Lager Tonkuhle, Groner Landstraße 47, bei der alten Ziegelei
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Der ehemalige Zwangsarbeiter Iwan Semjonowitsch Oserjanskij hat im Dezember 2000 eine Skizze dieses Lagers angefertigt. Oserjanskijs war seit Juli 1943 für Ruhstrat Zwangsarbeiter. Das Lager Tonkuhle war in einer alten Ziegelei (auf dem Gelände des heutigen Leineparks, unterhalb des jetzigen Polizeigebädes) eingerichtet worden, und zwar auf dem Boden eines ausgebeuteten Tonlagers, so dass man den Himmel nur sah, wenn man den Kopf in den Nacken legte. "Das Lager war umzäunt. Außer dem Himmel konnte man nichts sehen", schrieb einer der ehemaligen Zwangsarbeiter, die in diesem Lager untergebracht waren. In der Lehmkuhle war es außerdem so feucht, dass die Baracken auf Klötzen über dem Boden schwebend errichtet werden mussten. Oben am Rand des Bildes hat er die Häuser an der Ihringstraße gezeichnet, die man vom Lager aus sehen konnte. Das nebenstehende Foto zeigt einen Blick auf diese Häuser von den Leinewiesen aus, das im Januar 2001 gemacht wurde. Von der alten Ziegelei existiert nur noch ein Foto aus den 1960er Jahren, auf dem im Vordergrund eine alte Baracke zu sehen ist. Ob sie zum Lager und wenn ja, zu welchem Lagerteil sie gehörte, ist heute nicht mehr feststellbar. Alte Ziegelei Göttingen, Groner Landstraße 47 (Städtisches Museum Göttingen)
Auf dem Gelände des Lagers Tonkuhle existierte wahrscheinlich seit 1941, sicher vor Dezember 1942 auch ein Lager für französische Kriegsgefangene, das aber Ende 1943 aufgelöst wurde. Es war durchgängig mit 10 Kriegsgefangenen belegt. Spätestens ab April 1944 waren dort ehemalige französische Kriegsgefangene untergebracht, die von der Möglichkeit der Transformation Gebrauch gemacht hatten. Eventuell handelte es sich einfach um die alte Belegschaft, deren rechtlicher Status sich jetzt geändert hatte. Einige dieser umgewandelten Kriegsgefangenen arbeiteten bei Göttinger Schlachtern.
Im März 1942, also einen Monat nach den "Ostarbeitererlassen", begann Ruhstrat dann bereits mit der Planung eines "Ostarbeiterlagers" am gleichen Standort. Ursprünglich hatte man noch eine Anordnung der Baracken nebeneinander geplant, wie der linke obige Skizze zeigt, die dann aber in dem vom Oktober 1942 stammenden Lageplan rechts schon durch die Hintereinanderanordnung ersetzt worden war, wie sie auch Oserjanskij gezeichnet hat. Ausgeführt wurden die Arbeiten von der Baufirma Wallbrecht. Zeitgleich mit den Lagern Schützenplatz und Eiswiese war dann auch das "Lager Tonkuhle" fertiggestellt. Im August 1944 waren in dem von Ruhstrat betriebenen Lager allein 232 "OstarbeiterInnen" untergebracht, im September 1944 waren es dann schon 259 (davon 174 Frauen). Nach einer Nachkriegsangabe fasste das Lager 250 Insassen, 90 % davon seien "Ostarbeiter" gewesen (also 225) und 25 Franzosen. Im Lager Ruhstrat wurden deutsche Propagandafilme für die dort untergebrachten "Ostarbeiter" vorgeführt. Eine ehemalige "Ostarbeiterin", die bei August Fischer arbeitete und im Lager Schützenplatz untergebracht war, berichtete, dass sich im Lager Ruhstrat einmal Tuberkulose ausgebreitet habe und viele Menschen gestorben seien: "Die Menschen wurden in den Waschraum gejagt und mit kalten Wasser begossen", schrieb sie. Bei der letzten Aussage ist allerdings nicht ganz klar, ob sie damit wirklich das Lager Tonkuhle oder das Lager Schützenplatz meinte, denn andere ehemalige Zwangsarbeiterinnen berichteten auch über kalte Duschen im Lager Schützenplatz. Ein in den 1880er Jahren befragter ehemaliger deutscher Arbeiter von Ruhstrat erinnerte sich an Übergriffe des Wachpersonals im Lager Tonkuhle auf die "russischen Mädchen", die - wenn sie schwanger wurden - zu Abtreibungen nach Lauterbach gebracht wurden. Nach einer im April 1945 aufgestellten Lagerliste sollen bei "Levin" - das ist der ehemalige Besitzer der alten Ziegelei - eine größere Gruppe von Polen und Ostarbeitern auch lagermäßig untergebracht gewesen sein - damit ist das Lager Ruhstrat gemeint, nicht etwa die Saline Luisenhall, die seit 1881 ebenfalls der Familie Levin gehorte. Nach Kriegsende wurde das Lager Tonkuhle schon 1945 aufgelöst und die Baracken größtenteils abgerissen. |
Literatur und Quellen:
Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12.1945, Stadtarchiv Göttingen Ernährungsamt Nr. 50, o. P.; Zusammenstellung der Aufräumungstrupps (A-Trupps) und der Bauhilfstrupps (B-Trupps) der Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft über 500 Köpfen, o. D. [10.4.1943], Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45, o. P.; verschiedene Einwohnermeldekarten; Einträge in Stadtarchiv Göttingen Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt) Register Fremdenpässe, angefangen 4.2.1942, 163/1943, 164/1943, 175/1944.
Einwohnermeldekarten, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnermelderegistratur.
AKtenvermerkt 11.6.1942, Stadtarchiv Göttingen, Amt für Wohnungswesen Nr. 294, o.P.
Einträge in: Stadtarchiv Göttingen Acc. Nr. 1047/1991 Nr. 258 (Ordnungsamt) Register Fremdenpässe, angefangen 4.2.1942, 163/1943, 164/1943, 175/1944.
Lagerliste auf Anforderung der Gestapo vom 4.8.1944 und vom 6.9.1944, Stadtarchiv Göttingen Pol. Dir. Fach 124 Nr. 2, Bl. 541, Bl. 544.
Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Film Nr. 3, Nr. 1470.
Lager von Kriegsgefangenen ausländischer Zivilarbeiter im Landkreis Göttingen 21.4.1945, Stadtarchiv Göttingen AHR I A Fach 48 Nr. 3, Bl. 122.
Lagepläne März und Oktober 1942, Stadtarchiv Göttingen, Stadtentwässerung C 84 (Acc. N. 1595/2001), Nr. 22, Groner Landstraße 47 (1931-1970).
Fragebogen Raina Fjodorowna M., geb. 1.7.1924, mit Fotos o.D. (Eingang Januar 2000), Grigorij Petrowitsch Sch., geb. 14.12.1923, o.D. (Eingang 9.11.2000), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32-Tollmien.