NS-Zwangsarbeit: Ruhstrat Elektrizitäts-Aktiengesellschaft - Reostaten und Schalttafelnfabrik, Lange Geismarstraße 72-74 und Goetheallee 8 a

Die Firma Ruhstrat wurde im Jahre 1888 von den Brüdern Adolf und Ernst Ruhstrat gegründet. Der Geschäftssitz war zunächst in der in der Langen Geismarstraße 74, dann auch in der Langer Geismarstraße 72/73. Aus dem Elektrogeschäft in Göttingen entwickelte sich ein modernes mittelständisches Familienunternehmen.

1894 hat Ruhstrat in Zusammenarbeit mit dem Nobelpreisträger Prof. Walter Nernst, Universität Göttingen, mit dem regulierbaren Schiebewiderstand die Grundlage für das Einstellen bzw. Verändern von Widerständen sowie von Strom und Spannung geschaffen. Er versorgte mit elektrischen Blockstationen die ersten Göttinger Privathäuser und Geschäfte mit Strom und entwickelte den Stromzähler. In enger Zusammenarbeit mit der Universität wuchs das Unternehmen rasch und nach dem Ende des 1. Weltkrieges war es die größte Spezialfabrik für elektrische Widerstände. Die weitere Entwicklung führte 1896 zum Bau des ersten widerstandsbeheizten Hochtemperaturofens und ab 1898 zur Übertragung des Baus von Hochtemperaturöfen für industrielle Zwecke an die "Elektromechanischen Werkstätten Gebr. Ruhstrat". Seit dieser Zeit fertigte Ruhstrat hochtechnologische Industrieofen-Anlagen bis 3000° C für unterschiedlichste Wärmebehandlungen, zusammen mit den zum Betrieb erforderlichen Transformatoren. Im Jahre 1916 wurden von Ruhstrat die ersten Notbeleuchtungen mit Einzelbatterien ausgeliefert. In den folgenden Jahren wurde die Konzentration auf die Produktion und den Verkauf von Transformatoren, Leistungswiderständen, Sicherheitsstromversorgungen und widerstandsbeheizten Industrieöfen weiter erhöht.

Während des Zweiten Weltkrieges produzierte Ruhstrat, das seit 1938 Wehrmachtsbetrieb war, im Hauptwerk in der Langen Geismarstraße Verdunkelungseinrichtungen, Notbeleuchtungen, Abwurfwaffen, Zubehörteile für die Luftwaffe und gegen Ende des Krieges auch Sprengminen. Im sog. Werk L., in der Goethe Allee 8a, wo ursprünglich die Firma Joseph Schneider residiert hatte, wurden Geräte für die Luftfahrtindustrie produziert.

1956 erfolgte die Teilung in zwei unabhängige Unternehmen:
Adolf Ruhstrat (ein Sohn des Firmengründers Ernst Ruhstrat) übernahm das Werk am Leinekanal (Goetheallee) und konzentrierte sich auf die Ausführung von Elektroinstallationen, Blitzschutz, Industrieverdrahtungen und auf die Fertigung von Schaltanlagen und Stromversorgungssystemen. Im Jahre 1969 übernahm Andrea Ruhstrat die Geschäftsführung der Firma Adolf Ruhstrat. Das Leistungsangebot Planung und Installation von Elektro- und Heizungsanlagen wurde um die Bereiche Lüftung und Klima ergänzt. Ende der 70er Jahre wurde der Firmensitz aus der Innenstadt in die Adolf-Hoyer-Straße im Göttinger Industriegebiet verlegt. 1992 ging aus der Firma Adolf Ruhstrat das Unternehmen RUHSTRAT Haus- und Versorgungstechnik GmbH hervor.
Das zweite Unternehmen firmierte weiter als Ruhstrat GmbH und verlegte den Firmensitz 1960 nach Bovenden/Lenglern. Das Unternehmen betätigte sich auf vier Geschäftsfeldern:
- elektrisch und brennstoffbeheizte Industrieöfen,
-Transformatoren, Drosseln, Leistungswiderstände,
- Sicherheitsstromversorgungen, Sicherheitsbeleuchtung,
- Klemmen, Buchsen, Durchführungen.
2011 wurde Ruhstrat Bovenden von dem Anlagenbauer Eisenmann übernommen.

Zwangsarbeiter bei Ruhstrat:

Ruhstrat gehörte Ende 1944 zu den 30 größten Rüstungsfirmen der südniedersächsischen Region, was sich auch in den Zwangsarbeiterzahlen niederschlug. So waren im Hauptwerk in der Geismarlandstraße nach einer offiziellen Statistik am 31.12.1944 allein 100 "Ostarbeiterinnen" und 7 Ostarbeiter und dazu noch 57 "Sonstige" (also westliche Zwangsarbeiter), darunter 12 Frauen beschäftigt. Dazu kommen im Werk L noch einmal 57 "Ostarbeiterinnen" und 45 "Ostarbeiter und 16 "Sonstige" (davon 2 Frauen). Und im August 1944 waren in dem von Ruhstrat betriebenen Lager "Tonkuhle" allein 232 "OstarbeiterInnen" untergebracht, im September 1944 waren es dann schon 259.

Die Zwangsarbeiter nach Nationalitäten im Einzelnen:

  • 1942 kamen einzelne holländische Monteure und Autoschlosser aus Haarlem zur Firma Ruhstrat - der erste schon im Januar 1942 (er blieb allerdings nur einen Monat), weitere im August und September 1942 und auch noch im Dezember 1943. Alle waren privat untergebracht. Nur einer blieb nachweislich länger als ein paar Monate, nämlich von August 1942 bis November 1943, aber auch er kehrte dann nach Haarlem zurück.
  • Nach einer Statistik des Ernährungsamts sind vom 14.12.1942-5.4.(3.5.)1943 in einer Baracke im Lager Tonkuhle zehn französische Kriegsgefangene nachgewiesen, die aber auch für verschiedene kleinere Firmen aus dem Versorgungsbereich arbeiteten. Diese Baracke existierte allerdings wahrscheinlich schon seit Ende 1941.
    Nach einem Runderlass Görings vom 23.1.1943 waren die Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft von über 500 Köpfen verpflichtet, Aufräumtrupps und Bauhilfstrupps zur Beseitigung von Bombenschäden aufzustellen. Dabei waren in erster Linie Ausländer und Kriegsgefangene einzusetzen. Für die Firma Ruhstrat arbeiteten (gemeinsam mit deutschen Belegschaftsmitgliedern) nachweislich französische Kriegsgefangene in deren Bauhilfstrupp.
  • Ab Juni 1942 kamen "Ostarbeiter" zu Ruhstrat, mehrheitlich Frauen, aber auch Männer. Sie waren im betriebseigenen Lager Tonkuhle untergebracht, wo allein im September 1944 259 "Ostarbeiter" (davon 174 Frauen) hausten. Noch im Mai 1944 hatte Ruhstrat 22 Ostarbeiter aus einem 31 Mann umfassenden Transport aus Leipzig erhalten, von denen fünf an Fleckfieber erkrankten, die sich allerdings wahrscheinlich nicht bei Ruhstrat, sondern auf dem Transport angesteckt hatten: "Sämtliche Erkrankungen", so schrieb der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Hildesheim an den Oberpräsidenten von Hannover am 31.5.1944, nachdem im April und Mai 1944 besonders viele Fleckfieberfälle aufgetreten waren, "stammen aus Transporten, die von vornherein als fleckfiebergefährdet angemeldet worden sind. Nach Rücksprache mit dem Leiter des ärztlichen Dienstes beim Gauarbeitsamt in Hannover hat es sich nicht ermöglichen lassen, die Transporte längere Zeit in Quarantäne zu belassen, die Arbeitsämter seien jedoch angewiesen worden, die zugeteilten Kräfte möglichst geschlossen einzusetzen und die Gesundheitsämter von dem Einsatz zu benachrichtigen." Der "möglichst geschlossene" Einsatz der potentiell angesteckten "Ostarbeiter", die zu isolieren man sich nicht in der Lage sah, erklärt also, warum Ruhstrat allein von den insgesamt nur 31 Mann des Transports 22 (also mehr als zwei Drittel) zugewiesen wurden.
    Nach einer offiziellen Statistik waren am 31.12.1944 im Hauptwerk 100 "Ostarbeiterinnen" und 7 Ostarbeiter und im Werk L noch einmal 57 "Ostarbeiterinnen" und 45 "Ostarbeiter" beschäftigt, das macht eine Gesamtsumme von 209 "Ostarbeitern", davon waren 157 Frauen.
  • Namentlich nachgewiesen sind 17 Zivilfranzosen bei Ruhstrat. Die ersten kamen im März 1943. Anfänglich waren alle im Hauptwerk Lange Geismarstraße 72 untergebracht, später auch im Lager Eiswiese. Die ersten Zivilfranzosen gingen nach Vertragsende (1/2 Jahr) nach Frankreich zurück. Nach einer Statistik vom 31.12.1944 arbeiteten im Hauptwerk bei Ruhstrat „57 Sonstige“ und im Werk L 16 „Sonstige“; die Gesamtsumme betrug also 73; davon waren etwa 10 bis 20 Belgier, so dass man zu diesem Zeitpunkt von etwa 50 Franzosen bei Ruhstrat ausgehen kann. Insgesamt waren daher bei Ruhstrat über die gesamte Kriegszeit sicher mindestens 70 Zivilfranzosen beschäftigt (darunter auch einige Frauen).
  • Im November 1943 kam ein Westukrainer zu Ruhstrat, der zuvor bei den Kohlenhändler gearbeitet hatte, dies aber gesundheitlich nicht durchgehalten hatte. Und im August 1944 kam ein weiterer ehemaliger (polnischer) Zwangsarbeiter von Winkelhoff & Glaeser zu Ruhstrat, der als erst 15jähriger aus Polen verschleppt worden war und der harten Arbeit ebenfalls nicht gewachsen war. Eventuell ist dies ein Hinweis auf die Beschäftigung von weiteren Westukrainern oder auch Polen bei Ruhstrat.
  • Im September 1944 kam ein belgischer Ingenieur (Wallone) zu Ruhstrat und mindestens vier Flamen arbeiteten ab spätestens Oktober ebenfalls für Ruhstrat.
  • Einer der ehemaligen "Ostarbeiter" von Ruhstrat berichtete, dass dort auch gefangene amerikanische und britische Flieger arbeiteten.

    Im Lager Ruhstrat wurden deutsche Propagandafilme für die dort untergebrachten "Ostarbeiter" vorgeführt. Zwei der ehemaligen Zwangsarbeiter (Iwan Oserjanskij und Tamara P.) von Ruhstrat berichteten übereinstimmend von Misshandlungen der "Ostarbeiter" durch einen dort beschäftigten Meister.


  • Die Firmengründer


    Werbung der Firma Ruhstrat auf der Rückseite des Göttinger Adressbuchs von 1937


    Hauptwerk der Firma Ruhstrat 1938. Das Foto stammt aus der Veröffentlichung von Frank Baranowski, Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, Duderstadt 1995, S. 43 (Bildquelle Privatarchiv Baranowski, Veröffentlichung mit freundlichen Genehmigung).

    Arbeitskarte der Polin Lidia Z., die weil sie in der Ukraine geboren war, bei Ruhstrat als "Ostarbeiterin galt


    Quellen und Literatur.

    Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

    Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12.1945, StadtAGö Ernährungsamt Nr. 50, o.P.

    Runderlass Göring 23.1.1943, Zusammenstellung der Aufräumungstrupps (A-Trupps) und der Bauhilfstrupps (B-Trupps) der Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft über 500 Köpfen, o. D. [10.4.1943], Aerodynamische Versuchsanstalt an Oberbürgermeister 7.3.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45, o.P.
    An das Landesarbeitsamt Hannover 14.12.1943, zur Kenntnis an Frey, unterzeichnet mit Ra., Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45a Bd. 3, o.P.

    Beschäftigtenmeldung Ruhstrat 31.12.1944, Bundesarchiv Außenstelle Lichterfelde, R 12 I/102 (Reichsgruppe Industrie) (Informationen überlassen von Frank Baranowski).

    Lagerliste auf Anforderung der Gestapo vom 4.8.1944 und vom 6.9.1944, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541, Bl. 544.

    Reg.präs. Hildesheim an Oberpräs. 31.5. 1944, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3321, Bl. 85; Gesundheitsamt an Reg.präs. 23.5. 1944, 25.5.1944, StadtA Gö Pol.Dir. Fach 74 Nr. 6, Bl. 97f.

    Zwangsarbeiter klagt gegen Göttinger Firmen, Göttinger Tageblatt 28.8.1999

    Frank Baranowski, Geheime Rüstungsprojekte in Südniedersachsen und Thüringen während der NS-Zeit, Duderstadt 1995, S. 42, S. 236 Anm. 62.  


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