NS-Zwangsarbeit: Fahndungsmeldung von Winkelhoff Glaeser vom 27.April 1944 nach einem nicht aus dem Urlaub zurückgekehrten Westukrainer |
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Fahndungsmeldung von Winkelhoff & Glaeser nach einem aus einem Heimaturlaub nicht zurückgekehrten Westukrainer. Wegen des großen "Arbeitermangels in unseren Betrieben" bat Winkelhoff die Gestapo, nach dem Mann zu suchen und diesen wieder an seine Arbeitstelle zurückzuführen. Auch wenn es Winkelhoff nicht in erster Linie um die Bestrafung des Mannes ging, musste der Firma doch bewusst sein, dass der flüchtige Ukrainer, so er denn gefasst werden würde, auf jeden Fall bestraft werden würde. Zwar bedeutete 1943 "Arbeitsflucht" oder "Arbeitsvertragsbruch" noch nicht in jedem Fall notwendig KZ, wie dies spätestens ab Mai 1944 der Fall war, aber im Fall der Wiederergreifung wäre der flüchtige Ukrainer sicher für zumindest einige Monate ins Gefängnis gegangen, wie wir dies ja auch bei den flüchtigen Polen bei Keim gesehen haben. Die Firma hätte den Arbeiter also in diesem Fall auch nicht unmittelbar zur Verfügung gehabt. Es wird Winkelhoff & Glaeser bei dieser Fahndung daher sicher auch um die Abschreckung für ihre verbliebenen Zwangarbeiter gegangen sein. Man kann jedoch hoffen, dass es Waldzimierz W. gelungen ist, in seinem Heimatland unterzutauchen. Übrigens: Urlaub gewährte Winkelhoff & Glaeser seinen Zwangsarbeitern in aller Regel nicht, jedenfalls nicht mehr nach den Erfahrungen mit dem flüchtigen Ukrainer. So erhielt etwa der Westukrainer Stanislaw Goik im Juni 1943 keinen Urlaub um seine kranke Mutter zu besuchen, obwohl er eine entsprechende Bescheinigung des Pfarrers seines Heimatdorfes vorlegte und er schon seit August 1942 für Winkelhoff arbeitete. Und auch Stanislaw S., der ebenfalls im August 1942 als 15jähriger aus einem polnischen Heimatort nach Deutschland verschleppt worden warund dann hier in Göttingen für Winkelhoff & Glaeser 50 kg schwere Kohlensäcke schleppte, bekam im Dezember 1943 den von ihm wegen der schweren Erkrankung seines Vaters beantragen Heimaturlaub nicht gewährt. Dem Göttinger Tageblatt schilderte er 1999 sein Leben als Zwangsarbeiter in Göttingen. Er hatte noch vor Abschluss der Verhandlungen zur Einrichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (erfolglos) versucht, Winkelhoff & Glaeser auf eine Entschädigungszahlung zu verklagen. Das inzwischen in Hildesheim ansässige Nachfolgeunternehmen wies damals jede Verantwortung von sich und bezweifelte sogar, dass Stanislaw S. wirklich Zwangsarbeit bei Winkelhoff & Glaeser geleistet habe: "Leichtfertig unbewiesene Forderungen erfüllen, das werde seine Firma nicht. Auch der Arbeitergeberverband habe davor gewarnt. Die Gefahr sei groß, dass die Diskussion um Entschädigung für Zwangsarbeit ausgenutzt werden könnte." (Göttinger Tageblatt 1.9.1999: "Zwangsarbeit / Unternehmensleitung fühlt sich von Kläger überrumpelt. Unüberprüfbare Altforderung"). Zwar hat sich die Haltung der allermeisten Firmen nach der Einrichtung der Stiftung und mit den unabweisbaren Belegen der intensiven Zwangsarbeiterforschung inzwischen geändert, aber dennoch ist dies ein typisches Beispiel für eine Haltung der Abweisung von Verantwortung und Schuld, wie sie die meisten deutschen Unternehmung bis zum Ende der 1990er Jahre eingenommen hatten.
Artikel im Göttinger Tageblatt vom 1.9.1999.
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Fahndungsmeldung 27.4.1943, Stadtarchiv Göttingen, Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 481.
"Zwangsarbeit / Unternehmensleitung fühlt sich von Kläger überrumpelt. Unüberprüfbare Altforderung", "Zwangsarbeit / 72 Jahre alter Kläger schildert dem GT sein Leben in Göttingen. Arbeit, Lager und Angst vor KZ", beide Göttinger Tageblatt 1.9.1999.