Volksküche "Verein Gemeinschaftsküche e.V."

Die Verpflegung der französischen Kriegsgefangenen, die seit Sommer 1940 in Göttingen arbeiteten, hatte die sog. Gemeinschaftsküche der Göttinger Betriebe übernommen, eine ursprünglich von der Stadt, während des Krieges aber von einem als Verein firmierenden Zusammenschluss verschiedener Göttinger (darunter die Aluminiumwerke, Josef Schneider & Co, Ruhstrat, Sartorius und Lambrecht) betriebene "Volksküche" in der Geiststraße. Die "Volksküche" (manchmal auch "Mittelstandsküche" oder "Zentralküche", später dann meistens "Gemeinschaftsküche" genannt) befand sich in einem der Stadt gehörenden Haus in der Geiststraße 8. Betrieben wurde die Küche zumindest während des Krieges jedoch nicht von der Stadt, sondern von einem als Verein firmierenden Zusammenschluss verschiedener Göttinger Firmen. Mitglieder des Vereins "Gemeinschaftsküche Göttinger Betriebe e.V." waren die Aluminiumwerke, Josef Schneider & Co, die Ruhstrat GmbH, die Sartorius-Werke und die Firma Wilhelm Lambrecht, die Tuchfabrik Eberwein, wie die Aluminiumwerke und Josef Schneider & Co in Weende gelegen, die Textilfirma Wilhelm Schöneis & Co und die Göttinger Leinenweberei in Geismar.
1941/42 wurde die Küche auf Betreiben der Deutschen Arbeitsfront (DAF) erheblich erweitert und wie ein zeitgenössisches Foto des Speisesaals zeigt fast luxuriös ausgebaut, um den Belegschaften der Göttinger "Wehrwirtschaftsbetriebe" eine zusätzliche warme Verpflegung zu ermöglichen. Die Stadt stellte dafür dem Verein Gemeinschaftsküche die benötigten Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung und übernahm sogar die Umbaukosten für den Essraum, so dass der Verein nur den Umbau der Küche bezahlen musste. Die Bedingung, die die Stadt für dieses großzügige Engagement stellte, war lediglich, dass der Verein Gemeinschaftsküche weiterhin "bedürftigen Volksgenossen" ein Essen zu ermäßigten Preisen" anbot und "auch die Verpflegung anderer Volksgenossen zu den bloßen Selbstkosten" übernahm, "wenn die Vermieterin [das ist die Stadt] dies für einen gemeinnützigen Zweck wünscht (z.B. Verpflegung bei Aufmärschen der NSDAP und ihrer Gliederungen)." Nach der ersten Ausbauphase, die im Juli 1942 abgeschlossen war, konnte die Küche statt wie bisher 1000 Portionen am Tag nun täglich 2000 ausgeben.
Verpflegt wurden in der Geiststraße wohl zunächst nur die deutschen "Gefolgschaftsmitglieder" der Mitgliedsbetriebe des Vereins. Doch stand zumindest nach dem Ausbau die Küche auch den Angehörigen dieser "Gefolgschaftsmitglieder" offen, die dort für 40 Pfennig (Kinder 20 Pfennig) pro Mahlzeit billig essen konnten.
Ende 1941 wurde ein weiterer Anbau geplant, der allerdings offenbar erst zwischen August und Oktober 1942 realisiert wurde. Dafür stellten die Aluminiumwerke eine Maurerkolonne, in der auch Kriegsgefangene arbeiteten. Insgesamt leisteten die drei bis vier Kriegsgefangene im September 1942 1694 Arbeitsstunden, wobei der Stadt als Eigentümerin des Hauses 1,00 RM pro Arbeitsstunde eines Kriegsgefangenen in Rechnung gestellt wurde. In der entsprechenden Akte ist nicht angegeben, welche Nationalität diese Kriegsgefangenen hatten. Rein zeitlich wäre es denkbar, dass im September 1942 auch schon sowjetische Kriegsgefangene auf der Baustelle gearbeitet hätten. Da die Aluminiumwerke den Einsatz ihrer Maurerkolonne aber bereits im Dezember 1941 angekündigt hatten, kann man wohl mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es sich hier um französische Kriegsgefangene handelte, zumal auf dieser Baustelle bei Kanalbauten, Hofpflasterung und anderen Maurerarbeiten Facharbeiterkenntnisse verlangt wurden, die man den "Russen" in der Regel nicht zutraute.

Speisesaal der Gemeinschaftsküche in der Geiststraße nach dem Umbau 1942 (Fotoarchiv Städtisches Museum Göttingen).

Gemeinschaftsküche Göttinger Betriebe e.V. von außen - die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1952 (die Küche bestand bis 1955) und zeigt deutlich die Spuren der in-tensiven Nutzung der Küche in der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit (Fotarchiv Städtisches Museum Göttingen).

Mit dem Eintreffen der französischen Kriegsgefangenen übernahm die Gemeinschaftsküche für 1,20 RM pro Mann und Tag (das entsprach dem Heeresverpflegungssatz) nun auch deren Verpflegung und dehnte dies später auch auf andere Zwangsarbeitergruppen aus. Natürlich aßen die Zwangsarbeiter nicht in dem nach 1941/42 eingerichteten schönen großen Esssaal (diesen durften später nur die wegen ihrer "germanischen" Abstammung, privilegierten flämischen "Fremdarbeiter" betreten), sondern bekamen ihr Essen, das entweder von der Küche geholt werden musste oder aber von Gefangenenköchen im Lager selbst gekocht wurde, am Arbeitsplatz oder im Lager. Dieses Essen war aber ungeachtet der vergleichsweise hohen Kosten so schlecht, dass sich im Mai 1941 sogar einzelne Unternehmen, bei denen die Gefangenen eingesetzt waren, beschwerten allerdings erfolglos. Da sich jedoch auch die Wachmannschaften sowohl des Lagers Sültebeck als auch des Lagers der Bahnmeisterei am "Schwarzen Weg" beschwert hatten, bat Kontrolloffizier Herrnkind die Gemeinschaftsküche Göttinger Betriebe e.V. wenigstens um eine Stellungnahme. Das Essen für die Wachmannschaften überprüfte Herrnkind sogar persönlich, fand aber weder an der Größte der Rationen noch an der Qualität der Verpflegung etwas auszusetzen. Die Angelegenheit wurde daraufhin als erledigt angesehen.

Auch im April 1942 hatte sich an der schlechten Ernährungssituation für die Gefangenen noch nichts geändert. Einem Bericht des französischen Vertrauensmannes des Stalags XI B Fallingbostel, der im März/April 1942 eine Kontrollreise durch verschiedenen Kriegsgefangenenlager im Raum Göttingen unternahm, kann man entnehmen, dass die Gefangenen im Lager Sültebeck nicht das ihnen zustehende Essen erhielten und ihnen auch die von manchen Arbeitgebern ausgezahlte Schwerarbeiterzulage vorenthalten wurde. Dass sich die Situation nach dem Ausbau der Küche wesentlich verbessert hat, muß bezweifelt werden.

Siehe dazu auch:

Cordula Tollmien: "Feind bleibt Feind" - französische (und belgische) Kriegsgefangene in Göttingen seit Frühsommer 1940, unveröffentlichtes Manuskript 2004 (mit geringfügigen Änderungen im September 2011).


Quellen und Literatur:

Wilhelm Baum (als Leiter der Gemeinschaftsküche; er betrieb zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig das Göttinger Ausflugslokal Kaiser-Wilhelm-Park, der ursprünglich Oberbürgermeister Gnade gehört hatte) an Bürgermeister Claassen 24.8.1940, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48, o. P.
Bericht der Hochbauabteilung 29.4.1940, An die Kameraden 21.12.1942, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt I Fach 1 Nr. 54 aa, o. P.; Sitzung 4.3.1941, Stadtarchiv Göttingen. AHR I A Fach 11 Nr. 55; Mietvertrag 21./31.5.1941 (Zitat), Aktennotiz 23.7.1942, Stadtarchiv Göttingen Sozialamt Acc. Nr. 434/510 Nr. 157, o. P.; Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. II Fach 46 Nr. 1ai, Bd. 1, passim (insb. Aluminiumwerke an Stadtbauamt 13.12.1941); Stadtarchiv Göttingen Fach 46 Nr. 12 Bd. 1, passim; Chronik 4.3.1941, 19.8.1942.

Zu Gnade und dem Kaiser-Wilhelm-Park siehe Cordula Tollmien, Nationalsozialismus in Göttingen, Göttingen 1999, S. 31.

Aktennotiz 14.8.1940, Baum an Bürgermeister Claassen 24.8.1940, Aktennotizen 4.9.1940, 12.7.1940, 13.7.1940, Herrnkind an Gnade 9.6.1941, Gemeinschaftsküche an Gnade 24.6.1941, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48, o. P.; Gemeinschaftsküche an Stadtbauamt 29.11.1942, Gemeinschaftsküche an Stadtbauamt 29.11.1942, ebd. Bauamt Abt. II Fach 46 Nr. 1ai Bd. 1, o. P.; Aktennotiz 23.7.1942, ebd. Sozialamt Acc. Nr. 434/510 Nr. 157, o. P.

 


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