NS-Zwangarbeit: Lager Sültebeck - Zerstörung im November 1944 |
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Am 23. November 1944 wurde das Lager Sültebeck durch einen Bombenangriff vollständig zerstört. Bei diesem ersten größeren Bombenangriff auf Göttingen, bei dem neben dem Maschmühlenweg unter anderem auch Bomben in der Güterbahnhofsstraße, im Ludendorffring (heute Kreuzbergring) und am Geismartor fielen und zum Teil erheblichen Sachschaden anrichteten, gab es neun Tote. Darunter waren auch vier der privaten Bewohner des Maschmühlenwegs 14/16, erstaunlicherweise jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit keiner der dort untergebrachten französischen Kriegsgefangenen - und dies obwohl die Bomben am Abend gegen 20 Uhr fielen, das Lager also wahrscheinlich voll besetzt, und der Saal, in dem die Kriegsgefangenen untergebracht waren, direkt getroffen wurde. Es gibt allerdings die Zeitzeugenaussage eines damals siebenjährigen Deutschen, der sich - weil es seine ersten Toten waren - sehr genau "an die vielen jungen Männer, die durch die Explosion getötet wurden", und von denen er sicher war, dass sie Zwangsarbeiter waren. Zerstört wurde bei dem Angriff auch der dem Lager direkt gegenüberliegende Gasometer, so dass von da an die Gasversorgung in Göttingen nur noch sehr eingeschränkt funktionierte. |
Das am 23. November 1944 zerstörte Lager Sültebeck (rechts hinten); im Vorder-grund rechts das Gebäude der Südhannoverschen Zeitung (bis 1933 Göttinger Volksblatt); links am Rand der zerstörte Gasometer (Städtisches Museum Göttingen) |
Wo die Gefangenen in den ersten Tagen nach der Zerstörung des Lagers untergebracht waren, ist nicht bekannt. Wir wissen lediglich, dass sie ab 9. Dezember 1944 in zwei Baracken auf dem Lohberg untergebracht wurden, die die Stadt gemeinsam mit einer dritten Waschbaracke schon ab 1. Februar 1944 zur "Unterbringung von Kriegsgefangenen bzw. von ausländischen Arbeitern" zusätzlich zu ihrem Lager Sültebeck gemietet hatte. Leider gibt es keinerlei Hinweis in den Akten, welche Zwangsarbeiter bis zum November 1944 in den Baracken untergebracht waren und für welche Betriebe sie arbeiteten. Dass schon vor der Zerstörung des Lagers französische Kriegsgefangene von Sültebeck in das Barackenlager auf dem Lohberg verlegt worden wären, ist angesichts der vorliegenden Belegzahlen für das Lager Sültebeck allenfalls ab Juli oder August 1944 vorstellbar, in dem die Belegzahl des Lagers auf schließlich nur noch 70 Gefangene sank. Die Aufnahmekapazität der beiden Baracken betrug gemessen an dem im Übergabeprotokoll vom 21. Januar 1944 aufgeführten Betten 68 Mann, was in etwa der Abnahme der Belegzahlen im Lager Sültebeck entspricht. Für den 12. Dezember 1944 vermerkt ein entsprechendes Übergabeprotokoll dann 105 Betten bzw. Strohsäcke, was dafür spricht, dass man für die Aufnahme der ausgebombten Kriegsgefangenen aus dem Lager Sültebeck einfach zusätzlich Betten in die Baracken stellte bzw. Strohsäcke auf den Boden legte. Diese Überlegungen setzen allerdings voraus, daß die schon vor dem Bombenangriff ins Lager Lohberg verlegten französischen Kriegsgefangenen nicht in der oben abgedruckten vom Göttinger Ernährungsamt für die Versorgung mit Lebensmittelkarten aufgestellten Belegstatistik enthalten sind. Dies ist allerdings meines Erachtens eher unwahrscheinlich, da diese Statistik bei der Verlegung eines Teiles des Arbeitskommandos Sültebeck sicher - wie ja auch nach der Zerstörung des Lagers Sültebeck - einfach weitergeführt worden wäre. Es bestehen daher nur zwei Möglichkeiten: Entweder wurde das städtische Lager auf dem Lohberg bis zum November 1944 nicht genutzt (was angesichts des allgemeinen Raummangels auch wiederum sehr unwahrscheinlich ist) oder aber es waren darin andere Zwangsarbeiter (wegen der Nähe zur Wehrmacht wahrscheinlich wieder Kriegsgefangene, eventuell anderer Nationalität) untergebracht. Bei den Aufräumarbeiten nach den Bombenangriffen vom 23. und 24. November 1944 wurden holländische Zwangsarbeiter eingesetzt. Siehe dazu auch die Beschreibung des Angriffs und seiner Auswirkungen in dem Tagebuch von Hermann Stresau (Eintrag 24.11.1944). |
Literatur und Quellen:
Oberbürgermeister (OB) an Südhannoversche Zeitung (SHZ) 8.12.1944, OB an Frau Brüger 8.12.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 52, o.P.; OB an Stadtbauamt 8.8.1946, Stadtbauamt an OB 1.10.1946, ebd. [lose hinten einliegend]
In einer (undatierten, aber nach dem Krieg angefertigten) Liste der in der Zeit vom 1.9.1939 bis 1947 auf dem hiesigen Friedhof bestatteten Franzosen, ist keiner aufgeführt, der am 23.11.1944 gestorben wäre. In einer weiteren Liste von 20.1.1954 der "Im II. Weltkrieg durch Feindeinwirkung verstorbenen Zivilpersonen" sind für den 23.11.1944 sieben deutsche Tote aus Göttingen aufgeführt, so dass lediglich zwei der im offiziellen Schadensbericht genannten Toten nicht namentlich bekannt sind. Dabei könnte es sich theoretisch um französische Kriegsgefangene gehandelt haben, dies ist aber nicht nur wegen der oben genannten Listen, sondern auch wegen der Formulierung, daß es sich bei den Toten um "Einwohner der Stadt" gehandelt ha-be, eher unwahrscheinlich. Listen in: Stadtarchiv Göttingen Grünflächenamt C 83, Nr. 9.
Eintragungen 23.11.1944, 24.11.1944, in: Chronik der Stadt Göttingen, Exzerpte aus Tageszeitungen 1933-1945 (Maschinenschriftliches Manuskript im Stadtarchiv Göttingen).
Kriegsschäden durch Fremdeinwirkung 23.11.1944 und 24.11.1944, Stadtarchiv Göttingen Dep. 51 Nr. 3a, o. P.
Bestandsprotokolle 21.1.1944, 12.12.1944, Mietvertrag zwischen Stadt Göttingen und Reichsfiskus (Heer) 27.1.1944, handschriftliche Aktennotiz o. D., nachträglich unterschrieben am 12.12.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 53, o. P; Stadtbauamt an OB 1.10.1946, ebd. Nr. 52, o. P. [hinten lose einliegend].
Handschriftliche Statistik vom 16.11.1942-31.12.1945, Stadtarchiv Göttingen Ernährungsamt Nr. 50, o. P.