NS-Zwangsarbeit: Emil Mehle & Co, Fabrik für Briefordner und Schreibwaren, Weender Landstraße 67/69

Fabrikationsgebäude der 1896 in Göttingen gegründeten Aktenordner Fabrik Emil Mehle - das Gebäude wurde bei dem letzten Bombenangriff auf Göttingen am 7. April 1945 schwer beschädigt.

Die 1896 von Emil Mehle (1868-1960) gegründete bis heute weit über Göttingen hinaus bekannte "Registraturmittelfabrik", die in den 1930er Jahren als Fabrik für "Briefordner und Schreibwaren" firmierte, bestand 110 Jahre in Göttingen. 2006 wurde das bis dato noch immer im Familienbesitz sich befindende Unternehmen an die Elba verkauft und der Geschäftsbetrieb von der neu gegründeten Emil Mehle GmbH mit Sitz in Gelsenkirchen geführt. Seitdem ist Mehle als Unternehmen in Göttingen nicht mehr präsent.

Als direkte Folge der von der Wehrmacht nach dem Friedensschluss Italiens mit den Allierten im September 1943 vor allem in Süditalien initiierten "Sklavenjagd" auf italienische Zivilisten kamen im Oktober 1943 eine Gruppe von insgesamt etwa 50 Italienern zur Briefordnerfabrik Mehle und wurden dort auf dem Firmengelände untergebracht. Nach dem jetzigen Kenntnisstand waren diese italienischen Arbeiten - wenn nicht die einzigen - so doch zumindest die größte Gruppe von Zwangsarbeitern, die bei Mehle beschäftig waren.

Einige von ihnen waren zumindest kurzzeitig zuvor in den Aluminiumwerken tätig gewesen, mindestens vier von ihnen kehrte krank vor Kriegsende nach Italien zurück. Nachdem das Gebäude von Mehle bei dem letzten Bombenangriff auf Göttingen am 7.4.1945 schwer beschädigt war, kehrten alle Italiener von Mehle - bis auf eine Ausnahme - sofort nach Italien zurück, jedenfalls legen dies die Eintragungen auf den Einwohnermeldekarten nahe. Doch bedeutete dies wahrscheinlich nichts weiter, als dass sich nach der Zerstörung des Gebäudes und des Lagers niemand mehr um den weiteren Verbleib der italienischen Zwangsarbeiter gekümmert hatte. Ob, wie und wann diese nach Hause zurückkamen, ist daher völlig ungewiss. Denn die nach den "Ostarbeitern" wegen ihres vorgeblichen "Verrats" am meisten verhasste Gruppe unter den Zwangsarbeitern konnte auch in den letzten Kriegstagen nicht mit der für eine Rückkehr auf eigene Faust notwendigen Unterstützung durch deutsche Bevölkerung rechnen.

Italienischer Zivilarbeiter

Ein besonders schreckliches Schicksal traf zwei der italienischen Arbeiter bei Mehle: Beide wurden von der Gestapo verhaftet und in das "Arbeitserziehungslager" Lahde eingeliefert und beide kamen dort zu Tode. Der eine wurde am 24. November 1943 (auf der Einwohnermeldekarte fälschlich 24.II.) festgenommen und starb am 10. Februar 1944 noch immer im AEL Lahde an einer Blutvergiftung (er ist auf dem links stehenden Foto abgebildet), und der andere wurde am 28. Oktober 1943 verhaftet und am 4. November 1943 bei einem angeblichen Fluchtversuch erschossen. Beide überlebten ihre Deportation nach Deutschland also nur um wenige Wochen. Ein Verhaftungsgrund ist in beiden Fällen in den Akten nicht angegeben.

Von dreien der italienischen Zivilarbeiter, die im Oktober 1943 zur Aktenordnerfabrik Mehle kamen, haben wir Fotos:

Italienischer Zivilarbeiter

Dieser Arbeiter kehrte am 21.7.1944 lungenkrank nach Italien zurück.

Italienischer Zivilarbeiter

Dieser Arbeiter kehrte am 15.5.1944 lungenkrank nach Italien zurück. Er war Analphabet.


Quellen:

Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur

Aufenthaltsanzeigen von Ausländern, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15 (alphabetische Ablage).

Lagerlisten auf Anforderung der Gestapo 4.8.1944 und vom 6.9.1944, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541-544.  


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