NS-Zwangsarbeit: Lebensmittelverarbeiter und - händler
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Göttinger Adressbuch 1937
Alphabetische Liste:
Seit Oktober 1941 arbeitete ein französischer Fleischergeselle, der zuvor bei dem Fleischer Hagemann tätig gewesen war, in der Kolonialwaren- und Feinkosthandlung Bodemeyer in der Jüdenstraße 12. Im Februar 1943 soll dieser Franzose dann an das französische Konsulat in Hannover versetzt worden sein. Sein Status ob Zwangs- oder freiwilliger Arbeiter in Deutschland ist daher unsicher.
Bei der Kolonialwaren-Großhandelsgesellschaft Edeka, deren Lager- und Geschäftsräume sich in der Bürgerstraße 27 befanden, waren vom 27. Januar 1943 bis zum 5. Juli 1943 und wahrscheinlich auch im Dezember 1943 jeweils ein französischer Kraftfahrer beschäftigt.
Die Firma Carl Grotefend (Inhaber Gustav Hans und Carl Grotefend) - Weinbrennerei, Likörfabrik, Weingroßhandel, Essigsprit, Weinessig, Senf u. Sauerkrautfabrik, alkoholfreie Getränke - in der Bahnhofstraße 1-1a, die seit Kriegsbeginn ausschließlich für die Wehrmacht produzierte, stellte im August 1940 einen Antrag auf die Zuweisung von 6 französischen Kriegsgefangenen aus dem Lager Sültebeck, der im August vom Landesarbeitamt zurückgewiesen wurde, da alle Kriegsgefangenen in die Landwirtschaft kommen sollten. Einer Aktennotiz kann man aber entnehmen, dass der Firma vorrübergehend im September 1940 ein oder mehrere französische Kriegsgefangene aus dem Lager Lohberg zur Verfügung gestellt worden waren, die allerdings am 4. Oktober zurückgezogen wurden. Ab September 1943 arbeiteten für Grotefend auch in den Zivilarbeiterstatus umgewandelte ehemalige französische Kriegsgefangene (Transformation) aus dem Lager Sültebeck, so dass davon auszugehen ist, dass bei Grotefend bis Kriegsende durchgängig französische Zwangsarbeiter (zivile und Kriegsgefangene) arbeiteten.
Aus Zeitzeugenaussagen wissen wir, dass spätestens ab September 1942 auch Ostarbeiterinnen bei Grotefend arbeiteten: Hergestellt wurde dort nach deren Aussage Essig Limonade und Spiritus, wofür sie die Gläser spülen mutte. Außerdem habe sie Sauerkohl und Gemüse vorbereitet, das an die Front geschickt wurde und Güterwagen mit Lebesnmitteln für die Fabrik ausgeladen. Für das Ausladen der Wagen mussten sie auch nachts und sonntags arbeiten. Noch sieben andere Frauen hätten mir ihr gemeinsam gearbeitet. Untergebracht waren sie direkt in der Fabrik, jeweils in einem Zimmer zu viert. Das Firmengelände hätten sie nicht verlassen dürfen. Mehrfach habe sie sich bei der Arbeit an Glas geschnitten. Die Schnittwunden seien in der Klinik behandelt worden (insgesamt neun Mal), aber sofort danach abe man sie wieder zur Arbeit geschickt.
Die Getreidehandlung Walter Günther in der Kurzen Straße 6 a beschäftigte bis mindestens November 1942 einen oder mehrere französische Kriegsgefangene aus dem Lager Sültebeck. Ab September 1943 arbeiteten für Günther auch in den Zivilarbeiterstatus umgewandelte ehemalige französische Kriegsgefangene (Transformation), so dass davon auszugehen ist, dass die Getreidehandlung bis Kriegsende durchgängig von französischen Zwangsarbeitern unterstützt wurde.
Die Kolonialwarengroßhandlung und Kaffeerösterei Henjes & Beissner in der Burgstraße 22/23 (Inhaber Rudolf Ziegler) beschäftigte seit Februar 1942 einen Kraftfahrer aus Lothringen, der allerdings nach einem Urlaub im August 1943 nicht an seine Arbeitsstelle zurückkehrte. Seit Janaur 1943 bis September 1943 arbeitete für den Betrieb außerdem ein zweiter französischer Kraftfahrer aus Paris. Beide waren angeworben worden, letzterer über einen "Dienstvertrag" des Reichsverkehrsministeriums.
Der Landesproduktenhandel Dr. Fritz Henjes im Oberen Maschweg 3 beschäftigte bis mindestens November 1942 einen oder mehrere französische Kriegsgefangene aus dem Lager Sültebeck. Die Firma nutzte auch am 19.4.1943 die Möglichkeit, fünf Gefangene aus dem Gerichtsgefängnis Göttingen für sich arbeiten zu lassen. Eventuell geschah dies aber nur für einen Tag.
In dem Kartoffelschälbetrieb Kulp in der Oberen Karspüle, die in einem der Ernst Kulp gehörenden Häuser während es Krieges eingerichtet worden war, aber von einer Berliner Firma (Karl Kapser & Co) betrieben wurde, arbeiteten Polinnen und Polen, die nach dem Warschauer Aufstand im Sommer 1944 deportiert worden waren. Sie waren in der Gastwirtschaft Niedersächsischer Hof, im Papendiek 1, untergebracht. Seit Janaur 1945 arbeiteten auch mindestens ein holländisches Küchenmädchen bei Kulp.
Die Saline Luisenhall, die seit 1854 in Göttingen Salz produzierte, stellte im Juli 1940 einen Antrag auf die Zuweisung von französischen Kriegsgefangenen, die im Lager Sültebeck untergebracht werden sollten. Obwohl der Antrag - weil alle Kriegsgefangenen zu diesem Zeitpunkt in die Landwirtschaft gehen sollten - zunächst abgelehnt wurde, taucht die Firma mit 18 weiteren Betrieben auf einer Genehmigungsliste vom 23. August 1940 mit den beantragten 15 französischen Kriegsgefangenen auf. Ob die Zuweisung allerdings tatsächlich erfolgte, ist nicht gesichert und angesichts der Tatsache, dass das Lager Sültebeck statt der in dieser Aufstellung veranschlagten 250 Mann im September erstmals nur mit 122 Gefangenen belegt wurde, auch eher unwahrscheinlich. 1943 arbeiteten jedoch sicher französische Kriegsgefangene bei der Saline (wahrscheinlich waren dies allerdings ehemalige französische Kriegsgefangene, die durch die Transformation in den Zivilarbeiterstatus überführt worden waren). Diese französischen Zwangsarbeiter mussten Anfang September 1943 an die Phywe abgegeben werden. Seit spätestens Dezember 1940 arbeiteten auch Polen in der Saline.
In dem Feinkost- und Kolonialwarengeschäft Wilhelm Meier in der Münchhausenstraße 16 arbeitet von Oktober bis Dezember 1942 eine Flämin.
In der Milchabsatzgenossenschaft, der sog. Milch AG, im Rosdorferweg 17 arbeitete ab Mai 1942 ein Italiener und ab März 1945 ein Pole.
In dem Kolonialwaren- und Südfrüchtegeschäft Rittmeier in der Jüdenstraße 17 arbeiteten im Dezember 1942 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen einmal zwei und einmal drei Gefangene aus dem Gerichtsgefängnis Göttingen, von Mai 1943 bis Mai 1944 beschäftigte Rittmeier einen westukrainischen und ab Juli 1944 einen polnischer Zwangsarbeiter.
In dem Lebensmittelhandel Lina Rannenberg in der Kurzen Geismarstraße 36 arbeitete im Mai 1944 ein Franzose als Gartenarbeiter.
Schachtebeck & Zimmermann, Getreide-, Futter- und Düngemittelhandlung (Mauerstraße 5a, Lager in der Kurzen Geismarstraße 20 a und im der Weender Landstraße 59 - letzteres war das Gelände, das bis 1939 den 1942 ermorderten jüdischen Geschäftsleuten Max und Nathan Hahn gehört hatte): Bei Schachtebeck war zumindest 1941 ein polnischer Zwangsarbeiter beschäftigt.
In der Verbrauchergenossenschaft Göttingen e.V., deren Zentrallager und Verteilungsstelle sich im Maschmühlenweg 40 befand, arbeitete im November 1944 ein französischer Kraftfahrer.
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Literatur und Quellen:
Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen alte Einwohnermelderegistratur.
Aufenthaltsanzeigen von Ausländern, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15.
Brief Krystina St., geb. 13.3.1921, vom 26.5.2003, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien, Korrespondenz.
Geburtseintrag 18.11.1944 (Theresa S.), Stadtarchiv Göttingen, Standesamtliche Unterlagen.
Korrespondenz über Entlausungen 25.6.1946 bis 15.7.1946, Stadtarchiv Göttingen, Sozialamt Acc. 534/510 Nr. 347, o.P.
Ortspolizei an Rittmeier 5.1.1943, Stadtarchiv Göttingen Pol.Dir. Fach 24 Nr. 10, Bl. 203.
Kontrolloffizier Fallingbostel an verschiedene Firmen, 4.11.1942, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 52, o.P.
Aktennotizen 23.7.1940, 25.7.1940, 7.8.1940, Aufstellung 23.8.1940, Aktennotizen 24.8.1940, 28.8.1940, Ratssitzung 4.9.1940, Aktennotizen 4.10.1940, 16.10.1940, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48, o.P.
Ortspolizei an Henjes 3.5.1943, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 24 Nr. 10, Bl. 202.
Lager von Kriegsgefangenen ausländischer Zivilarbeiter im Landkreis Göttingen 21.4.1945, Stadtarchiv Göttingen AHR I A Fach 48 Nr. 3, Bl. 122.
Register Fremdenpässe angefangen 4.2.1942, Stadtarchiv Göttingen Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt), Einträge 120/1943, 180/1943, 30/1944, 116/1944, 183/1944, 338/1944.
Fragebogen Jekaterina Iwanowna G., geb. 15.7.1920 o.D. (Eingang 8.12.2001), Stadtarchiv Göttingen Sammlung 32- Tollmien, Korrespondenz und Fotos.
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