NS-Zwangsarbeiter: Fotos als historische Quelle

Fotos werden in der historischen Forschung nach wie vor zumeist lediglich als illustrierendes Beiwerk verwendet. Wenn sie überhaupt als eigenständige Quelle wahrgenommen werden, dann lediglich realkundlich, um auf den Fotos abgebildete Gebäude, Gegenstände oder Personen identifizieren und beschrieben zu können. Zu diesem Zweck wurden auch den anderen Artikeln dieser Homepage Bilder und Fotos beigegeben. Hier soll jedoch ein anderer Zugang gewählt werden: Die in den Akten vorgefundenen und die uns von den ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus ihrem privaten Besitz zugesandten Fotos werden hier nach Bildtypen, nach ihrem Entstehungs- und Verwendungskontext vorgestellt und analysiert. Dabei geht es - als Ergänzung zu dem realkundlichen Gehalt des Fotos - also um die Dimension der Bedeutung, die dieses Foto für seinen Urheber (den Fotografen bzw. seinen Auftraggeber) und seinen Besitzer hatte und hat.

Nach dem Entstehungskontext lassen sich zunächst formal Fotos von Profis und von Amateuren unterscheiden. Bei den Fotos der Profifotografen ist nach dem Auftraggeber und dem Verwendungszweck zu fragen, und bei den Amateurfotografien, ob sie von Deutschen oder von den ZwangsarbeiterInnen selbst gemacht wurden. Dementsprechend kann zwischen "Täterfotos", "Zuschauerfotos" und "Opferfotos" unterschieden werden.
Den größten Teil der Profifotografien machen Erfassungs-(Pass-)fotos und Propagandafotos aus ("Täterfotos" im weiteren Sinne). Das sind zugleich die Fotos, die den Hauptbestandteil des in den öffentlichen Archiven vorhandenen Fotomaterials bilden und die damit jahrzentelang die einzigen zur Verfügung stehenden Fotoquellen zur NS-Zwangsarbeit waren. Sie wurden und werden immer wieder publiziert, häufig ohne, dass auf ihren repressiven oder manipulativen Entstehungskontext Bezug genommen wird.
Es ist allerdings nicht vertretbar bei Fotos deutscher Profifotografen pauschal von "Täterfotos" zu sprechen, wie sich an dem für Göttingen zur Verfügung stehenden Fotos des Fotografen Adalbert Blankhorn ablesen läßt. Weiter trägt hier die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Bilderwelt. Dabei kann die öffentliche Bilderwelt durchaus auch den privaten Raum durchdringen, wenn Profifotos, Postkarten oder Passbilder als "schöne" Erinnerung aufbewahrt werden. Zur privaten Bilderwelt gehören also nicht nur selbstfotografierte Aufnahmen.

Aus der öffentlichen Bilderwelt gibt es für Göttingen:

  • Erfassungsfotos (Passfotos) verschiedener Art und
  • Propagandafotos

    Aus der privaten Bilderwelt haben sich erhalten:

  • Zuschauerfotos
    Der Übergang zwischen Zuschauerfotos und Täterfotos ist fließend, wenn man etwa an den fotografierenden Offizier in einem Kriegsgefangenenlager denkt oder an einen Betriebsleiter, der seine ZwangsarbeiterInnen ablichtete. Da individuelle Schuld und Verstrickung hier nicht festgestellt werden können und sollen, spreche ich dennoch auch in diesen Fällen neutral von "Zuschauerfotos", ohne damit die durch Teilhabe an dem verbrecherischen NS-System gegebene objektive Täterschaft in Frage zu stellen.
  • Opferfotos, d.h. von den Zwangsarbeitern selbst fotografierte oder selbst in Auftrag gegebene Fotos.


     

    2001 hat Cord Pagenstecher eine sehr erhellende Typologie fotografischer Quellen zur Zwangsarbeit veröffentlicht. Obwohl ich meine eigenen Überlegungen ursprünglich ohne Kenntnis dieser Typologie von Pagenstecher angestellt hatte, habe ich seine Terminologie nachträglich weitgehend übernommen, da die von mir entwickelte Ordnung bis in einzelne Begriffe hinein der Typologie Pagenstechers fast vollständig entsprach. Pagenstecher hat seine Typologie auf der Grundlage der Fotosammlung der Berliner Geschichtswerkstatt entwickelt. Der Göttinger Bestand und die Berliner Sammlung enthalten also keine grundsätzlich verschiedenen Typen von Fotos, was den Schluss nahelegt, dass die hier zugrundegelegte Typologie tatsächlich alle fotografischen Quellen zur Zwangsarbeit erfasst.
     

  • Foto für Arbeitskarte oder ähnliches

    Foto eines deutschen Soldaten

    Ukrainische Ärztin der Krankenbaracke mit deutscher Lagerleiterin, Foto Goik


    Quellen:

    Fotos aus dem Privatbesitz ehemaliger Zwangsarbeiter, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien (Foto-CD).

    Literatur:

    Cord Pagenstecher, Erfassung, Propaganda und Erinnerung. Eine Typologie fotografischer Quellen zur Zwangsarbeit, in: Reininghaus Wilfried und Reimann, Norbert (Hg.), Zwangsarbeit in Deutschland 1939-1945. Archiv- und Sammlungsgut, Topographie und Erschließungsstrategien, Bielefeld 2001, S. 254-266, Illustrationen.

    Vgl. auch Ders. Privatfotos ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - eine Quellensammlung und ihre Forschungsrelevanz, in: Meyer, Winfried / Neitmann, Klaus (Hrsg.), Zwangsarbeit während der NS-Zeit in Berlin und Brandenburg. Formen, Funktion und Rezeption, Potsdam 2001, S. 223 - 246.


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