NS-Zwangsarbeiter: Sterblichkeit bei den Zwangsarbeitern und Todesursachen

Sowohl die standesamtlichen Eintragungen als auch die nach dem Krieg von der Friedhofsverwaltung angelegten Listen von Toten und Gräbern erfassen nicht alle Zwangsarbeiter, die in Göttingen gestorben sind. Letztere sind zum Teil sogar untereinander widersprüchlich. Deshalb ist es sehr schwierig, genaue Zahlen über die Toten unter den ausländischen Zwangsarbeitern in Göttingen anzugeben. Dennoch kann man wohl davon ausgehen, dass die Sterberate zumindest bei den zivilen Zwangsarbeitern in Göttingen unterdurchschnittlich war.

Legt man die standesamtlichen Eintragungen zugrunde (die Listen des Grünflächenamtes enthalten weniger Namen), wurden 275 tote Zwangsarbeiter in Göttingen registriert (ohne die in Göttingen geborenen und hier gestorbenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen und ohne die Todgeburten). Davon arbeiteten aber nur 170 in Göttingen direkt, bei den anderen handelte es sich um Zwangsarbeiter aus der näheren und weiteren Umgebung von Göttingen, die hierher nur zur Behandlung (häufig wegen Lungentuberkulose) gebracht wurden. Von diesen 170 waren wiederum 6 französische Kriegsgefangene, so dass sich eine Gesamtzahl von 164 Toten unter den zivilen Zwangsarbeitern ergibt. Bezieht man diese 164 Toten auf die kumulierte Schätzung von 11 200 zivilen Zwangsarbeitern, die sich während der gesamten Kriegszeit in Göttingen aufgehalten haben, so betrug die Sterberate in Göttingen nur um die 1,5 %, während der Durchschnitt für alle im Reich eingesetzten zivilen Zwangsarbeitern bei etwa 6 % lag.

Über 60 % dieser Toten waren "Ostarbeiter", etwa ein Viertel von diesen waren Frauen und (aufgrund des Bombenangriffs am 1. Januar 1945) ein Zehntel Kinder. Nach den "Ostarbeitern" finden sich mit etwa einem 15 % der Gesamtzahl natürlich unter den Polen die meisten Toten, gefolgt von den Italienern (4 % der Gesamtzahl) und den Franzosen (etwa 3,5 % der Gesamtzahl). Aus anderen anderen Nationalitäten gab es jeweils nur einzelne Tote.

Bei den Kriegsgefangenen sind wir ganz auf die Angaben in den Listen des Grünflächenamts angewiesen, in denen ingesamt 48 tote Kriegsgefangene aufgelistet werden: 27, also über 50 Prozent, davon waren sowjetische Kriegsgefangene, von denen allein 16 im November/Dezember 1942, also unmittelbar nach ihrer Ankunft in Göttingen, und drei auch noch nach dem Einmarsch der Amerikaner am 8.4.1945 starben. 15 kriegsgefangene Franzosen starben in Göttingen, 5 Italiener und 1 Belgier. Bezieht man diese Zahlen wiederum auf die kumulierte Schätzung der Anzahl der Kriegsgefangenen in Göttingen, so ergibt sich wieder eine Sterberate von nur etwa einem Prozent. Das wäre, wenn dies zutreffend sein sollte, ein erstaunlich geringer Prozentsatz vor allem bei den sowjetischen Kriegsgefangenen.
Zur Sterblichkeit von sowjetischen Kriegsgefangenen in Göttingen siehe auch die hohe Sterblichkeit im Lager Lohberg und im Lager der Aluminiumwerke.

Tragischerweise kamen in Göttingen die meisten Zwangsarbeiter durch alliierte Bombenangriffe um, allein 39 bei dem Angriff vom 1. Januar 1945 und weitere 17 bei Angriffen im Februar 1945 und während der Belagerung der Stadt durch die Amerikaner Anfang April 1945 (am 7. und 8. APril 1945 starben allein sieben französische und drei sowjetische Kriegsgefangene). .

Leichen von Zwangsarbeitern (in Göttingen vor allem von sowjetischen Kriegsgefangenen) dienten auch als Lernmaterial bei der Ausbildung von Medizinstudenten: Ablieferung von Zwangsarbeiterleichen an die Göttinger Anatomie.

Nicht berücksichtigt in den obigen Zahlen wurden die hohe Säuglingsterblichkeit bei von Zwangsarbeiterinnen geborenen Kinder (Todesursachen bei den Säuglingen) und im Göttinger Außenlager des KZs Buchenwald in Weende. Verwiesen sei auch auf den Tod von zwei italienischen Zwangsarbeitern im "Arbeitserziehungslager" Lahde Tod des französischen Zwangsarbeiters Louis G., der wegen Rundfunkverbrechens verurteilt worden war.

Jelena Kijan schüttet Heimaterde vor den Gedenkstein für die bei dem Bombenangriff am 1. Januar 1945, getöteten Zwangsarbeiter

Die in den Sterbebüchern angegeben Todesursachen unterscheiden sich in Göttingen nicht von den in allgemeinen Statistiken angegebenen auf Unterernährung, körperliche Überlastung und fehlende Hygiene hinweisende Todesursachen wie Tuberkulose und Fleckfieber, Herz- und Kreislaufschwäche, allgemeine Entkräftung (auch Erschöpfung trugen die Ärzte manchmal ein) Lungen- und Rippenfellentzündung (auch einzelne Hirnhautentzündungen), Abszesse und Oedeme aller Art, Magen- und Darmkrankheiten, auch Magengeschwüre. Auch Unfälle mit Bein- und Arm, Rippen-, Schädel- oder Wirbelbruch oder Blutvergiftungen wurden verzeichnet. Bei den Toten des 1. Januar 1945 wurde als Todesursache zumeist nur "feindl. Bombenangriff" angegeben, was darauf hindeutet, dass es sich hierbei um Tote handelte, die direkt beim Angriff getötet und nicht mehr behandelt wurden. Einige wurden aber noch schwerverletzt in die Universitätsklinik gebracht, wo dann "verschüttet, an inneren Verletzungen verblutet", "Schädelbasisfraktur" oder "Hirnlähmung" konstatiert wurde.

 


Quellen:

Sterbebücher 1940-1945, Stadtarchiv Göttingen, Standesamtliche Unterlagen.

Statistische Erfassung der Kriegsgräber, o.D., Liste über durch Feindeinwirkung gestorbene Zivilpersonen vom 20.1.1954, Stadtarchiv Göttingen, Grünflächenamt C 83, Nr. 9, o.P.; Liste der in der Zeit von 1.9.1939 bis 31.5.1945 auf dem Friedhof bestatteten Zivilarbeiter, Liste der auf dem Stadtfriedhof Göttingen beigesetzten und im Standesamt Göttingen registrierten Gefallenen des 2. WK, ebd. Grünflächenamt C 83 Nr. 156, Bl. 87-90, Bl. 128 ff.

Literatur:

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart München 2001, S. 223 und S. 229

Cordula Tollmien, Nationalsozialismus in Göttingen (1933-1945), Dissertation Göttingen 1999, S. 215

 


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