 4.7.1942, 20.7.42, Fahrbereitsschaftsleiter an OB 13.7. 1942, Aktennotizen 21.7.1942, 8.8. 1942, 29.8. 1942, 25.9.1942, Güterabfertigung an OB 27.8.1943, OB an Reichsbahn 1.9.1943, Reichsbahn an OB 8.9. 1943, OB an Oberpräs. 20.9. 1943, Antwort 27.9.1943, Aktennotizen 4.10.1943, 6.10.1943, 8.10.1943, Aktennotizen 18.11.1943, 23.11. 1943, 24.11.1943, 30.12.1943-5.9.1944, Küchenvereinigung an Fahrbereitschaft 14. 1.1944, Aktennotiz 29.1.1944, Aluwerke an OB 21.7. 1944, Aktennotizen 24.7.1944, 25.10. 1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Fach I Nr. 34, o. P.

 


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