NS-Zwangsarbeiter: Italiener vor 1943

Es hat sich eingebürgert, die Italiener als die letzten Opfer der deutschen Besatzungspolitik jeweils am Ende einer chronologischen Darstellung der Zwangsarbeiterdeportationen während des Zweiten Weltkriegs zu behandeln. Dabei unterstellt man, dass es sich bei den vor 1943 nach Deutschland gekommenen italienischen Arbeitern durchweg um Freiwillige aus einem verbündeten Land gehandelt habe. Dies entspricht allerdings nicht ganz den Tatsachen. Denn bereits seit März 1941 hatte die italienische Regierung systematisch Auskämmaktionen durchgeführt und einen Teil der italienischen Arbeiter zur Arbeit in Deutschland zwangsverpflichtet. Der Grund dafür war, dass Italien sein Zahlungsbilanzdefizit im Handel mit Deutschland durch die Lohnüberweisungen der italienischen Arbeiter in die Heimat auszugleichen versuchte.

Dementsprechend arbeiteten denn auch vor dem Sommer 1941 - abgesehen von einzelnen am Städtischen Theater oder anderen Spielstätten wie dem Capitol tätigen Künstlern und Musikern - in Göttingen keine Italiener. Erst mit Beginn der Auskämmaktionen kamen Mitte 1941 insgesamt schätzungsweise etwa 100 italienische Bauarbeiter nach Göttingen: Seit Juni 1941 arbeitete eine Gruppe von italienischen Bauarbeitern für die Baufirma Heinrich Dawe auf einer Baustelle bei den Optischen Werken Schneider & Co, die erst 1936 gegründet worden waren und 1941 einen neuen Firmensitz in Weende bauen ließen. Ab Oktober 1941 kamen dann auch noch eine Gruppe von italienischen Eisenbahnarbeiter zur Firma Fritz Keim. Sie waren auf dem Betriebsgelände von Keim untergebracht, während die Bauarbeiter von Dawe teilweise privat wohnten, zum Teil aber auch bei der Firma Dawe in der Angerstraße 1 gemeldet waren oder in der Gaststätte Huchthausen in der Angerstraße 3b, wo sich mit dem Saal Dietzel ein Lager für Polen und Westukrainer befand, das im Dezember 1942 wegen unhaltbarer hygienischer Zustände geschlossen wurde. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich dort allerdings wohl keine Italiener mehr, die seit September 1941 mehrheitlich wohl auf dem Weender Betriebsgelände von Schneider und später auch im Weender Hof untergebracht waren.

Dazu kamen 1941 und 1942 noch einzelne Künstler, die im Capitol oder im Stadtkaffee auftraten und wie ihre holländischen Kollegen in der Regel nur ein paar Wochen in Göttingen blieben. Außerdem arbeiteten ab April 1941 vier italienische Arbeiter für das Betriebsamt und ab Februar 1942 eine Reihe von Kellnern in verschiedenen Göttinger Gaststätten. Die meisten von ihnen blieben maximal ein Jahr in Göttingen. Ab Mai 1942 arbeitete ein Italiener, der zuvor für Dawe tätig gewesen war, für die Milch AG. Im April 1943 ist zumindest ein Italiener auch bei Winkel nachgewiesen und im Mai 1943 arbeiteten drei Italiener auch bei der Faserholz GmbH.

Im Februar 1943 hatte sich die Zahlungsbilanz aufgrund der Lohnüberweisungen tatsächlich zugunsten von Italien verschoben, und Hitler musste mit Rücksicht auf Mussolini dem Abzug der italienischen Arbeiter aus Deutschland zustimmen. Die deutschen Behörden setzten jedoch alles daran, um diesen Abzug zu verzögern, und dies gelang ihnen weitgehend, bis der Sturz Mussolinis im Juli 1943 und die Unterzeichnung des Waffenstillstands mit den Alliierten im September 1943 die Situation grundlegend veränderte.
 

Italienischer Arbeiter

Einer der Italiener, die ab Juli 1941 auf der Baustelle Schneider & Co in Weende arbeiteten. Er kam bereits aus einem "Gemeinschaftslager" in Bad Lauterberg.

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Die Bahnhofsgaststätte erhielt Anfang November 1943 zwei Italienerinnen zugewiesen, die am 29. Oktober 1943 von der Stapo Göttingen aus der Haft entlassen worden waren. Beide waren zuvor in Ballenhausen gewesen und wechselten wenig später in die Kliniken. Wenn man davon ausgeht, dass diese beiden Italienerinnen bereits vor der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit den Allierten und vielleicht sogar schon vor dem Sturz Mussolinis in Deutschland arbeiteten (wofür das Datum der Passausstellung spricht), dann stellen sie genau das Bindeglied zwischen den Italienern dar, die vor dem Herbst 1943 mehr oder weniger freiwillig nach Deutschland kamen und denen, die die volle Härte der Maßnahmen gegen ein vorgebliches "Verrätervolk" traf. Ihr Schicksal zeigt, dass auch die Italiener, die vor dem Herbst 1943 nach Deutschland kamen, vor Verfolgung und Repression nicht sicher waren.

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Italienische Künstler am Städtischen Theater Göttingen.



Quellen:

Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

Aufenthaltsanzeigen, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15.

Arbeitskarten 27.1.1942, 13.5.1942, ebd. Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 448 v, Bl. 462.

Literatur:

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 81 f.

 


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