NS-Zwangsarbeiter: Französische Zivilarbeiter

Die ersten Franzosen kamen im Oktober 1940 nach Göttingen gehörten zu einer Gruppe von dienstverpflichteten Elsässern, die als Umschüler wie später insbesondere Flamen, aber auch Tschechen und Holländer für die Junkerswerke in den feinmechanischen Werkstätten Göttingens ausgebildet werden sollten. Insgesamt 50 Personen waren 9. Oktober 1940 mit einem Transport der Junkers-Flugzeug- und Motoren AG Kassel zur Ausbildung in die Göttinger Feinmechanikerschule gekommen. Drei dieser Elässer verließen schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Göttingen unerlaubt ihren Arbeitsplatz und versuchten zurück nach Frankreich zu kommen.

Französische Zivilarbeiter kamen im übrigen in nennenswertem Umfang erst nach der Besetzung von Vichy-Frankreich und der Einführung der allgemeinen Dienstpflicht nach Göttingen, also ab November 1942, meistens aber erst in den ersten Monaten des Jahres 1943 und später. Die größte Gruppe – insgesamt mindestens 350 Franzosen – arbeitete wie die meisten französischen Kriegsgefangenen für die Wehrmacht, und zwar im Flakzeugamt an der Königsallee, eine der größten und bedeutendsten Nachschubeinrichtungen der deutschen Luftwaffe.

Neben den Göttinger Rüstungsbetrieben wie insbesondere den Aluminiumwerken, der Feinprüf GmbH, Sartorius, der Ruhstrat AG und Zeiss-Winkel, in denen jeweils zwischen 50 und 100 Franzosen (bei Feinprüf wahrscheinlich sogar etwas mehr) arbeiteten, war die nach dem Flakzeugamt größte Gruppe französischer Zivilarbeiter (insgesamt wohl um die 300) bei der Reichsbahn eingesetzt.

Im Januar 1943 kamen im Zuge des Austausch von französischen Zivilarbeitern für französische Kriegsgefangene, der sog. Relève, bei der nach einem Abkommen vom Juni 1942 für einen freizulassenden Kriegsgefangenen drei "freiwillige" Arbeiter nach Deutschland gehen mussten, eine Gruppe von mindesten fünf, ingesamt schätzungsweise höchstens zehn französischen Zivilarbeitern zur Firma Feinprüf. Zwei von ihnen kehrten schon nach einem halben Jahr aus ihrem Urlaub nicht nach Göttingen zurück, einer wurde im Januar 1944 als krank in die Heimat entlassen, zwei weitere kehrten ohne Angabe von Gründen im Oktober 1943 bzw. Januar 1944 nach Frankreich zurück. Alle hatte reguläre Anwerbungsverträge, die ihre Arbeitszeit auf ein Jahr begrenzten.

Erwähnenswert ist auch noch eine kleine Gruppe von insgesamt nur fünf französischen Medizinstudenten, die seit Juni 1943 noch gemeinsam mit holländischen Medizinstudenten als Krankenpfleger in den Universitätskliniken arbeiteten.

Französische Zwangsarbeiter arbeiteten auch bei der Firma Lambrecht (ab Februar 1943), bei der Pergamentfabrik Rube in Weende, bei Spindler& Hoyer, bei der Phywe, der Firma Grotefend und bei der Reichspost.

Einzelne französische Zivilarbeiter sind auch bei der Getreidehandlung Günther, den Bäckereien Appel, Hanke und Fuhrmann, dem Schlachter Hagemann, den Schumachern Hemer, Langer und Schulze, der Kolonialwaren- und Feinkosthandlung Bodemeyer, dem Lebensmittelhandel Lina Rannenberg, der Kolonialwarengroßhandlung und Kaffeerösterei Henjes & Beissner, bei Edeka, der Göttinger Verbrauchergenossenschaft, dem Zahntechnikermeister Tolle, in den Göttinger Druckereien, in dem Textilbetrieb Oelsen, bei der Schlosserei Tessmann in Grone, beim städtischen Betriebsamt und bei den Kohlenhändlern nachweisbar. (Die Aufzählung ist wegen der nur teilweise erfolgten Auswertung der Einwohmermeldekarten nicht vollständig).
Eine Reihe von ihnen, insbesondere die Fachkräfte wie Fleischer-, Bäcker- und Schumachergesellen und die Kraftfahrer, die speziell im Lebensmittelhandel eingesetzt waren, waren angeworben. Einer der Kraftfahrer hatte sogar einen Dienstvertrag des Reichsverkehrsministeriums. Bei anderen handelte es sich um ehemalige Kriegsgefangene, die von der Möglichkeit der Transformation Gebrauch gemacht hatten.

Ab November 1941 sind in Göttingen die ersten (angeworbenen) Französinnen nachweisbar, die vor allem im Gaststättengewerbe arbeiteten oder auch in privaten Haushalten, aber auch beispielsweise als Buchbinderinnen in den Druckereien oder bei der Wäscherei Schneeweiß. Sie hatten zumeist, aber nicht immer einem befristeten Vertrag. Vereinzelt arbeiteten auch männliche Franzosen im Gaststättengewerbe.

Unter den französischen ArbeiterInnen in Göttingen gab es auch einzelne Kollaborateure: So kam im März 1943 ein Franzose aus Nanterre nach Göttingen zu Sartorius, der dort als "Kriegshelfer" geführt wurde. Ausweislich der Aussagen in der Entnazifizierungsakte von Erich Sartorius war er nicht nur vorrübergehend in dessen Haus untergebracht, sondern fungierte, da er gut Deutsch sprach, auch als eine Art "Vertrauensmann" der Franzosen, was in diesem Kontext wohl nur heißen konnte, dass er für den Arbeitgeber seine Landsleute kontrollierte. Im Mai 1943 holte er seine Frau nach Göttingen nach und war dann der einzige Franzose bei Sartorius, der nicht in einem der Franzosenlager von Sartorius (Eiswiese oder Weender Landstraße 94) wohnen musste, sondern mit seiner Frau in einer Privatwohnung lebte. Außerdem gab es einen französischen Elektromonteur, der seit Januar 1943 bei Flakzeugamt arbeitete und Anfang Juni 1944 zur SS eingezogen wurde. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die westlichen Arbeiter in Deutschland regelmäßiger, massiver auch mit Drohungen versetzter Werbung, sich zur Waffen-SS zu melden, ausgesetzt waren (siehe dazu die Erinnerungen des holländischen Medizinstudenten Lambert M.). Es gab jedoch auch einen Franzosen, der seit April 1944 bei der Firma Schneider war, der in einer Vernehmung als Zeuge in einem Verfahren wegen "Rundfunkverbrechens" aussagte, dass er sich bereits zweimal erfolglos zur SS beworben habe. Dieses Verfahren war im übrigen nur durch die Anzeige einer seit dem 11. Oktober 1944 im Hotel Stadt Hannover in Göttingen residierenden Französin in Gang gekommen, die zuvor in Frankreich drei Jahre für den SD tätig gewesen war.

Insgesamt arbeiteten von November 1942 bis Kriegsende in der Stadt Göttingen (einschließlich Geismar, Grone und Weende) nach neuesten Schätzungen etwa 1300 französische Zivilarbeiter.

Französischer Zivilarbeiter

Französischer Zivilarbeiter, der im Dezember 1943 als Hilfsarbeiter ins Flakzeugamt (Lager Egelsberg) kam. Offensichtlich war er ein ehemaliger Angestellter der französischen Post.

Französischer Zivilarbeiter

Französischer Zivilarbeiter, der im März 1943 zu Sartorius kam (Lager Eiswiese).

Französische Arbeiterin

Französin aus Verdun, die als Köchin und Sortierin von November 1942 bis Februar 1944 bei Schneeweiß arbeitete.

Unterbringung/Lager:

  • Einzelne französischen Zivilarbeiter waren privat untergebracht.
  • Das größte Lager für französische Zivilarbeiter war das von der Wehrmacht unterhaltene Lager auf dem Egelsberg.
  • Seit Sommer 1943 wurden französische Zivilarbeiter auch in das von der Küchenvereinigung e.V. unterhaltene Lager Eiswiese eingewiesen. Die dort untergebrachten französischen Zwangsarbeiter arbeiteten u.a. für die Aluminiumwerke (mindestens 60 Arbeiter).
  • Französische Reichsbahnarbeiter waren im Gasthaus Zur Linde in Geismar und im Lager Masch/ Grüngürtel untergebracht.
  • Seit Ende 1943 waren Flamen (darunter auch vereinzelt Frauen) auch im Lager Eiswiese untergebracht.
  • Die Firma Feinprüf nutzte das ehemalige Jugendheim in der Hospitalstraße 1 und den von der Kirche gemieteten Gemeindesaal der Albanikirche als Lager für Franzosen.
  • Die französischen Medizinstudenten waren zunächst gemeinsam mit ihren holländischen Kollegen in der Pförtnerloge der Augenklinik und dann auf dem Dachboden der Pathologie untergebracht.


    Die rechtliche Stellung der französischen Zivilarbeiter

    Die Verhandlungen über das Lager Albanikirchof

    Erinnerungen ehemaliger französischer Zwangsarbeiter

    Die Lagerzeitung "Le Pont"

    Freizeitaktivitäten der französischen Zivilarbeiter

    Die französischen Medizinstudenten

    Französinnen im "Arbeitserziehungslager" Watenstedt

    Franzosen im "Arbeitserziehungslager" Breitenau

    Kriegsende im Lager Albanihaus (Tagebuch Hermann Stresau, Eintrag 12.4.1945)



  • Quellen:

    Die obigen Schätzungen für die Anzahl der französischen Zivilarbeiter beruhen auf der Auswertung und einer entsprechenden Hochrechnung von 24,12 % der insgesamt 1082 Kisten (Zahl bereinigt um Kisten mit ausschließlich typisch deutschen Namen wie Müller, Schmidt, Schulze) der alten Einwohnermeldekartei, die im Stadtarchiv Göttingen aufbewahrt wird; ergänzt durch: Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15; Register Fremdenpässe, ebd. Ordnungsamt acc. 1047/1991 Nr. 258; Kleine Erwerbung Nr. 192 (Betriebsdatei Winkel), ebd.; Statistiken August/September 1944, ebd. Pol.Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541f. , Bl. 544-547; Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12. 1945, Statistiken der Verbrauchergruppen und des Bedarfs an Lebensmitteln vom 19.10.1942-12.11.1944 (nicht vollständig vorhanden), ebd. Ernährungsamt Nr. 50, o.P.; Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Film 3; Beschäftigungsmeldungen 31.12.1944 R 12I/102 (Reichsgruppe Industrie), Bundesarchiv Berlin Lichterfelde; Artikel vom 23. 5.1943 über die Franzosen im Flakzeugamt Göttingen, in: Le Pont, Journal publié par l’Amicale des Travailleurs Français en Allemagne.

    Zu den französischen Medizinstudenten siehe Schreiben 9.6.1943, 6.7.1943, 12.7.1943, 21.7.1943, 16.6.1943, 16.9.1943, Rundbrief 21.9.1943, 15.11.1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Hann 122 a Nr. 3283, Bl. 8, Bl. 18 ff. + o.P., Bl. 34, Bl. 36, Bl. 47; Rundschreiben 9.11.1943, ebd., Hann 122 a Nr. 3283, Bl. 12.

    Fotos Französische Zivilarbeiter, Aufenthaltsanzeigen für Ausländer, Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124 Nr. 15.

    Ausländer Aufenthaltsanzeigen, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 15.

    Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

    Register Fremdenpässe angefangen 4.2.1942, Stadtarchiv Göttingen Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt).

    Feinhand an Ortspolizei 4.11.1940, Anmeldung 7.10.1940, Ortspolizei an den Polizeipräsidenten in Straßburg 6.11.1940, Vernehmungsprotokoll 3.12.1940, Sicherheitspolizei Straßburg an den Oberbürgermeister von Göttingen 1.12.1940, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 408-412.

    Entnazifizierungsakte Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Nds. 171 Hildesheim Nr. 8067.

    Rundfunkverbrechen Louis G., Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 171 a Hannover Acc. 107/83, Nr. 1140.

     


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