Stanislaw Goik, geb. 5.4.1921 in Nowosiolka (Polen/Ukraine), nach Deutschland im August 1942, (Winkelhoff & Gläser, Ruhstrat, Küchenvereinigung Krankenbaracke)

Die folgenden Angaben beruhen auf den Fotos und Dokumenten, die Stan Goik, der 1950 nach Australien auswanderte, uns überlassen hat und auf mehreren ausführlichen Telefongesprächen, die Cordula Tollmien mit ihm im Sommer 2002 führte. Stan Goik, der sich selbst als "glücklich geboren" bezeichnete, was bedeutet, dass er immer schon ein durch und durch positiv-denkender Mensch war, zeichnete ein überwiegend freundliches Bild von seiner Zwangsarbeit in Göttingen.

Auf die Frage, ob er freiwillig nach Deutschland gekommen sei, antwortete Stan Goik: "halb freiwillig, halb deportiert". Er habe einen Bekannten bei der Gestapo in seinem Heimatort gehabt, der polnisch gesprochen habe. Die Anzahl derjenigen, die nach Deutschland zur Arbeit geschickt wurden, habe sich nach der Größe der Familie gerichtet. Aus seiner Familie, in der der Vater 1937 einer der stalinistischen Säuberungen zum Opfer gefallen war, wollten sie Stanislaw schicken, doch sein Gestapofreund habe sich für ihn eingesetzt. Daraufhin habe man bestimmt, dass dann Stans Schwester fahren solle, worauf Stan gesagt habe. "Dann gehe ich!" Ob es sich bei einer solchen Frage - entweder ich selbst oder meine Schwester - wirklich um eine freiwillige Entscheidung gehandelt hat, mag dahingestellt bleiben. Der Zwang, der auch auf die vorgeblich priviligierten Westukrainer ausgeübt wurde, sich zur Arbeit nach Deutschland zu melden, wird jedenfalls auch in dieser zurückgenommenen Schilderung deutlich. Einen Unterschied zu vielen anderen Zwangsarbeitern aus Osteuropa gab es allerdings: Zumindest Stanislaw Goik wurde nicht im Viehwaggon, sondern in einem normalen Personenzug nach Deutschland gebracht.

Goik kam in Göttingen zunächst zu dem Kohlenhändler Winkelhoff & Glaeser, wo er 50 kg schwere Kohlensäcke schleppte: Drei Wagen pro Tag mussten mit zwei Mann beladen werden, 80 Säcke passten auf einen Wagen (untergebracht war er mit den anderen polnischen und westukrainischen Kohlenarbeitern im Lager Dietzel und später im Lager Hasengraben.) Er sei jung und stark gewesen damals, sagte Stan Goik in einem der Telefonate. Doch nicht stark genug, um diese schwere Arbeit auf die Dauer durchzuhalten. Nach etwa einem Jahr, so Stan Goik, wurde er magenkrank und in die Krankenbaracke für Ausländer im Ludendorffring 20 b eingeliefert. Darauf gab man ihm leichte Arbeit als Metallhilfsarbeiter bei Ruhstrat, wo er von November 1943 bis Ende Mai 1944 kriegswichtiges U-Bootzubehör herstellte. Ab Februar 1944 erlaubte man ihm sogar, privat zu wohnen, in einem "sehr schönen" Zimmer, in der Langen Geismarstraße 68. Da er aber noch immer nicht gesund und deshalb viel von der Arbeit freigestellt gewesen sei, habe man ihn bei Ruhstrat nach einen halben Jahr "rausgeschmissen", so Goik.

Er hatte aber inzwischen seine Kontakte zu Pflegern und Ärzten der von der Göttinger Küchenvereinigung beriebenen Krankenbaracke dazu genutzt, um bei dem dort tätigen Arzt Dr. N. einen Kurs in Krankenpflege zu absolvieren. Er wechselte also von Ruhstrat zur Krankenbaracke, wo er ab Ende Mai 1944 auch wohnte. Seine Aufgabe dort war es unter anderem, die Kranken auf einer Bahre zur Chirurgie zu bringen. Die Bahre fuhr auf zwei Rädern, von zwei Pflegern einfach über das offene Gelände von der Baracke zur Klinik geschoben. Es war kalt für die Patienten und wenn es regnete, wurden sie nur notdürftig abgedeckt. In der Baracken hätten vier "Ostarbeiter"-Schwestern und ein weiterer Pfleger gearbeitet. Es gab einen Raum für Schwangere, die Betten hätten eng gestanden (zehn in einem Raum, auch im Korridor hätten Betten gestanden), aber es sei sauber und auch das Essen sei gut gewesen. Nach ihrer Entlassung aus der Krankenbaracke seien einige Zwangsarbeiter, die auf dem Land arbeiteten, vorbeigekommen und hätten etwas zu essen gebracht. Nach dem Bombenangriff am 1. Januar 1945 hätten sie viele Verletzte behandelt.

Goik lernte in der Krankenbaracke die ukrainische Ärztin Anna Melnikowa kennen (geb. 14.7.1918, die er am 21.10.1944 mit der Leiterin der Krankenbaracke Maria B. (eine Frau, die nach Aussage von Goik NSDAP-Mitglied, aber in Ordnung gewesen sei) heiratete, und mit der er seitdem in einem Zimmer der Krankenbaracke lebte. Sie starb am 9.2.1945 an einer Luftröhrenabszess: Dies sei für ihn ein schrecklicher Verlust gewesen. Anna sei eine tiefe Denkerin gewesen, kein Mensch, der viele Worte gemacht habe.

Auch nach dem Krieg arbeitete Goik zunächst noch weiter in der Krankenbaracke. Um Essen zu organisieren fuhr er mit dem Fahrrad zu den Bauern aufs Land, denn "die Küchenvereinigung war nicht mehr da". Er erinnerte sich auch daran, dass die Baracke nach dem Krieg für die Überlebenden der Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald in Göttingen genutzt wurde: Einen der dort untergebrachten Polen aus dem KZ habe er gekannt, er sei voller Wasser gewesen.

Seine Familie in der Ukraine/Polen hat Stanislaw Goik nie wiedergesehen. Mehrere Versuche noch während des Krieges seine Mutter - mit Hilfe von Bescheinigungen und Briefen über seine oder ihre Erkrankung - zu besuchen, scheiterten. Mit seiner Schwester hatte er bis 1975 auch noch in Australien Kontakt, der dann abriss. Über einen Cousin, der ebenfalls in Göttingen Zwangsarbeit geleistet hatte, wandte diese sich 2001 an Cordula Tollmien, um sie um Hilfe bei der Suche nach ihrem Bruder zu bitten. Die Suche in Australien war erfolgreich und Anfang 2002 erhielt die immer noch in ihrem Heimatort lebende Schwester endlich wieder einen ersten Brief von ihrem Bruder. Es sei gut gewesen, dass er nicht mehr nach Hause zurückgegangen sei, sagte Goik abschließend dazu, er sei immer anders gewesen als die anderen, habe eine große Klappe gehabt und das sei unter Stalin nicht gut gewesen. Und Australien sei ein "leeres Land", in dem ihm alle Möglichkeiten offengestanden hätten ...

Goik, der sich schon während des Krieges eine Kamera organisiert hatte (Eine Kamera zu bekommen, war nicht das Problem, erzählte er, aber Filme und Abzüge zu organisieren, das war schwierig) und dem wir daher eine Reihe wichtiger Fotos verdanken, arbeitete nach dem Krieg in Australien als Fotograf.

Arbeitskarte von Stanislaw Goik

Bescheinigungen und Briefe (1943/44), um Stanislaw Goik eine Heimreise zu ermöglichen

Alle Betriebe, in denen Goik während des Krieges gearbeitet hatten, stellten ihm - wahrscheinlich aus seinen Wunsch - 1949 ein Zeugnis aus, in dem sie ihm nicht nur bescheinigten, dass er gute Arbeit geleistet habe, sondern auch, dass er keiner nationalsozialistischen Organisation angehört habe - eine Bescheinigung, die für seine Auswanderungspläne wichtig war:
Zeugnis Winkelhoff & Glaeser
Zeugnis Ruhstrat
Zeugnis Küchenvereinigung

Fotos von Stanislaw Goik:
Krankenbaracke
Göttinger Kohlenarbeiter
Grab von Anna Melnikowa

Stanislaw Goik - dieses Foto schickte er während des Kriegs nach Hause

Stanislaw Goik und Anna Melnikowa in einem Fenster der Krankenbaracke

Stanislaw Goik 1946 noch in Göttingen


Quellen:

Notizen von Telefongesprächen am 19.1.2002, 26.1.2002, 6.7.2002, 5.10.2002, Fotos Stan Goik, Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.

Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.

Sterbebuch 1945 (Eintrag 311/1945) und Familienbuch 1944 (Eintrag 337/1944), Stadtarchiv Göttingen.

 


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