NS-Zwangsarbeit: Berichte ehemaliger französischer Medizinstudenten, die seit Sommer 1943 Zwangsarbeit in den Göttinger Universtitätskliniken leisteten |
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Jean René M., geb. 4.8.1922, wurde als Medizinstudent im August 1943 nach Göttingen deportiert, um hier in den Universitätskliniken als Laborgehilfe zu arbeiten. Er schrieb über seine Zwangsarbeit in Göttingen in einem Brief vom 14. April 2002:
"Im August 1943 wurde ich mit allen Medizinstudenten der Klasse 42 von Limoges nach Deutschland geschickt. Nach unserer Ankunft in Hannover wurden wir in kleinen Gruppen auf die Städte der Umgebung verteilt. So wurden 3 Studenten nach Göttingen geschickt: Guy C., Maurice L. und ich. Wir waren erst monatelang in einem Lokal im Erdgeschoss der Augenklinik untergebracht [es handelte sich dabei um die ehemalige Pförtnerloge - C.T.]. 12 Personen teilten sich 2 Räume: 4 Franzosen in einem (die 3 oben erwähnt + Robert D.) und 8 Holländer in dem anderem (7 Medizinstudenten und der achte arbeitete mit Robert D. beim Betreiber des Klinikums.) [Robert D. arbeitete als Hilfsarbeiter im Maschinenarum der Kliniken - C.T.] Dann wurden wir im Dachboden des Pathologiegebäudes einquartiert, wo wir bis zur Befreiung (Mai 1945) geblieben sind. Maurice L. arbeitete als Krankenpfleger auf einer Station [in der HNO-Klinik -C.T.]. Nach ein paar Monaten bekam er Hepatitis, die sich zu einer schweren Erkrankung auswuchs. Sie rechtfertigte seine Rückführung nach Frankreich am Anfang des Jahres 1944 [erst im Mai 1944 konnte Maurice L. nach Frankreich zurückkehren - C.T.]. In Frankreich schloss er sein Medizinstudium und ließ sich in Saint Suplice les Feuilles nieder. Er heiratete dort und bekam 4 Kinder. Leider entwickelte sich die Hepatitis zu einer Zirrhose, die seinen Tod gegen 1967 verursachte. Guy C., auch Krankenpfleger auf einer Station (HNO denke ich [Nein, dort war Maurice L., Guy C. arbeitete in der Nervenklinik - C.T.]), ist genauso wie ich in Göttingen bis zur Befreiung geblieben. Später studierte er weiter in einer anderen Universität als ich und ich habe ihn aus den Augen verloren. Ein einziges Mal, am Ende unseres Studiums, standen wir in Briefkontakt, aber danach habe ich keine Nachrichten mehr von ihm bekommen. Er soll sich bei Lône (Sarthe oder Mayenne) niederlassen haben, aber in welcher Stadt genau habe ich nie gewusst Vor kurzem habe ich seine Adresse im ROSENWALD (eine Art Adressbuch der Ärzte) gesucht, aber ich habe ihn nicht gefunden. (Vielleicht ist er gestorben?) Was mich betrifft, so wurde ich der Frauenklinik zugewiesen, erst arbeitete ich im Labor und nach einigen Monaten als "Krankenpfleger". Ich blieb dort bis zur Befreiung. Nach Frankreich heimgekehrt studierte ich in Paris weiter, wo ich später auch als Arzt arbeitete." Auch Robert D., geb. 20.5.1944, schrieb am 28.3.2002 einen kurzen Brief, in dem er bestätigte, dass er als Hilfsarbeiter im Maschinenraum gearbeitet habe, und dass die französischen Medizinstudenten später auf dem Dachboden der Pathologie untergebracht waren.
In den Akten gibt es im Vorfeld der Zuweisung der französischen Medizinstudenten nach Göttingen einen kuriosen Briefwechsel über die Bezahlung der französischen Medizinstudenten. Man hatte wohl ursprünglich mit der Zuweisung von ausgebildeten Ärzten ("Jungärzten") gerechnet, die entsprechend nach Tarif bezahlt werden sollten. Dagegen protestierte der Göttinger Kurator am 21.7.1943 beim Gesundheitsamt, eine volle Bezahlung als wissenschaftlicher Assistent sei nur möglich, wenn sie genügend Deutsch könnten, sonst würden sie nur als Volontärassistenten bezahlt, d.h. wie die Ungarn, Bulgaren usw., die in Göttingen tätig seien. Das Gesundheitsamt bezweifelte daraufhin, ob unter diesen Bedingungen eine Beschäftigung der Franzosen in Göttingen möglich sein würde. Die Zuweisung erfolgte trotzdem. Am 21.9.1943 sprach das Reichsministerium des Innern dann in einem Rundschreiben nur noch von einer "sinngemäßen Anwendung der diesbezüglichen Tarifordnungen", wies aber in einen Schreiben vom 9.11.1943 daraufhin, dass es unzulässig ist, wie offenbar geschehen, die französischen Medizinstudenten als Volontäre (im Rahmen ihrer Ausbildung) zu behandeln und gar nicht zu bezahlen: es handele sich um Arbeitskräfte und diese seien entsprechend zu entlohnen. Zu Göttingen gibt es in den Akten über die tatsächlich erfolgte Entlohnung keine konkreten Angaben, da es sich aber nur um Medizinstudenten gehandelt hat, dürften sich die hier diskutierten Fragen von selbst erledigt haben. Nach späteren Angaben von Jean Réne M. waren die ausbezahlten Löhne zu niedrig, um den Bedürfnissen der Arbeiter wirklich gerecht zu werden, sie hätten gerade für ein Bier oder einen Kinobesuch gereicht. |
Robert D. und Jean René M. vor den Göttinger Klinikgebäuden (Foto überlassen von Joop B.)
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Quellen und Literatur:
Briefe Jean René M. 14.4.2002, Robert D. 28.3.2002 (beide überlassen vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin), Fotos Joop B., Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien, Korrespondenz und Fotos.
Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.
Aufenthaltsanzeigen für Ausländer (Maurice L., geb. 21.8.1922), Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15 (alphabetische Ablage)
Reg.präs. Hildesheim an Oberpräs. 9.6.1943, Anfrage Kurator 6.7.1943, Antwort Reg. präs. 12.7.1943, Arbeitsamt an Oberpräs. 16.9.1943, Oberpräs. an RmdI 15.11.1943; Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3283, Bl. 8, Bl. 18 ff., Bl. 34, Bl. 47.
RMdI 9.11.1943, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3282, Bl. 12
Register Fremdenpässe, angefangen 4.2.1942 (Eintrag 290/1944; 288/1944, 289/1944) Stadtarchiv Göttingen, Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt).
Anfrage Kurator 9.6.19433, Antwort Reg. präs. 12.7.1943, Kurator an Gesundheitsamt 21.7.1943, Oberpräs. an den Beauftragten für die ärtzliche Planwirtschaft im Reichsinnenministerium 16.6.1943, RMdI Rundbrief 21.9.1943, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3283, Bl. 18 ff. + o.P., Bl. 36; RMdI 9.11.1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3282, Bl. 12.
Cécile Bonnet, Service du travail obligatoire (STO) in Göttingen, Magisterarbeit Universität Aix en Provence, Frankreich, 2004 (Manuskript), Abschnitt 2.1. Rechte.