"Arbeitserziehungslager"

Die im März 1940 von der Gestapo eingerichteten sog. Arbeitserziehungslager dienten dazu unter Umgehung einer ordentlichen Anklage und eines Gerichtsverfahrens durch einen reinen Verwaltungsakt jeden in irgendeiner Weise auffällig gewordenen Arbeiter (Deutsche wie ausländische Zwangsarbeiter, Männer wie Frauen, „Ost- “ wie „Westarbeiter“) durch eine in der Regel bis zu drei Monate dauernde Lagerhaft disziplinieren zu können. Diese zeitlich begrenzte Haft lag insbesondere im Interesse der Betriebsleiter, die bei einer Einweisung in ein KZ ihre wertvollen Arbeitskräfte an die SS verloren hätten, während nach einer Haft in einem „Arbeitserziehungslager“ die Arbeiter in vielen Fällen an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehrten oder zumindest an einen anderen Arbeitsplatz wieder zum Einsatz kamen. Die „Arbeitserziehungslager“ dienten nicht nur der Disziplinierung von „Arbeitsvertragsbrüchigen“, „Arbeitsunlustiger“, „Bummelanten“, „Aufsässiger“ oder „Opponenten“ gleich welcher Art, sondern vor allem der Abschreckung der übrigen Belegschaft. Das war auch einer der Gründe, warum die meisten Arbeitserziehungslagerhäftlinge nach ihrer Haft wieder an den alten Arbeitsplatz zurückkehrten. Die Einweisung erfolgte in der Regel auf bloße Denunziation aus den Unternehmen heraus und lag völlig in der Hand der lokalen Gestapostellen, die die Betriebe teilweise sogar direkt aufforderte, speziell ausländische Arbeiter direkt auch telefonisch zu melden. Anfang 1944 monierte Himmler, dass die Ausländer die deutschen Gefängnisse blockierten, was auch eine hygienische Gefahr darstelle, und wies die Kriminalleitstellen an, Ausländer künftig schneller in die „Arbeitserziehungslager“ zu überweisen. Obwohl immer noch Deutsche in die „Arbeitserziehungslager“ eingewiesen wurden, entwickelten sich diese mit Fortschreiten des Krieges immer mehr zu einem in erster Linie gegen die Zwangsarbeiter eingesetzten Terrorinstrument, das nahezu flächendeckend zur Verfügung stand. So gab es im Frühjahr 1941 in den damals bestehenden acht „Arbeitserziehungslagern“ im Deutschen Reich etwa 2000 Plätze, wogegen am Ende des Krieges 40 000 Häftlingsplätze in über 200 Lagern zur Verfügung standen. Seriösen Schätzungen gehen davon aus, dass etwa jeder 20. Zwangsarbeiter dem Terror der „Arbeitserziehungslager“ ausgesetzt war.
In den Lagern selbst war die Behandlung auf das Brechen jeglichen Widerstands ausgelegt, dazu gehörten insbesondere zahlreiche lange Appelle, häufig sinnlose Arbeit über die Erschöpfungsgrenze hinaus und schwere Prügelstrafen bei den kleinsten Vergehen. Die ursprünglich festgelegte Haftdauer wurde zudem häufig willkürlich verlängert, und trotz des Interesses der Betriebe an der Rückführung ihrer Arbeitskräfte führte für viele Zwangsarbeiter der Weg aus einem „Arbeitserziehungslager“ doch noch in ein KZ. Darüber hinaus dienten die Lager oft auch als Hinrichtungsstätten, besonders für Polen und „Ostarbeiter“ - auch die Göttinger Anatomie erhielt Leichen aus "Arbeitserziehungslagern".

Schon im Dezember 1940 drängte die Gestapo Göttingen auf die Einweisung von Polen in hier noch als "Sonderlager" bezeichnete "Arbeitserziehungslager", wenn sich auch nur der kleinste Anlass dafür bot (aus: Stadtarchiv Göttingen, Pol.Dir. Fach 124, Nr. 2, Bl. 418).

Göttinger Zwangsarbeiter waren inhaftiert

- im bei den Hermann Göring Werken im Salzgitter gelegenen "Arbeitserziehungslager Watenstedt", auch Lager 21 oder Lager Hallendorf genannt,

- im "Arbeitserziehungslager Liebenau" bei Nienburg an der Weser,

- im Nachfolgelager von Liebenau, dem "Arbeitserziehungslager Lahde" bei Minden an der Weser und

- im "Arbeitserziehungslager Breitenau" bei Cuxhagen/Kassel.

In einem Arbeitserziehungslager war auch der aus einem ukrainischen Waisenhaus deportierte erst 14jährige Zwangsarbeiter, der bei Rube beschäftigt war und bei der Arbeit vor Erschöpfung und Hunger eingeschlafen war. Und Iwan Semjonowitsch Oserjanskij, der bei Ruhstrat arbeitete, berichtete von seinem Freund, der nach einem Monat "Arbeitserziehungslager" wegen der dort erlittenen Misshandlungen von seinen Freunden nicht mehr wiedererkannt werden konnte.

Siehe auch die Erinnerungen des Polen Stefan M., der nach seiner Flucht von seiner Arbeitsstelle bei einem Geismaraner Bauern, zwischenzeitlich auch im Arbeitserziehungslager Wuhlheide inhaftiert war. Im Arbeitserziehungslager Wuhlheide (Berlin Triftweg) waren etwa 25.000 Menschen inhaftiert, in erster Linie ausländische Zwangsarbeiter. An die Opfer und etwa 3000 Toten dieses Lagers erinnern heute ein Gedenkstein und Gedenkstelen.

 


Literatur und Quellen:

Gabriele Lotfi, KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, Stuttgart München 2000.

Lutz Niethammer, Von der Zwangsarbeit im Dritten Reich zur Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", in: "Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht". Abschussbericht zu den Auszahlungsprogrammen der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (hg. von Michael Jansen und Günter Saathoff), Göttingen 2007, S. 13-84, hier S. 28 f.

Günther Siedbürger, Zwangsarbeit im Landkreis Göttingen 19139-1945, hg. vom Landkreis Göttingen, Duderstadt 2005, S. 471 f. (Himmler an Kriminalpolizeitstellen 21.2.1944, wiedergegeben ebenda).

Andrea Tech, Arbeitserziehungslager in Nordwestdeutschland 1940-1945, Göttingen 2003.

 


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