Nationalitäten |
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Die Nationalsozialisten unterwarfen die aus ganz Europa zur Arbeit ins Deutsche Reich verschleppten Ausländer einem hierarchischen System der Diskriminierung. Darin wurde auf die nationale Zugehörigkeit häufig keine Rücksicht genommen, sondern auf der Grundlage des zur Staatsdoktrin erhobenen abstrusen "rassischen" Denkens Volksgruppen oder Ethnien unterschieden. Nicht immer lässt es sich vermeiden, dieser Unterscheidung zu folgen, wenn etwa zwischen "Ostarbeitern" und Westukrainern oder zwischen Flamen und Wallonen unterschieden werden muss. Die Reihenfolge, in der die verschiedenen Nationalitäten bzw. Volksgruppen hier behandelt werden, folgt der Chronologie des Kriegsverlaufes, was nicht in allen Fällen der Chronologie ihres Arbeitseinsatzes in Göttingen entspricht. So waren etwa niederländische und französische Zivilarbeiter in größeren Umfang erst ab Mai/Juni 1943 in Göttingen, obwohl der Westfeldzug schon im Sommer 1940 beendet war. Eine Bemerkung ist vorab noch Geschlechterverteilung notwendig: Reichsweit war der Frauenanteil unter den Zwangsarbeitern sehr hoch. So waren im Sommer 1944 von den 5,7 Millionen Zivilarbeitern ein Drittel Frauen und bei den "Ostarbeitern" lag ihr Anteil sogar bei über der Hälfte. Allgemein galt, je niedriger in der politischen und rassistischen Hierarchie der Nationalsozialisten die einzelnen Ausländergruppen angesiedelt waren, desto höher war der Frauenanteil: Von 3 % bei den mit Deutschland verbündeten Ungarn bis 51,1 % bei den zivilen Arbeitskräften aus der Sowjetunion. Da die "Ostarbeiter" insgesamt sowieso schon die größte Gruppe unter den zivilen Zwangsarbeitern stellten, arbeiteten 1944 in Deutschland mehr Ostarbeiterinnen als zivile männliche und weibliche Arbeitskräfte aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden zusammen. Die Zwangsarbeiterproblematik ist daher zu ganz großen Teilen auch eine Frauenproblematik, wie sich beispielsweise auch an dem hohen Frauenanteil unter den ehemaligen Göttinger Zwangsarbeitern ablesen läßt, die sich seit dem Jahr 2000 an die Göttinger Stadtverwaltung wegen eines Nachweises für ihre Zwangsarbeitertätigkeit in Deutschland gewandt haben und auch der Anteil der Zwangsarbeiterinnen, die uns ihre Erinnerungen geschickt haben, ist deutlich höher als der von männlichen Zwangsarbeitern, was nicht nur mit der allgemein höheren Lebenserwartung von Frauen zu tun hat, sondern auf der schlichten Tatsache beruht, dass auch nach Göttingen sehr viele Frauen - oft als noch sehr junge Mädchen - als Zwangsarbeiterinnen verschleppt worden waren. |
abgedruckt in: Dieter Galinski / Inge Glinsmann u.a., Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung, Ausstellungskatalog, Hamburg 1989. |
Literatur:
Ulrich Herbert, Fremdarbeiter - Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin / Bonn 1985, S. 271.