Auszüge aus: Jan Klompenhouwer, Das Krankenrevier des "Lagers 21". Erfahrungen aus dem Arbeitserziehungslager Watenstedt (1941-1945), in: Zwangsarbeit und Gesundheitswesen im Zweiten Weltkrieg. Einsatz und Versorgung in Norddeutschland, hg. von Günther Siedbürger und Andreas Frewer, Hildesheim 2006, S. 213-219.

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"Lager 21" war ein großes Viereck aus Baracken mit nach innen gerichteten Fenstern und Türen, darin der Appellplatz.
Der Eingang befand sich links unten. Die Neuzugänge wurden zunächst in einem Betonbunker draußen eingeschlossen. Geschlafen wurde dort auf dem Betonboden mit ungefähr 60 Mann. Da begegneten wir auch den so genannten Abgängen. Sie sahen sehr schlecht aus. Ein Franzose wollte meine Nummer wissen, er wollte berechnen, wie viele Insassen in den drei Monaten siener Gefangenschaft gestorben waren. Seines Erachtens waren 10 % ums Leben gekommen (zwischen November[1943] und Februar [1944]). Meine Nummer war 18299. Berüchtigt waren das Kommando "Schlacken Drütte" sowie "der lange Rumäne" (SS). Der hatte sich berufstätig qualifiziert im Erschlagen der Gefangenen mit einem Faustschlag. Er war darauf sehr stolz. "Der lange Rumäne" war jeden morgen auf seinem Platz beim Frühstückholen. In einer langen Reihe sollten die Häftlinge an einem Schalter entlang rennen: "Schnell Mensch" - wer zögerte, weil er Fieber hatte, war Opfer des Rumänen.
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In der Überwachung und Beobachtung kam eine gewisse Schizophrenie zum Ausdruck; man wollte erpressen, foltern, aushungern, terrorisieren: das war die Richtung Heinrich Himmlers. Gleichzeitig gab es aber auch die eher nüchterne Tendenz: Wir brauchen Arbeiter für die Industrie: So wurde ein Franzose, mit dem ich in Göttingen in der Zelle war, von seiner Firma in Hannover aus dem "Lager 21" herausgeholt. Argument: Wir brauchen ihn. Wer gute Arbeiter braucht, glaubt nicht an die Effektivität des Zwangs- und Terrorsystems.
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Der Tag begann um 5.30 Uhr mit einem schneidenden Pfeilsignal: Aufstehen, Appell. Unsere Bekleidung - Unterhose, Hemd, Arbeitsanzug - schützte uns nicht gegen die Kälte; so standen wir eine halbe Stunde. Appell, Austreten, Waschen und zurück.
Zweiter Appell. Wieder eine halbe Stunde. Kontrolle durch SS und Lagerführer, da wurde geschimpft und geschlagen, wenn einer sich krank meldete; ein Katz-und Maus-Spiel. Sich krankmelden war ziemlich gefährlich. Bei unsicherem oder ängstlichem Benehmen wurde man oft nach "Schlacken Drütte" geschickt, das war vielfach ein Todesurteil.
Nachher kam das Defilee am Frühstücks-Schalter mit dem "langen Rumänen", der mal tüchtig die Geschwindigkeit des Defilees erhöhte und den Kranken deutlich machte, dass die Wahl einfach war: Kommando oder Bett. Wenn einer schließlich zusammenbarch, dann war er wahrscheinlich kein Simulant.
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"Schlacken Drütte" war [...] ein Todeskommando.
Morgens um 6.30 Uhr fuhren wir auf einem Lastwagen ab, etwa 30 Mann zusammengedrängt auf der Ladefläche, dabei ein Pole mit Knüppel. Jeder wollte sich vor dem kalten Wind schützen.
Gedränge und Geschimpfe; war an der Außenseite saß, starb vor Kälte. Die Franzosen schimpften auf die verhassten Ukrainer und so weiter.
Herunter vom Lastwagen und auf das Gelände in Drütte, Schmalspurbahnengleise mit Kippkarren führten zu der auf den Boden gestreuten Hochofenschlacken, die war heiß. Jeder Häftling hate seine eigenen Kippkarren. Hinter uns die Schieber mit Knüppel. Jetzt konnte das Spiel mal anfangen. Wer nicht zur rechten Zeit seine Kippkarre mit der schwarzen heißen Schlacke gefüllt hatt, wurde in der Bude mal tüchtig behandelt. Denn das war "Nichterfüllung".
Um 12 Uhr bekamen wir so etwas wie Tee.
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Um 17.30 Uhr Abführen zum Lager, wieder das Schimpfen und Drängen; die meisten waren schon erschöpft, dann im Lager, eine kalte Dusche. Wir waren schmutzig vom Kohlenstaub; natürlich war es ganz richtig zu duschen, aber im vierten Kriegsjahr gab es keine Handtücher, also nass zurück in die Baracke und Suppe essen.
Am Abend kam die SS-Kontrolle in die Baracke, Stubenappell hat das geheißen. Kontrolle, ob wir alle eisernen Löffel abgegeben hatten, denn aus eisernen Löffeln wäre es möglich gewesen, Messer zu machen, einen Aufstand zu organisieren. Die Idee war einfach lächerlich, ganz erschöpfte Häftlinge mit aus eisernen Löffeln gemachten Messern gegen gesunden SSler mit Maschinengewehren. Aber die Kontrolle hatte Erfolg, einer hatte seinen Löffel verborgen. Er wurde zusammengeschlagen. Und das war die Absicht.

Zum Verhaftungsgrund siehe hier.

 


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