Jelena Wassiljewna Kijan, geb. 1.8.1926 im Dorf Kijany (Ostukraine), im August 1942 als 16jährige nach Deutschland deportiert, sie arbeitete bei Sartorius. Im April 1943 wurde sie verhaftet und ins "Arbeitserziehungslager Watenstedt" eingeliefert; anschließend arbeitete sie wieder als Zwangsarbeiterin bei Sartorius. |
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Jelena Wassiljewna Kijan, geb. 1.8.1926, kam im August 1942 im Alter von 16 Jahren als Zwangsarbeiterin nach Göttingen zur Firma Sartorius und schrieb darüber in zwei Briefen im Januar 2001:
"Ich, Kijan Jelena Wasiljewna […] bin am 1.08.1926 im Dorf Kijany geboren."
In Göttingen arbeitete ich die ganze Zeit bei "Sartorius", mit einer Pause, in der ich im Gefängnis war. Ich wurde bestraft wegen eines Briefes, den ich meinem Bruder geschrieben hatte. Er war früher als ich nach Deutschland verschleppt worden und arbeitete in der Stadt Ilmenau. Wir arbeiteten 12 Stunden pro Tag, auch nachts. Freie Tage hatten wir, Urlaub nicht. Wir arbeiteten auch mit deutschen Arbeitern zusammen. Sie haben uns nichts getan. Chef der Abteilung war Bume, der Meister war August Schmidt, ein Arbeiter Kurt Bachman u. a. Außerdem erinnere ich mich, dass an der Stanze der blinde Ude arbeitete. Er kam zur Arbeit mit dem Hund. Manchmal schrie Bume und schlug uns. Und nannte uns "russische Schweine" [auf Deutsch in lateinischen Buchstaben - C.T.]. Wir bekamen 3 -6 Mark pro Woche, die hat Lisa verteilt. Dafür konnten wir im Werk Bier und Limonade und in der Stadt Göttingen in der Bischuterie Eiskrem kaufen. […] Außer uns, arbeiteten in dem Werk Franzosen, zivile und Kriegsgefangene." "Wir wohnten in dem "Gemeinschaftslager Schützenplatz". Das war ein 4- eckiges Lager, das durch einen Zaun in zwei Hälften geteilt war: eine für Männer und eine für Frauen. In den Holzbaracken gab es viele Wanzen. Während der ganzen Zeit wurde nur einmal eine Desinfektion durchgeführt. In dem Lager wohnten etwa 1000 Leute, in einen Stube 22 Menschen. Es gab eine Waschbaracke, wo wir uns und unsere Wäsche waschen durften. Dort war auch eine Toilette. Die meisten der jungen Menschen Leuten waren zwischen 1920 und 1926 geboren worden [...]. Kinder sah ich nicht. Aber man erzählte sich, dass sie auch dort wohnten, zusammen mit ihren Eltern. An Schwangere erinnere ich mich nicht. Das Lager wurde nicht bewacht, es gab nur eine Wachhäuschen am Eingang, an die Namen [der Wächter] erinnere ich mich nicht.
Wenn jemand bestraft wurde, wurde er geschlagen und kam in die Arrestzelle. Rings um das Lager war ein Zaun, oben war Stacheldraht in 2 Reihen. Alle Leuten stammten aus der UdSSR, alle lebten friedlich miteinander. Und auch mit den Arbeitern anderer Nationalitäten, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, gab es keinen Streit. An illegalen Handel im Lager erinnere ich mich nicht. Oft wurden wir von den Flugzeugen bombardiert, wir liefen dann in den Wald und in die Wiesen. Neben dem Lager war ein Bunker, im Werk versteckten wir uns im Keller zusammen mit den Leuten anderer Nationalität und den Deutschen. Zur Arbeit gingen wir ohne Bewachung,"Sartorius" hat uns in Ruhe gelassen. Wir gingen auch zu Freunden in andere Lager und zum Kriegsgefangenenlager, das in Weende [in lateinischen Buchstaben - C.T.] war. Dort trafen wir unsere Landsleute: Iwan Sch. und Aleksej Isaenko, der später von einem Wachmann erschossen wurde [Isaenko ist in den Göttinger Friedhofslisten aufgeführt: Aleksej Isaenko, geb. 23.3.1920, gest. 12.4.1944, die Todesursache ist nicht angegeben – C.T.]"
Jelena Kijan schrieb dann über das sog. Arbeitserziehungslager Watenstedt in Salzgitter, auch Lager 21 genannt, in das sie im August 1943 wegen eines Briefes an ihren Bruder gekommen war. Ihr Bruder Michael leistete Zwangsarbeit in Ilmenau in Thüringen: "Ins Gefängnis kam ich ich am 30.04.1943 [Fälschlich steht dort 30.8.1943, am Ende der Briefe findet sich jedoch das richtige Datum. Jelena Kijan wurde in das Göttinger Gerichtsgefängnis eingeliefert und am 5.5.1943 nach Watenstedt weitertransportiert.- C.T.]. Ich wurde bestraft wegen eines Briefes an meinen Bruder in Ilmenau. Er war früher als ich nach Deutschland verschleppt worden und arbeitete in der Stadt Ilmenau Der Brief wurde von einem Polen übersetzt und er hat übersetzt, was gar nicht in dem Brief stand. Ich versuchte zu erklären, er sei falsch übersetzt.aber sie schrien auf mich ein.
Zur Versorgung mit Essen und Kleidung in Göttingen schrieb Jelena Kijan:
"Wir bekamen dreimal am Tag zu Essen. Morgens gaben sie uns 300 gr. Brot, 19 gr. Margarine und 1 Löffel Zucker. Zum Mittagsessen gaben sie uns Suppe, die sehr schlecht schmeckte. Sie wurde in der Stadtküche gekocht und wir brachten sie selbst zum Lager. Wir bereiteten auch selbst Essen. Immer hatten wir Hunger. Essen kaufen konnten wir nicht, zum Tauschen hatten wir nichts. Wir haben Obst und Gemüse gestohlen, Früchte aus dem, Garten, Kohl aus der Küche, Rüben. Ich sprach etwas Deutsch, wir gingen mit meiner Freundin in die Dörfer und bettelten. "Verkaufen sie bitte Kartoffeln" [auf Deutsch in lateinischen Buchstaben - C.T.]. Einige gaben, einige verkauften und andere vertrieben uns mit Hunden.
Zum Schluss: "Es ist sehr schwer an das Überleben sich zu erinnern. Die Auge sehen schlecht, die Hände wollen nicht schreiben und der Kopf will nicht denken. Wir haben niemals gut gelebt. Und der Lebensabend verläuft in Armut. In Haus und Garten machen wir alles mit den Händen und die 0,5 ha muss man bearbeiten. Im Garten gibt es viele Bäume und meistens sind das Obst und die Beeren verdorben. Verkaufen können wir nirgends, selbst verarbeiten ist unmöglich. Und wohin kann man das alles bringen?
Dieser Wunsch ließ sich glücklicherweise im Mai 2003 durch das Engagement der Göttinger Direkthilfe erfüllen. Michael Kijan, Jelenas älterer Bruder, geb. am 3. Januar 1924, überlebte die Zwangsarbeit in Deutschland nicht. Am 12. Dezember 1944 starb er an einer Lungenentzündung Ilmenau. Man erlaubte Jelena Kijan an der Beerdigung teilzunehmen. Auf dem Ilmenauer Friedhof gibt es einen Grabstein mit seinem Namen. Jelena Kijan konnte bei ihrem Besuch in Göttingen im Mai 2003 noch einmal das Grab ihres Bruders in Ilmenau besuchen, was ihr ein Herzenswunsch gewesen war. Sie brachte ihm Erde aus ihrem Heimatdorf. Siehe dazu auch
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Jelena Kijan (mit Mütze) als Kind mit ihren Eltern und ihrem Bruder Michael und einem unbekannten Mann (ev. einem Bruder der Mutter). Das Foto wurde 1927 oder 1928 aufgenommen. Jelena Kijan, um 1950. Jelena Kijan als Lehrerin 1953 mit ihrer Schulklasse. Jelena Kijans Bruder Michael. Das Foto wurde im Deutschland gemacht, denn Michael trägt das Ostarbeiterabzeichen, das von Jelana später ausgekratzt wurde, um den Repressalien zu entgehen, die ehemalige Zwangsarbeiter unter Stalin ausgesetzt waren. Jelena Kijan am Grab ihres Bruders Michael im Mai 2003 auf dem Ilmenauer Friedhof (Foto C. Tollmien). Jelena Kijan vor einer Tafel mit Propagandafotos der DAF zur Zwangarbeit im Göttinger Städtischen Museum im Mai 2003 (Foto C. Tollmien). |
Jelena Kijan, Briefe ohne Datum (Eingang 11.1. und 29.1.2001), Fotos, Stadtarchiv Göttingen, Sa. 32- Sammlung Tollmien, Korrespondenz und Foto-CD.
Gräberlisten o.D., Stadtarchiv Göttingen, Grünflächenamt C 83 Nr. 9, o.P.
Gefangenenbuch des Landgerichtsgefängnisses Göttingen für das Rechnungsjahr 1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hann 86a acc. 75/85 Nr. 1 (exzerpierte Namensliste überlassen von Günther Siedbürger).