"Göttinger Küchenvereinigung e.V."

Die Göttinger Rüstungsbetriebe hatten zunächst wie alle anderen Göttinger Firmen auch den Zwangsarbeitereinsatz individuell organisiert. Nachdem dann aber Mitte 1942 verfügt worden war, dass aus Brandschutzgründen größere Barackenlager nicht mehr in unmittelbarer Nähe von Rüstungsbetrieben eingerichtet werden durften und man nach den "Ostarbeitererlassen" vom Februar 1942 auch in Göttingen auf einen massenhaften Zustrom von Zwangsarbeitern aus der Sowjetunion hoffte, war man zu gemeinsamem Handeln gezwungen. In die im Sommer 1942 aufgenommene Planung für zwei große "Gemeinschaftslager" in Göttingen (auf dem Schützenplatz und auf der Eiswiese) waren denn auch die führenden Göttinger Rüstungsfirmen von Anfang an eingebunden. Im Dezember 1942 übernahmen die Göttinger Rüstungsfirmen dann auch formal die Verantwortung für die beiden Lager von der bis dato zuständigen hannoverschen Abteilung Rüstungsbau des Ministeriums Speer auch formal die Verantwortung für die beiden Lager. Zu diesem Zweck hatten sich die Betriebe als "Küchenvereinigung e.V." zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, wie sie auch in anderen Städten bestand, um den Zwangsarbeitereinsatz effektiv und kostengünstig zu organisieren. Der etwas seltsam anmutende Name "Küchenvereinigung" erklärt sich daraus, dass sich dieselben Firmen bereits 1941 in einem "Verein Gemeinschaftsküche" organisiert hatten, der statt einzelner Betriebskantinen in den jeweiligen Firmen gemeinschaftlich die Volksküche in der Geiststraße betrieb. Später wurden aus dieser Küche auch Zwangsarbeiter versorgt.

Das Gründungsdatum der Küchenvereingung war nicht ganz eindeutig auszumachen. Zwar wird in einem Schreiben der Aerodynamischen Versuchsanstalt behauptet, die Küchenvereinigung sei schon im August 1942 gegründet worden. Doch wurden dabei möglicherweise Baubeginn des Lagers Schützenplatz und Gründung der Küchenvereinigung miteinander verwechselt. Aus einer Aktennotiz des Stadtbauamtes vom 6.1.1943, die besagt, dass "seit etwa 3 Wochen die Küchenvereinigung e.V., vertreten durch Direktor Schmidt - Aluminumwerk, alleinverantwortlich sei für die Aufstellung von Baracken für Ausländer", lässt sich aber zumindest schließen, dass die Gründung spätestens im Dezember 1942 erfolgt ist. Wie dieser Notiz auch zu entnehmen ist, lagen Federführung und Verwaltung der Küchenvereinigung, die sowohl für Unterbringung und Verpflegung der Zwangsarbeiter zuständig war, bei den Aluminiumwerken. Seit Januar 1943 betrieb die Küchenvereinigung auch eine Krankenbaracke für "OstarbeiterInnen" und PolInnen.

Eine vollständige Mitgliederliste der "Küchenvereinigung e.V." ließ sich bisher nicht ermitteln. An einer ersten Besprechung über die Einrichtung von Gemeinschaftslagern in Göttingen, die am 11.6.1942 stattfand, nahmen die Göttinger Rüstungsfirmen Schneider & Co, Aluminiumwerke, Ruhstrat, Winkel und die Phywe, aber auch die Reichsbahn teil, die eigentlich ihre Lager in eigener Verantwortung betrieb, aber auch das Lager Schützenplatz zur Unterbringung von "Ostarbeiterinnen" nutzte. Die Firma Feinprüf wurde in diese Sitzung explizit erwähnt. Für deren in erster Linie westliche Zwangsarbeiter sollte nach Fertigstellung des Lagers Schützenplatz auf der Eiswiese ein Lager gebaut werden. Auch beispielsweise Sartorius, das sehr viele Zwangsarbeiter im Lager Schützenplatz unterbrachte, war sicher Mitglied der Küchenvereinigung.

Im Übrigen ist bekannt, dass an der Vorläuferorganisation, dem "Verein Gemeinschaftsküche" 1941 sicher beteiligt waren: die Aluminiumwerke, Ruhstrat, Sartorius, Josef Schneider & Co in Weende, die Firma Wilhelm Lambrecht, die Tuchfabrik Eberwein, die Göttinger Leinenweberei und die Textilfabrik Schöneis. Ob die zuletzt genannten Textilfirmen später dann auch Mitglied der Küchenvereinigung waren, ist nicht verbürgt, angesichts der Tatsache, dass diese Firmen alle für den Wehrmachtsbedarf prouzierten und für ihre "Ostarbeiterinnen" neben ihren eigenen Lagern - soweit bekannt - auch das Lager Schützenplatz nutzen, aber wahrscheinlich. Auch andere Firmen, die keine Rüstungsfirmen waren und/oder sogar eigene Lager unterhielten, wie beispielsweise die Großwäscherei Schneeweiß nutzten ebenso wie viele mittelständige Betriebe auch das Lager Schützenplatz für die Unterbringung ihrer Zwangsarbeiter. Insofern ist es wahrscheinlich zutreffend, wenn in einem Nachkriegsschreiben wird die "gesamte Göttinger Industrie" als Mitglied der Küchenvereinigung bezeichnet.

Am 1. April 1943 war auch die Aerodynamische Versuchsanstalt der Küchenvereinigung beigetrete. Aus einem wegen zwei der Küchenvereinigung gewährten Darlehen, über das die Forschungsführung des Reichsluftfahrtministeriums Aufklärung verlangte, geführten Briefwechsel, wissen wir, dass deren Mitglieder keine Mitgliedsbeiträge entrichteten, sondern stattdessen zur Gewährung eines Darlehens verpflichtet war. Die Höhe des Darlehens richtete sich nach der Anzahl der in den Lagern untergebrachten Arbeitskräfte. Zurückgezahlt werden sollte das Darlehen, wenn die Küchengemeinschaft aufgelöst oder die Mitgliedschaft gekündigt wurde.

Küchenvereinigung 1943

Schreiben der Küchenvereinigung vom 19. März 1943 wegen Festsetzung des Mietzinses für das Grundstück Schützenplatz. Die Adresse der Küchenvereinigung sind die Aluminiumwerke.

Da der Schützenplatz von der traditionsreichen Göttinger Bürgerschützengesellschaft genutzt wurde, die dort in den letzten Jahren große Investionen unter anderem durch den Bau eines modernen Schützenhauses getätigt hatte, wurden den Göttinger Schützen in den Verhandlungen mit der hannoverschen Abteilung Rüstungsbau des Ministeriums Speer im August 1942 eine jährliche Entschädigung von 10 000 RM für die ihnen entgangenen Einnahmen zugesprochen. Dies war der Jahresdurchschnitt der Einnahmen der Jahre 1934 bis 1939. Nachdem die Küchenvereinigung die Verantwortung für das Lager Schützenplatz übernommen hatte, versuchte sie diese Summe, die weit über dem üblichen Pachtzins für Barackengelände lag, unter anderem mit dem Argument zu drücken, dass diese Kosten auf die Produktionskosten aufgeschlagen und daher letztendlich von dem Abnehmer ihrer Produkte (also dem Staat) zu tragen wären. Wenn die Küchenvereinigung nur den für Barackengelände üblichen Pachtzins von 0,02 RM pro Quadratmeter hätte entrichten müssen, hätte sich die Miete für den Schützenplatz nur auf 492, - RM belaufen. Die Verhandlungen über die Senkung des Mietzins zogen sich bis Oktober 1944 hin und unterstützt von der örtlichen Preisbehörde gelang es der Bürgerschützengesellschaft tatsächlich, ihre Forderung nach einer Weiterzahlung der ursprünglich vereinbarten 10 000 RM durchzusetzen. Dazu muss man wissen, dass diese Preisbehörde dem Oberbürgermeister direkt unterstand, und dass Oberbürgermeister Gnade Mitglied der Göttinger Bürgerschützengesellschaft war. Ein Argument in diesen langwierigen Verhandlungen war übrigens, dass "bei den in Anspruch genommenen Gastwirtschaftsbetrieben die Vergütung [auch] nicht nach dem Wert für die Bedarfsstelle, sondern nach dem Durchschnitt des in den letzten drei Kalenderjahren vor Kriegsausbruch erzielten Umsatzes bemessen wird" (Schreiben der Preisbehörde an den Regierungspräsidenten vom 17.1.1944, Stadtarchiv Göttingen, Amt für Wohnungswesen Nr. 294). Das erklärt nebenbei, warum die Einrichtung von Lagern in Gasthäusern für deren Betreiber so lukrativ war.


 

Quellen:

Sitzung 4.3.1941, Stadtarchiv Göttingen AHR I A Fach 11 Nr. 55

Chronik 4.3.1941, Stadtarchiv Göttingen

Schreiben der Küchenvereinigung 7.5.1945, Stadtarchiv Göttingen, Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 26 Bd. 1, o.P.

Schreiben der Küchenvereinigung 19.3.1943, Stadtarchiv Göttingen, Amt für Wohnungswesen Nr. 294, o.P.

Schreiben der Aerodynamischen Versuchsanstalt an die Forschungsführung des Reichsluftfahrtministeriums (enthält Gründungsdatum der Küchenvereinigung) 20.3.1945, Archiv der DLR Göttingen, GOAR 449 (Briefwechsel mit dem Reichsminister für Luftfahrt).
 


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