Erinnerungen ehemaligen "Ostarbeiter" an die Zwangsarbeit in der Papierfabrik Rube & Co, Weende |
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Martyn Lawrentjewitsch O., geboren am 5. September 1926, wurde im Mai 1942 aus Weißrussland nach Deutschland deportiert und leistete zunächst Zwangsarbeit bei einem Bauern in Wöllmarshausen. Bei Rube arbeitete er insgesamt drei Jahre. Er stand an einer Werkzeugmaschine, die Papier aufwickelte und musste die schweren Papierrollen (bis 40 kg) abnehmen. Die Firma habe Einwickelpapier für Butter, Margarine und Käse produziert. Entlohnt habe man ihn mit 3,- RM im Monat. Untergebracht sei er im Lager Schützenplatz gewesen. Zu essen habe es nur einmal am Tag eine Zuckerrübensuppe, 200 gr Brot und 20 gr. Margarine gegeben. Er habe die ganze Zeit gehungert. Ein Arbeitskollege habe ihn ein paar mal mit nach Hause genommen, dort habe er für ihn gearbeitet und dafür etwas zu Essen bekommen. Sein Freund Nikolaj Petrowitsch Sawtschantschik, geb. 2.12.1926, der sich - nachdem wir Kontakt mit Martyn Lawrentjewitsch aufgenommen hatten - von selbst bei uns meldete, schrieb einen sehr ausführlichen Bericht über seine Zwangsarbeit bei Rube, den so anschaulich ist, dass er hier ungekürzt veröffentlicht werden soll. Er wollte, dass seine Erinnerungen in der Göttinger Lokalzeitung veröffentlicht werden, was in einem kurzen Artikel des Göttinger Tageblatts, der am 24. Febraur 2001 erschien, auch geschah. Er wollte ausdrücklich, dass sein Name genannt wird. Auch Sawtschantschik arbeitete erst beim Bauern in einem Dorf im Landkreis Göttingen und kam dann zu Rube. Er schrieb, dass er nach der Arbeit auf dem Dorf nur etwa einen Monat im Lager Schützenplatz gewesen sei und dann in ein von Rube auf dem Betriebsgelände eingerichtetes Lager gekommen sei, das - nach seiner Beschreibung - für ein "Ostarbeiterlager" in einem sehr guten Zustand gewesen sein muss. Wenn Sawtschantschiks Angaben stimmen und er wirklich drei Jahre bei Rube gearbeitet hat, dann kann er nur wenige Monate oder sogar nur Wochen in der Landwirtschaft gearbeitet haben und das Lager bei Rube muss dann im Spätsommer oder Herbst 1942 eingerichtet worden sein. Nach Sawtschantschiks Erinnerungen arbeiteten mit ihm insgesamt nur 13 "Ostarbeiter" bei Rube, zwei von ihnen waren noch Kinder im Alter von 14 Jahren. Sawtschantschik selbst war ebenso wie sein Freund Martyn erst 16 Jahre alt. Nikolaj Petrowitsch Sawtschantschik schrieb im Februar 2001: "Sehr geehrte Frau Forscherin,
Ich, Sawtschantschik Nikolaj Petrowitsch, geb. am 02.12.1926 wurde am 26.04.1942 zusammen mit anderen Dorfbewohnern (insgesamt ca. 70 Menschen) gewaltsam nach Deutschland verschleppt, über die Stadt Pinsk (dort gab es eine Sammelstelle). Wir wurden von drei deutschen Soldaten mit Gewehren begleitet. Ein paar Tage später, nach einer medizinische Untersuchung, wurden wir mit einem Güterzug nach Deutschland transportiert. In diesem Güterzug war es so eng, dass wir mit großen Schwierigkeiten auf dem Boden einen Platz gefunden haben. So haben wir auch geschlafen - im Sitzen, um uns hinzulegen hatten wir gar kein Platz. Unterwegs, im Bromberg (Polen), hatten wir eine Mahlzeit gekriegt: einen Pappteller mit Suppe. In Deutschland wurden wir für ein paar Tage in einem Lager für Kriegsgefangene untergebracht. Erst dort habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie schlecht sie behandelt wurden. Damals waren es insgesamt ca. 2000 Kriegsgefangene, sie waren erschöpft und vor Hunger angeschwollen, aber am Anfang des Krieges sollen 200 000 Menschen in diesem Lager gewesen sein.
Vier Tage später wurden wir alle mit dem Güterzug weiter transportiert, über Hannover nach Ellershausen - ein Dorf im Landkreis Göttingen. Wir wurden in einem Haus untergebracht, das Haus war mit Stacheldraht umzäunt, dort bekamen wir ein Abendessen. Am nächsten Tag (10. Mai) wurden wir Bauern aus verschiedenen Dörfern als Hilfskräfte angeboten. Ein Bauer Luich [Louis] Mohnker aus Weissenborn (ein Dorf in der Nähe von Göttingen) [Göttinger Adressbuch von 1939: Louis Mohnkern, Weißenborn Nr. 36) hat mich ausgewählt. Er hatte schon zwei Hilfskräfte aus Polen (einen Mann und eine Frau), seit drei Jahren hatten beide bei ihm gearbeitet und sie konnten schon gut deutsch. Ich habe bei Herrn Mohnker[n] bis August gearbeitet. Meine Arbeit erledigte ich so gut wie ich nur konnte, ich musste nicht hungern, aber ich war in einem, für einen Russen, erniedrigenden Zustand, das habe ich immer gespürt. Ich erinnere mich an zwei Episoden ,wo ich unschuldig war, aber man mich trotzdem beschuldigte. Das erste Mal hat mir ein Pole beigestanden und das zweite Mal hat der Bauer selbst daran geglaubt, dass ich unschuldig war und hat mich nicht bestraft, obwohl er mit einem Stock zu mir gekommen war (er wollte mich wahrscheinlich,schlagen).
Eines Tages sagte der Bauer zu mir, dass ich in einer Fabrik eingesetzt werde, dort werde es nicht so wie bei ihm sein, man kriege dort nicht genug zu Essen...
Unterbringung in der Fabrik: zuerst waren wir im Lager Schützenplatz untergebracht (das Lager befand sich in Göttingen und war in der Nähe vom Güterbahnhof) das Lager war bewacht. Zur und von der Arbeit wurden wir von Fabrikangestellten begleitet. Im Lager lebten wir unter sehr schlechten sanitären Verhältnissen: schliefen auf dem nackten Holz ohne Matratzen, nur eine sehr schmutzige Decke habe ich gekriegt und nach ein paar Tagen hatte ich Läuse, das war schrecklich. Ich hatte immer Hunger und dann dieses schreckliche Kratzen am ganzen Körper und ich konnte nichts dagegen machen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht: Es durfte keiner merken, dass ich Läuse habe, sonst würden mir alle aus dem Weg gehen, das war mir so peinlich, aber es ist alles gut gelaufen - keiner hat was gemerkt. Wir waren etwa einen Monat dort. |
Nikolaj Petrowitsch Sawtschantschik vor der Papierfabrik Rube im Mai 1943. Er trägt das "Ostarbeiterabzeichen".
Göttinger Tageblatt vom 24. Februar 2001 mit einem Artikel über Sawtschantschiks Erfahrungen als Zwangsarbeiter |
In der Fabrik waren wir insgesamt 13 junge Männer: 5 Männer aus einem Dorf (mit mir zusammen), 2 Männer aus der Nachbarschaft und zwei Jungen (Geburtsjahr 1928) aus einem Kinderheim in der Ukraine, die anderen waren Russen aus verschiedenen Dörfern. 4 Männer, die älter waren, hat man für Ladenarbeit genommen. Die Ladung hat ein Kraftfahrer mit einem Traktor mit Anhänger transportiert, und wenn es notwendig war, hatte er Kartoffeln für die Ladearbeiter gebracht, also waren diese vier Ladearbeiter mit Essen versorgt. Kartoffeln haben sie im Ofen gekocht und konnten sich damit satt machen, sie haben das Essen nicht mit den anderen anderen verteilt. Wir waren zu dritt (aus einem Dorf), der vierte war ein Ukrainer aus einem Kinderheim, wir arbeiteten in der Druckerei, wir haben Papierpackungen für Lebensmittel (Butter, Margarine, Käse) hergestellt. Ich arbeitete an einer Werkmaschine. Die Arbeit war nicht schwer: Ich saß auf einem Stuhl und sollte mit zwei Fingern das Papier an einem Stützbrett festhalten; das Papier wurde von beiden Seiten von der Maschine mit zwei sich bewegenden Spaten ausgerichtet. In 1,5 Stunden hatte ich Papierstapel in Höhe von 80 cm, dann wurde die Maschine gestoppt und wir mussten zu zweit diesen Papierstapel auf einen Extra-Tisch hinüberschleppen und dann wurde das Papier mit einem kleinen Wagen in die Verpackungsabteilung transportiert. Manchmal habe ich Papierrollen aus dem Lager oder aus anderen Abteilungen geholt, wo aus dem Papier Pergament hergestellt wurde. Die Rollen wogen bis zu 300 kg (es hing von der Papierbreite ab), ich habe meinem Meister geholfen diese Papierrollen auf einen Wagen zu laden. Ich wurde oft in die Verpackungsabteilung geschickt, dort habe ich Papierrollen verpackt. Hier, in dieser Verpackungsabteilung arbeitete Hermann Hartmann [ Göttinger Adressbuch 1939: Hermann Hartmann, Buchdrucker Bahnhofstr. 343], er war ein Militärsanitäter, und hat sehr oft Militäruniform getragen. Herr Hartmann hat immer bis zu drei Papierrollen zusammengeklebt und ich musste den Papierstapel mit einer Bleiplatte (die sehr schwer war) andrücken. Diese Arbeit war sehr schwer für mich, da eine Papierrollenpackung ein Gewicht von 80 kg hatte. Vor dem Feierabend kehrte ich zu meinem Werkbank zurück, meine Aufgabe war: die Maschine gründlich sauber zu machen (von den Ölspuren), Aussschusspapier in den Heizungsraum zu bringen, dort wurde das ausgesonderte Papier von einem Arbeiter gezählt. Die Maschinen arbeiteten auch am Abend (Spätschicht), wir arbeiteten nur am Tag.
Wie wurden wir von deutschen Arbeitern behandelt? - Immer unterschiedlich: einigen waren wir egal und von den anderen wurden wir verachtet. Auf dem Firmengelände, in der Nähe der Durchgangspforte, wohnte ein Meister aus der Verpackungsabteilung, er war ca. 50 Jahre alt (an den Namen kann ich mich nicht erinnern). Eines Tages, als er mich sah, hat er mich gepackt und kräftig geschüttelt, in seiner Hand hatte er eine Pistole von einem russischen Offizier (die Pistole hatte ihm sein Sohn von der Front gebracht). Er hat mit dieser Pistole gedroht und mich beschuldigt, dass die Russen mit solchen Pistolen deutsche Soldaten töten. Er wusste natürlich nicht, dass ich als 16-jähriger kein Kommunist sein konnte (so hat er mich genannt) und außerdem: Krieg - ist kein Puppenspiel. Solche Menschen gab es überall, sie waren auch in unserer Druckereiabteilung, sie haben nicht nur uns - russischen Unfreiwilligen beobachtet, sondern auch auf die deutsche Arbeiter Acht gegeben, von diesen Menschen hat man sich immer gehütet.
Ernährung: In Göttingen, in der Nähe des Aluminiumwerks befand sich eine Küche für Zwangsarbeiter, von dort aus hat ein Fahrer für uns das Mittagessen mit einem kleinen Auto gebracht. Das Abendessen haben wir uns selbst (nach der Reihenfolge) mit einem kleinen Karren geholt.
Warum hat keiner von uns gebettelt? Die Leute mochten keine Bettler, ich denke, wenn wir auch gebettelt hätten, hätten wir trotzdem nichts gekriegt, das hätte für uns auch schlimm ausgesehen, man konnte uns sofort verhaften, außerdem mussten wir immer ein „Ost"-Zeichen auf unseren Kleidern tragen, darauf haben immer die Stadtpolizisten geachtet. Sonntags mussten wir nicht arbeiten. Alle Zwangsarbeiter lebten sehr unterschiedlich: einigen ging es besser, den anderen schlechter. Ich hatte Glück. Ich habe gute Menschen getroffen, sie haben mir geholfen, diese schlimme Zeit zu überleben, sie haben uns vorm Verhungern gerettet, obwohl sie selbst nicht im Wohlstand lebten, besonders in den letzten Kriegsjahren: Lebensmittel konnte man nur mit Essensmarken kaufen.
In den letzten Kriegstagen wurden nahe gelegene Städte mehrmals bombardiert, besonders gut konnte man das in der Nacht (nachts) sehen, am Tage wurde die Arbeit in unserer Fabrik bei einem Alarm gestoppt und alle versteckten sich im Bunker (der Bunker befand sich auf dem Fabrikgelände, im Garten). Die Stadt Göttingen wurde auch bombardiert, die Eisenbahn wurde sehr beschädigt und im Lager Schützenplatz wurde eine Baracke getroffen, mehr als 70 Menschen sind dabei umgekommen. Eine Bombe explodierte auf einem unbebauten Platz in Weende, in nahe gelegenen Häusern waren alle Fenster kaputt (hinausgeflogen), zum Glück gab es keine Verletzten. Hiermit möchte ich mein Brief beenden, ich hoffe, dass Sie, sehr geehrte Frau Forscherin, diesen Brief bekommen und wenn Sie mein Brief interessant finden, wird es mich sehr freuen!
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