Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht

Nach den Polenerlassen vom März 1940, die in den Ostarbeitererlassen vom Februar 1942 mit einigen Verschärfungen auch auf die "Ostarbeiter" übertragen wurden, war jeder polnische und jeder aus der Sowjetunion stammende Zwangsarbeiter verpflichtet das vorgeschriebene Abzeichen zu tragen. Wer es nicht trug, wurde mit einer Geld- oder einer Haftstrafe bestraft. Es verwundert nicht, dass neben dem unerlaubten Verlassen des Arbeitsortes Verstöße gegen die Kennzeichnungspflicht am häufigsten zur Anzeige kamen. Dabei wurden zunächst einmal vor allem Polen aus diesem Grunde aktenkundig, nicht nur weil sie bereits anderthalb Jahre vor den "Ostarbeitern" im Deutschen Reich schufteten, sondern auch, weil sie eine größere Bewegungsfreiheit genossen als die in der Regel in Lagern untergebrachten "Ostarbeiter".
So wurde am 26. Mai 1940 in Göttingen ein Pole festgenommen, der ohne Kennzeichen eine Zirkusvorstellung besucht hatte, im November 1941 ein weiterer Pole, der sich unerkannt in einer Schlange vor einem Zigarrengeschäft angestellt hatte, im August 1942 eine Polin, die im Göttinger Stadtpark (eine beliebte Gast-, Tanz- und Vergnügungsstätte) beschäftigt war, offenbar unberechtigt denunziert, ihr Kennzeichen nicht immer zu tragen: Sie verbrachte deshalb fünf Tage im Göttinger Polizeigefängnis und wurde danach verschärft kontrolliert. Im Oktober 1942 wurden vier Polen wegen fehlenden Kennzeichens von der Ortspolizei angezeigt, und auch im April 1944 findet sich in den Akten wieder eine Anzeige gegen eine Polin, die kein Kennzeichen trug.

Polizeilicherseits war die Gestapo für die Zwangsarbeiter zuständig, so dass die uns vorliegenden Akten der Göttinger Ortspolizei nur einen qualitativen, keinen quantitativen Eindruck von dieser Art der Vergehen vermitteln. Darüber hinaus haben wir nur Insassenlisten des Göttinger Polizeigefängnisses, in denen nur selten der Haftgrund angegeben ist und aus denen vor allem nichts über die Höhe der Strafe zu entnehmen ist. Denn letztere war ebenfalls Sache der Gestapo und wurde nicht nur von den diskriminierenden Ausländergesetzen und den vielen geltenden Verboten, sondern bekanntlich auch von einem hohen Maß an Willkür bestimmt. So wurde etwa die im Göttinger Stadtpark beschäftigte Polin, obwohl die polizeilichen Kontrollen bis dahin nichts Nachteiliges ergeben hatten, ohne Angabe von Gründen am 15. September 1942 in das Göttinger Gerichtsgefängnis gebracht, wo sie im August 1943 noch immer einsaß. Danach verliert sich ihre Spur.

Zu einem aus Frankreich deportierten "Westukrainer", der beim Städtischen Betriebsamt arbeitete und zunächst als Pole galt, und sich weigerte das Polenabzeichen zu tragen, siehe hier.

Verhaftung eines Polens durch die Göttinger Ortspolizei und Übergabe an die Gestapo wegen Verstoßes gegen die Kennzeichnungspflicht, wobei hier erschwerend dazu kam, dass sich der verhaftete Pole an einem öffentlichen Ort gemeinsam mit Deutschen aufgehalten hatte

 

Quellen:

Anzeigen wegen Verstoß gegen die Kennzeichenpflicht 26.5.1940, 18.11.1941 (Abb.), 19.8.1942, 8.9.1942, 12.10.1942, 30.4.1944 Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 383, 464, 468, 513.
Einwohnermeldekarte von Bogumila G., geb. 10.11.1916, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnermelderegistratur
Häftlingsliste 30.4.1942, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 8 Nr. 9, Bl. 456.

 


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