Lager: Gasthaus Sültebeck Tschechen, Holländer, Belgier
|
|
Am 25. September 1939 brachte die Reichsbahn erstmals 30 tschechische Arbeiter gemeinschaftlich im Gasthof "Am Sültebeck" unter. Da die Reichsbahn nur einen oder zwei Räume für die tschechischen Arbeiter angemietet hatte, lief der Gasthausbetrieb zunächst normal weiter.
Vorgeschrieben war eine lagermäßige Unterbringung für tschechische Arbeitskräfte im September 1939 noch nicht; dies wurde erst im Dezember 1940 verfügt. Als staatliche nicht örtlich gebundene Einrichtung war die Reichsbahn jedoch in besonderer Weise daran interessiert, das ihr zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotential jederzeit problemlos an verschiedene Einsatzorte verbringen zu können: So wurde etwa die Hälfte der ursprünglichen Lagerbesetzung auch schon zwei Wochen nach ihrer Ankunft in Göttingen nach Ristedt im Kreis Sangershausen versetzt und im Sommer 1940 kam umgekehrt ein Gleisbautrupp von etwa 25 Tschechen aus Ottbergen nach Göttingen ins Lager Sültebeck. Eine solche Umsetzung aber war bei einem in einem Lager gemeinsam untergebrachten Arbeitstrupp sehr viel leichter und schneller möglich als bei in Privatquartieren wohnenden Einzelpersonen. Bewacht durch eigenes dafür abgestelltes Wachpersonal wurde das Reichsbahnlager im Gasthaus Sültebeck nicht. Doch erleichterte eine gemeinschaftliche Unterbringung in direkter Nähe des Arbeitsplatzes, wie sie im Maschmühlenweg gegeben war, natürlich die Überwachung der Tschechen durch deutsche Vorarbeiter oder Truppführer erheblich. "Fluchtversuche" sind in dieser Gruppe von Arbeitern in den Quellen jedenfalls nicht dokumentiert. Nachgewiesene Gruppen von Tschechen, die von der Reichsbahn im Lager Sültebeck untergebracht waren: Ab Januar 1941 brachte die Reichsbahn auch kleinere Gruppen von holländischen Zivilarbeitern und ab Oktober 1941 auch belgische Zivilarbeiter (Wallonen) im Gasthaus Sültebeck unter. Die Reichsbahn nutzte das Lager nur bis zum Februar 1943, da sie zu diesem Zeitpunkt die Räume an das inzwischen in dem Gasthaus untergebrachte städtische Kriegsgefangenenlager für Franzosen abgeben musste. |
|
Akte Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48 und 52, passim, Stadtarchiv Göttingen.
Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen.
Der Grundriss stammt aus der Akte der Baupolizei Fach 112 Nr. 348, abgedruckt in: Jochachim Bons u.a., "Bohnensuppe" und Klassenkampf. Das Volksheim. Gewerkschaftshaus der Göttinger Arbeiterbewegung von der Entstehung im Jahre 1921 bis zu seiner Zerstörung 1944, Göttingen 1986, S. 27.
Die obigen Schätzungen beruhen auf der Auswertung und einer entsprechenden Hochrechnung von 24,12 % der insgesamt 1082 Kisten (Zahl bereinigt um Kisten mit ausschließlich typisch deutschen Namen wie Müller, Schmidt, Schulze) der alten Einwohnermeldekartei, die im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt wird.
Stephan Posta, Tschechische "Fremdarbeiter" in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft, Dresden 2002, S. 125 f.