Polizei- und Gerichtsgefängnis

Quantative Aussagen über die strafrechtliche Verfolgung der Zwangsarbeiter lassen sich für Göttingen nicht machen. Jedoch haben wir Listen von im Göttinger Polizeigefängnis einsitzenden Gefangenen, die wegen Erstattung von Reinigungs-, Verpflegungs- und Transportkosten angelegt wurden. Diesen Listen kann man entnehmen, dass in der Zeit vom April 1940 bis zum Ende des Krieges insgesamt 1171 Personen im Göttinger Polizeigefängnis - meist nur für wenige Tage vor Verbringung an einen anderen Haftort - inhaftiert waren. Darunter waren einige Deutsche, die meisten von ihnen aber - insgesamt deutlich über 1000 - waren ausländische Zwangsarbeiter, darunter einige wenige Tschechen und Franzosen, meistens aber Polen und "Ostarbeiter". Da nicht in allen Fällen die Nationälität des Inhaftierten zweifelsfrei festzustellen war, ist eine genauere Aufschlüsselung der Häftlingszahlen nach Herkunftsland nicht möglich.

Die Verfolgung der Zwangsarbeiter nahm zeitweise so große Ausmaße an, dass sich im Februar 1944 die Ortspolizei sogar bei der Gestapo beschwerte, weil durch die Einlieferung von manchmal bis zu zwanzig meist russischen oder auch polnischen Zwangsarbeitern gleichzeitig das Polizeigefängnis so überfüllt war, dass eine normale Polizeiarbeit nicht mehr möglich sei.

Einer statistischen Aufstellung des Ernährungsamtes zwischen 1942 bis Ende 1945 kann man entnehmen, dass sich die Belegungszahlen des Göttinger Polizeigefängnisses von 45 im Oktober 1942 bis auf 100 Insassen gleichzeitig im Februar 1944 steigerten, um dann geringfügig auf etwa 85 im Mai und Oktober 1944 abzunehmen.

Über 1000 Zwangsarbeiter zwischen November 1940 und März 1945 zeitweise im Polizeigefängnis Göttingen inhaftiert.

 

Zwischen April 1943 und April 1944 insgesamt 537 Häftlinge im Göttinger Gerichtsgefängnis, davon 201 Zwangsarbeiter und davon wiederum 136 Frauen.

Über die Anzahl der in Göttingen selbst verhafteten oder denunzierten Zwangsarbeiter sagt die Zahl von über 1000 Insassen des Göttinger Polizeigefängnisses während des Krieges übrigens nichts aus, da viele der Inhaftierten nicht aus Göttingen stammten und teilweise nur auf dem Weg von einem Gefängnis zum nächsten vorübergehend hier untergebracht waren. Hinzu kamen außerdem noch zwischen 40 und ebenfalls fast 100 Insassen im Göttinger Gerichtsgefängnis, die zwischen November 1942 und April jeweils gleichzeitig dort inhaftiert waren (Höhepunkt mit 98 Gefangenen war hier der November 1944). Für das Gerichtsgefängnis ist nur eine Gefangenenliste für das Abrechnungsjahr 1943 (1. April 1943 bis 30.3.1944) enthalten. Dieser kann man entnehmen, dass in diesem Jahr 537 Häftlinge im Göttinger Gerichtsgefängnis einsaßen, davon waren 201 Zwangsarbeiter, und davon wiederum 136 Frauen. Von diesen Frauen wurden 49 in das "Arbeitserziehungslager Watenstedt" eingeliefert, zwei der Zwangsarbeiterhäftlinge kamen in das KZ Buchenwald, jeweils sieben erlebten das Ende ihrer Strafe bzw. dass ihr Haftbefehl aufgehoben wurde. Haftgründe sind in der überlieferten Liste ebensowenig angegeben wie die Arbeitsstellen der Zwangsarbeiter. Wie im Polizeigefängnis waren im Gerichtsgefängnis sicher auch viele Zwangsarbeiter inhaftiert, die nicht in Göttingen arbeitete, einzelne Namen in der Liste ließen sich aber Göttinger Zwangsarbeitern zuordnen.

Eingeliefert wurden die Häftlinge sowohl ins Gerichtsgefängnis als auch ins Polizeigefängnis in der Regel von der Gestapo, ins Polizeigefängnis in Einzelfällen auch von der Orts - oder der Kriminalpolizei oder von einem Arbeitsamt. Wohin die Inhaftierten nach ihrer meist nach wenigen Tagen erfolgten Entlassung aus dem Polizeigeängnis verbracht wurden, kann man den überlieferten Listen nicht entnehmen. Es ist aber davon auszugehen, dass auch die meisten von ihnen in ein "Arbeitserziehungslager" oder sogar ins KZ eingeliefert wurden, einige wenige vielleicht auch in ein anderes Gefängnis.

Nur in einigen wenigen Einzelfällen aus den Jahren 1941 und 1943/44 sind in der Akte auch die Haftgründe angegeben: Für 1941 findet man den nicht näher spezifizierten "Verstoß gegen die Verordnung über polnische Zivilarbeiter" neben - sicher schwerwiegender - dem Vorwurf "staatsfeindlicher Propaganda" und "deutschfeindlicher Umtriebe" und natürlich das "heimliche Verlassen der Arbeitsstelle", den "Arbeitsvertragsbruch" und die "Arbeitsverweigerung", die leicht als Sabotage ausgelegt werden konnte. Bei zwei Polinnen ist als Einlieferungsgrund bemerkenswerter Weise "anderweitige Unterbringung" angegeben, in beiden Fällen war die einliefernde Behörde ein Arbeitsamt. Das bedeutet, dass Zwangsarbeiter - wie in einer anderen Akte in einem Göttinger Fall ebenfalls dokumentiert - für den Wechsel der Arbeitsstätte kurzerhand vorrübergehend in einem Gefängnis untergebracht wurden. In vielen anderen Fällen ist 1941 als "Grund der Einlieferung" jedoch nur "Schutzhaft" angegeben. 1943 und 1944 dagegen häufen sich die Fälle, in denen Zwangsarbeiter wegen "Diebstahl" von der Kriminalpolizei eingeliefert wurden. Dies betraf vier Ostarbeiterinnen und neun Ostarbeiter (wobei hier in vier Fällen als zusätzlicher Haftgrund "Fluchtverdacht" angegeben wurde), einen Serben und einen Tschechen. Eine "Ostarbeiterin" wurde wegen Tauschhandels, ein "Ostarbeiter" wegen Hehlerei inhaftiert, ein Franzose und ein Russe gemeinsam wegen des Verdachts auf Brandstiftung, ein Pole wegen Arbeitsvertragsbruch, ein Tscheche auf Ersuchen der Krminalpolizei Prag und ein weiterer Tscheche wegen "Unterschlagung von Lebensmittelmarken und Fluchtverdacht". Dies entspricht auch der Tendenz in den Tagesmeldungen der Kriminalpolizei, die für 1944 und 1945 als weitaus häufigsten Haftgrund für "Ausländer" Diebstahl nennen, und zwar sowohl von Lebensmitteln als auch von Kleidungsstücken. Es sei jedoch noch einmal darauf hingewiesen, dass dies keine absoluten Zahlen sind, sondern nur die Fälle betrifft, in denen in den Akten ein Haftgrund angegeben war .

Die Häftlinge des Gerichts- und Polizeigefängnisses wurden auch während ihrer Haftzeit weiter für Zwangsarbeiten eingesetzt. So waren im Oktober und November 1943 sowohl Häftlinge des Gerichtsgefängnisses als auch Gestapohäftlinge aus dem Polizeigefängnis für das städtische Bauamt beim Bau einer neuen Unterkunft für die Luftschutzleitung und beim Ausheben von Deckungsgräben tätig. Den Briefen nach zu urteilen, die ein holländischer wegen sog. Rundfunkverbrechen verurteilter Zwangsarbeiter aus dem Gerichtsgefängnis nach Hause schrieb, wurde dieser Arbeitseinsatz von den Häftlingen zum Teil aber als willkommene Abwechslung und - weil mit besserer Verpflegung verbunden - auch als Erleichterung der Haftbedigungen empfunden. Wegen der unzureichenden Bewachung gelang zweien der Gestapohäftlinge (wahrscheinlich "Ostarbeiter") sogar die Flucht von der Baustelle. Nach einem Bombenangriff im Juli 1944 wurden Häftlinge des Gerichtsgefängnisses auch zu Aufräumarbeiten eingesetzt -und dies - nach den Erinnerungen des holländischen Medizinstudenten Lambert M., der in den Universitätskliniken Zwangsarbeit leistete, offensichtlich auch zur Bombenentschärfung. Auch der damals erst zehn Deutsche Egon J. erinnerte sich daran, dass Zwangsarbeiter (er spricht nicht direkt von Gefängnishäftlingen) auch zur Bombenentschärfung eingesetzt wurden.

Eine Reihe von ZwangsarbeiterInnen kamen auch direkt aus Gestapo- oder Gefängnishaft nach Göttingen, so z.B. zwei Italienerinnen, die Anfang November 1943 der Bahnhofsgaststätte zugewiesen wurden, oder die beiden Serben, die im November 1943 und im März 1944 aus der Haft nach Göttingen kamen.

Siehe zum Gefängnis auch die Erinnerungen von Natalia Sergejewna T.

 



Quellen und Literatur:

Prüger, Kathrin, Osteuropäische Zwangsarbeiter (1939-1945) im Regierungsbezirk Braunschweig. Untersuchungen zu ihren Lebensbedingungen und ihrem Verhältnis zur deutschen Bevölkerung, Staatsexamensarbeit Göttingen 1988 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen).

Cordula Tollmien, Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Göttinger Stadtverwaltung während des Zweiten Weltkriegs (Fassung ohne Namensnennungen), Göttingen Dezember 2000, S. 37-40.

- Stapo an Kriminalpolizeileitstelle Hannover 22.2.1944, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 22 Nr. 7, Bl. 141.
- Häftlingslisten 1940-1945, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 8 Nr. 9.
- Meldung 3.3.1941, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 423.
- Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12.1945, Statistik der Verbrauchergruppen und des Bedarfs an Lebensmitteln für die 42., 46., 51., 56, 59., 63. und 68. Zuteilungsperiode vom 19.10.-15.11.1942, 8.2.-7.3.1943, 28.6.-25.7.1943, 15.11.-12.12.1943, 7.2.-5.3.1944, 29.5.-25.6.1944, 16.10.-12.11.1944, Stadtarchiv Göttingen Ernährungsamt Nr. 50, o.P.
- Tagesmeldungen der Kriminalpolizeileitstelle Hannover - Außenstelle Göttingen Bd. 1 Dezember 1943-1944 und Bd. 2 August 1944 bis März 1945, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 175 Nr. 1.
- Gefangenenbuch des Landgerichtsgefängnisses Göttingen für das Rechnungsjahr 1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hann 86a acc. 75/85 Nr. 1 (exzerpierte Namensliste überlassen von Günther Siedbürger).

 


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