NS-Zwangsarbeit: Städtischer Friedhof

Für eine Zuweisung von ausländischen Zwangsarbeitern für den städtischen Friedhof ließ sich kein Nachweis finden, was insofern erstaunlich ist, als das Ausheben von Gräbern andernorts eine bevorzugte Aufgabe für Zwangsarbeiter war. Doch scheint die Göttinger Friedhofsverwaltung trotz regelmäßig vorgetragener Klagen über fehlende Arbeitskräfte und trotz einer schon vom 17. Februar 1941 datierenden Bedarfsmeldung für zehn (französische) Kriegsgefangene, die dauerhaft auf dem Friedhof gebraucht würden, bei der Zuweisung von ausländischen Zwangsarbeitern tatsächlich nicht bedacht worden zu sein. Angesichts der zunehmenden Beanspruchung durch die vielen Beerdigungen von sowjetischen Kriegsgefangenen forderte die Friedhofsverwaltung daher im August 1942 (und noch einmal im Dezember 1942) von der Wehrmacht bei jeder anstehenden Beerdigung vorab zwei Kriegsgefangene zum Ausheben des Grabes zu stellen und den Toten dann von vier (später wurden nur noch zwei gefordert) Kriegsgefangenen zum Friedhof bringen zu lassen, damit diese das Einlegen der Leiche und Zuschaufeln des Grabes besorgten. Mehrere Zeitzeugen berichteten außerdem, dass auch für die Beerdigung von "Ostarbeitern" "Russen" (also"Ostarbeiter" oder sowjetisches Kriegsgefangene) punktuell abkommandiert wurden.

Da gegen Kriegsende der Arbeitsanfall auf dem Friedhof noch weiter anstieg - die Verwaltung verwies insbesondere auf die vielen Wehrmachtstoten, die wegen der herrschenden Eisenbahnsperre nicht nach auswärts überführt werden könnten, man führe zur Zeit monatlich hundert Beerdigungen durch -, verlangte die Friedhofsverwaltung im August 1944 einerseits von der Wehrmacht, ein ständig auf dem Friedhof stationiertes Arbeitskommando für die Beerdigung der Wehrmachtstoten zu stellen, und andererseits vom Arbeitsamt die Zuweisung von fünf leistungsfähigen "Vollarbeitern". Sonst, so die Warnung der Friedhofsverwaltung würden in Göttingen bald Verhältnisse herrschen, "welche die Staatl. Gesundheitspolizei klären und regeln muß". Angesichts des fortgeschrittenen Kriegsverlaufs ist es allerdings eher unwahrscheinlich, dass den Anträgen stattgegeben wurde. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Wehrmacht auch bei anstehenden Beerdigungen von Wehrmachtssoldaten oder Kriegsgefangenen, wenn überhaupt, weiter punktuell auf die Abkommandierung einzelner Zwangsarbeitern beschränkte. In den Akten ist jedenfalls weder vom Arbeitsamt noch von der Wehrmacht irgendeine Reaktion archiviert. Bekannt ist dagegen, daß im September 1944 - also einen Monat nach dem Vorstoß bei Wehrmacht und Arbeitsamt - zwei 18- und 17jährige Fürsorgezöglinge aus der Erziehungsanstalt in Göttingen auf dem Friedhof arbeiteten. Eventuell war dies zumindest eine Teillösung zur Behebung des Arbeitskräftemangels auf dem städtischen Friedhof.

Ausländische Zwangsarbeiter werden im Übrigen im Zusammenhang mit dem Friedhof in den Akten nur einmal konkret erwähnt - und zwar in der Begründung dafür, dass die Friedhofsverwaltung nicht in der Lage sei, Arbeiter für die von Oberbürgermeister Gnade für Ende Januar 1944 angeordnete "Gemeinschaftsarbeit" (gemeint ist das Ausheben von Deckungsgräben durch die Bevölkerung) zu stellen. Ein Arbeiter sei krank, so das Friedhofsamt an das Personalamt, und zwei andere hätten Sonntagsdienst; einer von letzteren müsse die Leichen entgegennehmen und der andere fungiere als Parkwächter: "Seine Hauptaufgabe besteht darin, Ostarbeiter und sonstige Auslandsarbeiter vom Friedhof zu weisen. Es ist bekannt, daß der Stadtfriedhof von diesen Arbeitern besonders stark besucht wird und es ist vorgekommen, daß sich diese Menschen rudelweise zusammenschließen. Die Anweisung lautet, dieses zu unterbinden und die Leute vom Friedhof zu verweisen."

Dazu muß man wissen, dass sich - mit dem großen Lager auf dem Schützenplatz, in dem zeitweilig wahrscheinlich über 1000 Menschen untergebracht waren, dem Reichsbahnlager Auf der Masch und dem von Ruhstrat betriebenen Lager Tonkuhle, in denen ebenfalls mehrere hunderte Zwangsarbeiter untergebracht waren - eine große Zahl von "Ostarbeiterlagern" in unmittelbarer Nähe des Friedhofs befanden. Zumindest im letzten Kriegsjahr durften sich auch "Ostarbeiter" während ihrer sonntäglichen Freizeit, so ihnen diese nicht durch zusätzliche Arbeitseinsätze in Privathaushalten oder für den Luftschutz gestrichen wurden, in Grenzen frei bewegen. Aus Zeitzeugenberichten wissen wir, dass sich die "Ostarbeiter" tatsächlich sonntags auf dem Friedhof trafen:
"Ich kann über nichts schreiben, weil uns nicht erlaubt wurde, irgendwohin hinauszugehen. Nur auf den Friedhof, der über die Strasse lag", so eine Zwangsarbeiterin, die bei der Phywe arbeitete. Und eine ihrer Leidensgenossinen, die ebenfalls bei der Phywe war, noch konkreter:
"Übrigens, ich erinnere mich an den Stadtfriedhof, der, so scheint es mir, auf der linken Seite war, wenn ich zur Arbeit gegangen bin, und nicht weit von der Fabrik entfernt. Dort waren viele Gräber mit slawischen Namen. Der Friedhof war ordentlich, sauber, es gab viele Blumen und gute Wege. Wir gingen sonntags dorthin."

Gedenkstein für die 39 toten Zwangsarbeiter des Bombenangriffs vom 1. Janaur 1945.
Direkt nach dem Angriff wurden die Toten auf dem Friedhof bestattet. Nach dem Krieg gestalteten überlebende Zwangsarbeiter einen Stein mit der russischen Aufschrift: "Gemeinschaftsgrab der russischen Arbeiter, zum Opfer gefallen dem faschistischen Terror 1.1.1945". In den 60er Jahren wurden dann diese Toten gemeinsam mit den Kriegstoten anderer Nationen umgebettet auf einen Ehrenfriedhof. Dabei wurde auch der Stein umgesetzt. Auf der Rückseite des Steins wurde später eine deutsche Aufschrift angebracht.

Am 11. Mai 2003 legten überlebenden Zwangsarbeiter, die nach Göttingen eingeladen worden waren, Blumen an diesem Gedenkstein nieder.


Quellen und Literatur:

Anfrage Gnade an Städt. Behörden 1.42.1941, Antwort 17.2.1941, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 16 Nr. 48, o. P.

Friedhofsverwaltung an Kriegsgefangenenlager Göttingen 27.8.1942, Friedhofsverwaltung an Kriegsgefangenenlager Göttingen 1.12.1942, entsprechende Information an Stadtrat Schaper 3.12.1942, Stadtarchiv Göttingen Grünflächenamt C 83 Nr. 156, Bl. 31, Bl. 26, Bl. 24

Friedhofsverwaltung an Personalamt 20.1.1944, Friedhofsverwaltung an Standortältesten 24.8.1944, Friedhofsverwaltung an AA 24.8.1944 (Zitat), ebd. Nr. 118, o. P. (alphabetische Ablage, unter H); Meldung 6.9.1944, Bericht 9.9.1944, Stadtarchiv Göttingen Pol.Dir. Fach 175 Nr. 1 Bd. 2, Bl. 35, Bl. 39.

Friedhofsverwaltung an Personalamt 20.1.1944, Stadtarchiv Göttingen Grünflächenamt C 83 Nr. 118, o. P. (unter H).

Fragebogen Anna Maksimowna S., geb. 6.6.1926 o.D. (Eingang des Fragebogens 30.12.2000), Vikentij Kasimirowitsch P., geb. 14.8.1922, o.D. (Eingang Mai 2002), Raina Fjodorowna B., ge.b 1.7.1924, o.D. (Eingang Janaur 2002), Fragebogen Maria Ignatjewna D., geb. 24.3.1922, o.D. (Eingang 10.12.2001, Zitat 2), Brief Olga Aleksejwena M., geb. 6.11.1927, vom 3.1.2001 (Zitat 1), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32-Tollmien.

Günther Siedbürger, Die Lokhalle und ihre Eisenbahner. Werksgeschichte und Arbeiterkultur in Göttingen 1855-1945, Göttingen 1995, S. 109 f.

Cordula Tollmien, Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945), Dissertation Göttingen 1999, S. 206

 


 Impressum