NS-Zwangsarbeit: Feinmechanische Werkstatt August Fischer, Obere Karspüle 45 |
|
Hervorgegangen war die Werkstatt für Feinmechnanik von August Fischer (1900-1950) aus der von dem Göttinger Geophysiker Richard Ambronn (1887-1954) in den 1920er Jahren gegründeten Prospektion GmbH. Noch vor dem ersten Weltkrieg hatte Ambronn gemeinsam mit dem späteren Leiter der Phywe Gotthelf Leimbach die Gesellschaft zur Erforschung des Erdinnern ins Leben gerufen, aus der 1921 die ERDA AG hervorging, deren Leitung Ambronn dann allein innehatte. 1925 wurde die ERDA allerdings von einem Konkurrenten übernommen, und Ambronn machte sich als beratender Geophysiker mit der "Prospektion GmBH. Gesellschaft für angewandte Geophysik" selbständig. Er entwickelte eine international vertriebene seismische Aufnahmeapparatur mit sechs elektrischen Seismographen und Zentralregistrierung auf einem 22 cm Filmstreifen. August Fischer war ursprünglich bei Meister bei der Prospektion gewesen, bis er in den 1930er Jahren seine eigene Werkstatt gründete, die zunächst in der Hospitalstraße 7 und ab Kriegsbeginn in der Oberen Karspüle 45 (später auch 47) beheimatet war. Während des Krieges produzierte die Werkstatt Zünderschaltkästen für Stuka-Bomber (ZSK 244), Potentionmeter für Torpedos und Flugzeugersatzteile. Beschäftigt waren - nach der Aussage eines damals 15jährigen Lehrlings - 1943 in der Werkstatt etwa 20 Männer und 20 Frauen (einschließlich der Zwangsarbeiter) und 8 - 10 Lehrlinge.
Der ehemalige Lehrling erinnerte sich auch sehr gut daran, dass bei August Fischer 1943 fünf bis sechs "Ostarbeiterinnen" bei Fischer, die also alle auf dem nebenstehenden Foto, das von dem Betriebseigener gemacht und uns von einer der ehemaligen "Ostarbeiterinnen" überlassen wurde, abgebildet sind. Diese Gruppe arbeitete in der Werkstatt in der Oberen Karspüle, in der außerdem noch ein paar ausländische Männer (Belgier und Holländer) tätig waren. Zwei Belgier (Flamen, Vater und Sohn) sind in den Akten bei August Fischer nachgewiesen. Diese kamen allerdings schon im September 1941 nach Göttingen und kehrten nach Vertragsende im Mai 1942 mit einem positiven Führungszeugnis der Gestapo nach Belgien zurück. An zwei der Holländer erinnerte sich der damalige Lehrling in einem Interview noch 2001 noch namentlich und auch daran, dass einer dieser Holländer im Betrieb schon vorher angekündigt habe, nach dem Urlaub nicht mehr nach Göttingen zurückzukehren, von ihm (und anderen) aber nicht verraten worden sei. August Fischer habe während des Krieges auch noch zusätzliche Fertigungsräume in der Theaterstraße gehabt, dort hätten etwa 10 Arbeiter, darunter zwei "Ostarbeiterinnen" gearbeitet. Außerdem produzierte die Firma auch in Räumlichkeiten in der Bürgerstraße und in der Orgelfabrik Giesecke im Hasengraben, und in der Gewerbeschule am Rittelplan (damals Fachschule für Feinmechanik) im Keller arbeiteten auch noch zwei bis fünf Leute für August Fischer. Durchschnittlich arbeiteten bei Fischer also ab 1943 etwa 10 "Ostarbeiterinnen" und drei bis fünf Holländer bzw. Flamen |
Sechs "Ostarbeiterinnen", die bei August Fischer in der Oberen Karspüle arbeiteten. Das Foto wurde von August Fischer selbst aufgenommen und den Zwangsarbeiterinnen anschließend geschenkt. Eine von ihnen hat uns dieses Foto später überlassen. Sie schickte auch ein Foto der Familie von August Fischer, auf dem er selbst ganz links mit seiner Tochter und Enkeltochter und dem anderen Großvaters der Enkelin abgebildet ist. Das bekam sie, weil sie gleichzeitig auch noch in der Familie von August Fischer arbeitete und sich um die Enkelin kümmerte. Außerdem putzte sie auch noch in einem anderen deutschen Haushalt und Geschäft.
|
In der oberen Karspüle war der Maschinenraum in Erdgeschoss, im 1. Stock arbeiteten die Ostarbeiterinnen unter der Aufsicht einer Deutschen in der Fertigung. Sie hätten nicht unbedingt die "Goldarbeit" bekommen. Im 1. Stock befand sich auch das Werkstattlager. Im Dachgeschoss, wo auch eine "Ostarbeiterin" arbeitete, war die Montage. Als Lehrling habe er zu den "Ostarbeiterinnen" wenig Kontakt gehabt, er sah sie nur, wenn sie durch die Werkstatt gingen und mittags ihr Essen holten mit einem Fahrradanhänger, den sie schoben und auf dem ein Thermosbehälter stand. Sie hätten im Vorraum zu den Toiletten gegessen. Er erinnerte sich nicht daran, ob dort überhaupt Stühle standen. Sie hätten nicht ausgehungert ausgesehen, sagte er im Interview, aber er erinnerte sich daran, dass eine deutsche Arbeiterin einer der "Ostarbeiterinnen" einmal ein Butterbrot zugesteckt habe. Das habe er allerdings nur einmal gesehen, wobei zu berücksichtigen ist, dass er seine Lehrlingsausbildung schon im Herbst 1944 unterbrechen musste, weil er zum Arbeitsdienst und danach zur Wehrmacht einberufen wurde. Die Zwangsarbeiterinnen selbst berichteten - wie alle "Ostarbeiterinnen" - von ständigem Hunger.
August Fischer, der die Zwangsarbeiterinnen auch nach deren eigener Aussage vergleichsweise gut behandelte und in seiner Firma auch einige ehemalige SPD- und USPD-Mitglieder beschäftigte, baute im nahegelegenen Wall einen Bunker für die Belegschaft. Die "Mädchen" ("Ostarbeiterinnen") mussten nach den NS-Vorschriften in der Fabrik bleiben und hätten bei Alarm immer vor Angst geweint.
Erinnerungen ehemaligen "Ostarbeiterinnen", die bei August Fischer arbeiteten
Literatur und Quellen:
Interview mit Karl-Heinz B. (Lehrling bei August Fischer 1943/44) 21.5.2001, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.
Fragebogen Raina Fjodorowna M., geb. 1.7.1924, mit Fotos o.D. (Eingang Januar 2000), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32-Tollmien.