Marcel F., geb. 24.6.1920, im Januar 1943 nach Frankfurt, im August 1943 nach Göttingen, im Januar 1944 wieder nach Frankfurt (Reichsbahn) |
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Marcel F. schrieb am 22.12.2003 an Cécile Bonnet: "Ich wurde in St Germain de la Coudre 61 am 24.06.1920 geboren. Anfang Januar 1943 wurde ich gezwungen, als STO in Deutschland zu arbeiten, und nach Frankfurt am Main geschickt. Also im Juni 1943 wurde ich und ein Kamerad aus Nantes, von dem ich nichts mehr gehört habe, denn er war viel älter als ich, nach Göttingen versetzt, um für die Reichsbahn zu arbeiten. (Keilen der Wagons; Rangierbahnhof Süd -e s gab auch einen Rangierbahnhof Ost nebenan). Am Anfang (2 oder 3 Monate lang, ich weiss nicht mehr genau) wurden wir tatsächlich im Lager Grone untergebracht [nach den überlieferten Unterlagen war Marcel F. erst im Lager Groner Hof und dann im Lager Engel, beides Gastwirtschaften - er spricht unten aber von einem Barackenlager, so dass er zumindest zwischenzeitlich oder eben am Anfang auch im Lager Masch der Reichsbahn untergebracht gewesen sein kann - C.T.] , dann haben wir in der Stadt Göttingen gewohnt, ich erinnere nicht mehr an die Strasse, aber es war nicht weit vom Bahnhof entfernt. Wir arbeiteten 8 Stunden pro Tag, und ab Oktober 1943 hatten wir Schnee und nicht viel zu essen, denn wir waren wie die deutschen Zivilisten, wir hatten Versorgungskarten, und ich weiss nicht, ob die Mentalität in Göttingen sich verändert hat, denn damals waren alle Deutsche durch und durch hitlerisch, und wir wurden nicht sehr gut angenommen. Bei der Arbeit gab es ein Lokal, wo man essen konnte, aber die deutschen Eisenbahner wollten uns nicht sehen, mehrmals haben wir uns bei dem Bahnhofsvorsteher beschwert. Ausserdem haben wir, als gute Franzosen, ihnen auch nichts geschenkt. Im Januar 1944( gegen den 15.) fuhr ich nach Frankfurt am Main zurück, und im Laufe des Februars habe ich einen Urlaubsschein bekommen, um meine Frau und meine Familie zu sehen; dann habe ich mich in einem Bauernhof versteckt, dessen Besitzer Mitglied des Widerstands war. Während der in Göttingen verbrachten Monate gab es keinen Bombenangriff, denn ein Museum stand in der Nähe des Rangierbahnhofs, in dem ich arbeitete. Als ich im Lager Grone war, gab es neben unserem Barackenlager Polen und Russen, die auch für die Deutschen arbeiteten. Es gab auch Kinder aus Russland im Alter von 4 oder 5 Jahre, kaum bekleidet, mitleiderregend."
Von den uns namentlich bekannten sieben Franzosen, die im Juni/Juli und August 1943 nach Göttingen zur Reichsbahn kamen und gemeinsam zunächst im Lager Paul (= Groner Hof) untergebracht waren, kehrten wie Marcel F. alle ausnahmslos aus dem ihnen zwischen dem Dezember 1943 und April 1944 gewährten Heimaturlaub nicht zurück, begingen also in der NS-Terminologie arbeitsflüchtig. |
Quellen und Literatur:
Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur
Verschiedene Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15 (alphabetische Ablage).
Brief Marcel F., geb. 24.6.1920, an Cécile Bonnet 22.12.2003 (überlassen von Cécile Bonnet, Übersetzung Piat überlassen vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universtität Göttingen, Jörg Janssen), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.
Cécile Bonnet, Service du travail obligatoire (STO) in Göttingen, Magisterarbeit Universität Aix en Provence, Frankreich, 2004 (Manuskript).