NS-Zwangsarbeiter: Vergehen
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Die spezischen Zwangsarbeitervergehen verteilten sich in verschiedener Weise auf die einzelnen Nationalitäten. Während für "Arbeitsvertragsbruch" und "Arbeitsflucht" staatsfeindliche Äußerungen, sog. Rundfunkverbrechen, Sabotage und Arbeitsbummelei alle ausländischen Zwangsarbeiter (und im übrigen auch Deutsche) verfolgt wurden, waren von den Verstößen gegen die Kennzeichnungspflicht nur die Polen und "Ostarbeiter" betroffen und von der Kriminalisierung sozialer und intimer Beziehungen zwischen Deutschen mit Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern wiederum in besonderem Maße Polen, "Ostarbeiter" und französische Kriegsgefangene.
"Arbeitsvertragsbruch" und "Arbeitsflucht"
Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht
Diebstahl und Bettelei
Sabotage: Als Sabotage konnte im NS-Staat alles gewertet werden, was die Arbeitsproduktivität gefährdete: die sog. "Bummelei" (also angeblich absichtliches langsames Arbeiten) ebenso wie die gezielte Zerstörung von Maschinen oder Material, einfache Bedienungsfehler aus Erschöpfung oder Unwissenheit ebenso wie bewusste Arbeitsverweigerung (also privater Streik), häufiges Kranksein ebenso wie ein Streit mit dem Vorarbeiter oder Meister. Der Willkür war damit Tor und Tür geöffnet. So wurden beispielsweise im Mai 1941 zwei polnische Arbeiter wegen "Arbeitsverweigerung" ins Göttinger Polizeigefängnis eingeliefert. "Sabotage" als expliziter Anklagepunkt taucht in den Göttinger Akten nicht auf, was jedoch nicht bedeutet, dass es nicht sogar bewusste Sabotageakte in Göttinger Betrieben gegeben hat. Doch wurden die Verursacher oder Verdächtigen von den Betrieben direkt der Gestapo oder der Militärgerichtsbarkeit übergeben und es finden sich daher für die Stadt Göttingen von ihnen keine Spuren in den erhaltenen Aktenbeständen. Für den Landkreis Göttingen dagegen ist beispielsweise die öffentliche Hinrichtung eines Polens, der bei den Schickert-Werken in Rhumspringe arbeitete und dort angeblich das Kugellager eines Güterwaggons absichtlich mit Sand, statt mit Öl beschmiert haben soll, bezeugt. Eine deutsche Zeitzeugin, die ab Herbst 1944 als Kriegshelferin in den Aluminiumwerken arbeitete, berichtete davon, dass die dort tätigen Holländer oft Sabotage verübt hätten. Ein ehemaliger holländischer Zwangsarbeiter relativierte diesen Bericht auf Nachfrage allerdings wieder.
"Rundfunkverbrechen"
Staatsfeindliche Äußerungen: "Staatsfeindliche Äußerungen" waren im NS Staat sowohl für Deutsche als auch für ausländische Zwangsarbeiter strafbar. Doch wissen wir nur von einigen Einzelfällen im Jahr 1941, in denen Polen wegen "deutschfeindlicher Umtriebe" oder "staatsfeindlicher Propaganda" (siehe Abbildung) verhaftet wurden, und wir wissen, dass ein "Ostarbeiter" noch Ende Februar 1945 wegen "staatsfeindlicher Äußerungen" festgenommen und der Gestapo übergeben wurde. Wir kennen jedoch in keinem dieser Fälle den konkreten Hergang der "Tat" und den genauen Tatvorwurf.
"Verbotener Umgang"
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Verhaftung eines Polen wegen staatsfeindlicher Propaganda 7.5.1941 (Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 8 Nr. 9, Bl. 351)
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Quellen und Literatur:
Prüger, Kathrin, Osteuropäische Zwangsarbeiter (1939-1945) im Regierungsbezirk Braunschweig. Untersuchungen zu ihren Lebensbedingungen und ihrem Verhältnis zur deutschen Bevölkerung, Staatsexamensarbeit Göttingen 1988 (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), insb. S. 80-85.
Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 171 ff.
Gabriele Lotfi, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart München 2000, S. 134.
Günther Siedbürger, Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 19139-1945, hg. vom Landkreis Göttingen, Duderstadt 2005, S. 494.
Häftlingslisten 1940-1945, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 8 Nr. 9.
Bericht Barbara van Velzen geb. Neander, Jahrg. 1922, wohnhaft in Hamburg, 25.8.2000, über die niederländischen Zwangsarbeiter in den Aluminiumwerken. Frau van Velzen meldete sich telefonisch nach einem von NDR 4 ausgestrahlten Interview der Autorin über das Göttinger NS-ZWangsarbeit-Forschungsprojekt.
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