NS-Zwangsarbeit: Jan Gerrit Klompenhouer, geb. 27.3.1920, Zwangsarbeit im Flakzeugamt Mai 1943 bis Mai 1944, Verhaftung 8.2.1944, "Arbeitserziehungslager" Watenstedt 8. Februar bis 14. April 1944, ab Mai 1944 Breslau, ab Februar 1945 Leipzig, Erinnerungen aufgeschrieben im Juli und August 2002 |
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Einwohnermeldekarte von Jan Klomenhouwer, mit dem Eintrag dass er als "Stud. ing" am 19.5.1943 ins Flakzeugamt und ins Lager Egelsberg kam, aber ohne einen Hinweis auf seine Haft in Watenstedt und seine "Versetzung" nach Breslau.
Jan Klompenhouwer, geb. 27.3.1920, studierte Ingenierwissenschaften an der TU Delft, als Anfang Mai 1943 die Weisung von den deutschen Besatzungsbehörden erging, dass sich alle Studenten, die sich geweigert hatten, die geforderte Loyalitätserklärung für Deutschland zu unterschreiben, zum Arbeitseinsatz in Deutschland zu melden hatten. Jan Klompenhouwer war zu diesem Zeitpunkt schon untergetaucht, da es Anfang Februar 1943 einen Überfall des Sicherheitsdienstes auf die TU und eine anschließende Razzia gegeben hatte. Am 2. Mai 1943 wurde er in Rotterdam verhaftet, nachdem man auch auf seinen Vater massiven Druck ausgeübt hatte, um ihn zu zwingen, sich zum Arbeitseinsatz in Deutschland zu melden. Gemeinsam mit hunderten von holländischen Studenten, darunter auch sein späterer Göttinger Mitzwangsarbeiter Cees Louwerse, wurde er zunächst in das KZlager Ommen, dann nach Salztgitter Watenstedt und schließlich nach Göttingen geschickt.
Er beschrieb die Stationen dieser Deportation:
"Das KZ-lager Ommen war voll Studenten, die um die Bedrohung ihrer Väter abzuwenden, sich gemeldet hatten. Die Wachen waren holländische Nazis, von uns als Verräter betrachtet, viele vorbestrafte ehemalige Verbrecher waren dabei.
Die Wachen wagten es nicht uns zu quälen. Deutsche Offiziere hatten es verboten.
Deutsche Offiziere zeigten ein gewisses Verständnis: Erinnerungen an die französische Besatzung des Rheinlands und die damaligen Gefühle der deutschen Studenten im Rheinland.
Etwa 10-05-43 um Mitternacht angekommen in Salzgitter, Watenstedt,
Fallersleben, Hermann Gõring Werke. Endlose Barackenlager, hell leuchtende Hochöfen.
Mit dem Zug von Watenstedt nach Göttingen geschickt von Behörden der KDF-Stadt [Wolfsburg trug von 1938 bis 1945 den Namen: Stadt des Kdf-Wagens bei Fallersleben - C.T.]:
41 Mann. Am 13. oder 14. Mai 1943."
Klompenhouwer zählte in einer Übersicht seine verschiedenen Einsatzstationen auf:
"Ab 14-05-43 bis 2-2-44 Göttingen.
Das waren alles Einsatzstellen der Wehrmacht.
Klompenhouwer beschrieb das Lager Egelsberg, das gute Verhältnis zu den Franzosen und seinen "Arbeitsplatz" im Flakzeugamt:
"In den Baracken waren es etwa 12 Personen pro Zimmer, gesamt im Lager Egelsberg 300 bis 400 Personen, etwa 300 Franzosen, meistens aus Paris und Umgebung. Das Verhältnis zwischen Holländern und Franzosen war ziemlich gut, weil wir ihre Sprache verstanden. Auch versuchten wir den Franzosen zu helfen, wenn es Missverständnisse gab zwischen Deutschen und Franzosen. Am Anfang gab es Mistrauen, aber das verschwand. Die Tatsache, dass wir mit den Franzosen reden konnten erweckte, das Mistrauen der Parteifunktionäre. Die Franzosen wurden oft erniedrigt: Die Erinnerung an 1914-1918 und den Versailler Vertrag!
Das Flakzeugamt wurde geführt durch einen Stab von der Wehrmacht. Die größte Verantwortung lag bei einem Oberst (Name des Obersten unbekannt). Er war ein
korrekter Offizier, machte den Eindruck, Verständnis zu haben für Leute, die ihr Land und Köningin nicht verrraten wollten. [...]
Die Baracken vom Lager Egelsberg waren ziemlich sauber, in der Periode, in der ich da war; keine Läuse. Bloß die Toilettenbaracke stank manchmal furchtbar.
Wir putzten die Rohre, wir beluden Waggons, wir mussten 2cm Kanonen justieren unter den Blicken eines Unteroffiziers, der versuchte uns zu erniedrigen.
Das ging auf die Nerven.
Die Anweisungen kamen von Vorarbeitern, Unteroffizieren und schimpfenden Parteifunktionären, für die "Einsperren, Aufhängen oder Erschiessen" eine normale Art der Diskussion war."
Urlaub und Freizeit:
"Urlaub gab es keinen, Feierabend schon! Einen Antrag zu stellen, hatte keinen Sinn. Wer auf Urlaub ging nach Holland, kam nicht wieder. Das wussten sie. Am Anfang gelang es vier Mann zu verschwinden.
Als Zwangsarbeiter stand man unter ständiger Beobachtung: In der Werkstatt "immer lauernde Augen", aber auch bei einem Spaziergang in die Stadt. Es war als hörte man ständig die Frage.: "Was macht dieser Ausländer hier??"
Bezahlung und Versorgung:
"Ja wir bekamen monatlich etwas Geld,a ber mit dem Geld konnten wir nicht viel machen:
Die Wäscherei bezahlen, und ein Stamm essen auf dem Bahnhof, Zahnpasta, wenn es sie überhaupt gab, ein Bier trinken. Kleider kaufen, oder Schuhe kam nicht in Frage. Es gab nur Schuhe mit einer hölzernen Sohle, die bald verschlissen war.
Die Versorung im Göttingen Lager Egelsberg war ziemlich schlecht, in Breslau-Klettendorf war die Versorgung viel besser. Wir bekamen Pakete von unseren Verwandten aus Holland. In Leipzig-Lindenthal bekamen wir von einer Frau Hauskeller oft etwas zusätzlich zu Essen. Das war eine Frau mit einem großen Herzen."
Verhaftung und Inhaftierung - Misshandlungen und Krankheit:
"Ein junger Arbeiter [in Flakzeugamt Göttingen] aufgehetzt in der Hitlerjugend sang ein Lied: "Dies ist unsere Heimat, dies ist unser Land, weg die Judenbanden aus dem Vaterland." Ich bin nicht jüdisch, aber kannte die Geschichte von der Reichskristallnacht. Ich ärgerte mich und machte viel Lärm bei meiner Arbeit. Er schrie: "Sie machen Sabotage und schlug mir ins Gesicht." Ich habe zurück geschlagen. Ich habe es nie bedauert, aber 4 Stunden später wurde ich verhaftet, von Oberleutnant Schmidt.
Auf dem Büro der Gestapo in Göttingen beim Verhör wurde ich einmal misshandelt. Nachher im Lager 21 von Ukrainern und Polen, die im Auftrag der SS handelten, zum Schluss von den SS-Leuten selbst. Man konnte gar nichts machen. Der schlimmste war ein Rumäne namens Kracime oder so ähnlich. Er war furchtbar stolz ein Mann mit einem gerichteten Faustschlag töten zu können. Bei einem meiner Landsleute hat er es auch versucht. Der überlebte es.
Einmal war ich Zeuge einer furchtbaren Misshandlung eines polnischen Arbeiters, der eine Kartoffel gestohlen hatte. Das war in Hallendorf zwischen dem Männer- und dem Frauenlager Mitte Februar 44. Bei dem Kommando Schlacken-Drütte wurde ich an einem Tag 6 oder 7 mal geprügelt.(25 Schläge pro Mal.)
Einmal wurde geschossen auf jemanden, der wegen Durchfall austrat. Es war ein Fluchtversuch sagten sie. Ich habe den Toten nicht gesehen. Zeitpunkt etwa Mitte März 44.
Im Lager 21 hatt ich Lungentzündung und Durchfall, Behandlung CIBAZOL. Der Sanitäter-Arzt im Lager war auch ein Politischer Gefangener, k-gefangene und ausgezeichnet. Er staunte, dass ich es überlebte. Sein polnischer Assistent war ein Verbrecher, der die Kranken terrorisierte."
Klompenhouwer berichtete, dass der Deutsche sehr wohl über die "Arbeitserziehungslager" Bescheid wussten:
"Ein wehrdienstunfähiger Fleischer aus Northeim, der in die Rüstung verpflichtet worden war, Herbert Diehl, warnte mich wegen meines Benehmen, wie schrecklich ein AEL ("Arbeitserziehungslager") sei. Dieser einfache Mann wusste, was dort los war. Hohe deutsche Funktionäre wussten beim Kriegsende nichts. "Wir haben es nicht gewusst!" Ich habe niemals über die Warnung von Diehl gesprochen! Das wäre sein Todesurteil gewesen."
Breslau- Flakzeugamt Klettendorf:
"Das Schlimmste, was ich in Deutschland erlebt habe, fand im Juli 44 statt, nach dem Attentat auf Hitler. In Klettendorf beim Flakzeugamt arbeiteten etwa 300 polnische jüdische Mädchen und Frauen (zwischen 16 und 40 Jahren alt). Nach dem Attentat wurden sie plötzlich an einem Samstagabend um Mitternacht abtransportiert. Wir hatten etwa ein dreiviertel Jahr mit diesen Mädchen zusammengearbeitet. Es war strengstens verboten sich mit diesen unterhalten!! Aber wir fanden ein System, das es möglich machte, zu kommunizieren. Das war notwendig, wenn es "dienstlich" war. Sie glaubten, dass ihr Ende da war. Wenn ich mit ihnen über Kriegsende sprach, sagten Sie: "Aber erst wird kommen unser Ende." Sie wussten, was in Auschwitz los war.
Leipzig und Kriegsende:
"Am 17 April in Leipzig-Lindenthal kam ich bei den Amerikanen in Dienst als Dolmetscher, und habe das Vergnügen gehabt, einige SS-sturmbannführer zu verhaften,
die Baracken mit Zivilgefangenen in Brand gesetzt haben sollten. Ich glaube nicht, dass diese Leute bestraft wurden. Am 30. April kam ich nach Paris, um mich bei den holländischen Behörden zu melden."
Lehren aus dem Krieg?
"Haben wir alle aus diesem Elendsperiode etwas gelernt?
Deutschland hat zu tun mit seiner "Vergangenheitsbewältigung"! Nicht nur Deutschland, wir alle in Europa!!! Das Verständnis von Deutschen Politikern für das Leiden der Zwangsarbeiter, vor allem der, die aus dem Osten kamen, freut mich und ist eine gewisse Befreiung .Jetzt können wieder glauben, dass es eine Zukunft gibt für Europa."
Klompenhouwer schrieb in einem Brief vom 12. August 2002 noch einmal ausführlich über Salzgitter Wattenstedt, die erste Station seiner Deportation, und über das Lager, in dem er inhaftiert war:
"Für mich war die ganze Gegend mit Watenstedt, Fallersleben, Wolfsburg beherrscht von einer Gruppe rücksichtloser grausamer Menschen, die nur ein Ziel anstrebten, selber die Macht über viele Untertanen zu haben. Sie waren meines Erachtens besessen von Größenwahn (meine Quelle ist die SüdDeutsche Zeitung von Samstag 4 und 5 April 1992). Alles in dieser Gegend war Zwangsarbeit und derjenige, der nur den geringsten Widerstand leistete, wurde im Lager 21 aufs neue erzogen, das heisst robotisiert. Ich meine damit, dass die ursprüngliche Persönlichkeit gebrochen und ein von Angst bessenener Automat aus ihm gemacht wurden. Für Deutsche die 1937 in diese Gegend geschickt worden waren, war es auch eine unfreiwillige Deportation. Die Losung war: “Du bist nichts, dein Volk ist alles!” - ”Gehorche oder stirb!" Wem sollten wir denn gehorchen? Adolf und seinen kriminellen Genossen?! Oder dem nachgedunkelten Schrumpf-Germanen Josef Goebbels! Die lokale Bevölkerung, die Bauern wurden einfach verdrängt. Dasselbe geschah mit den lokalen Behörden der Gemeinde Salzgitter. Die KDF-stadt war eine von Nazis beherschte Organisation und wie weit ihr Einfluss und ihre Macht in dieser Gegend reichte, ist mir völlig unbekannt. Hildesheim. Ich war am 14 Mai 43 nur in Salzgitter, (bestimmt nicht mehr als 24 Stunden) - für mich ein bedrohliches Universum von Industrieanlagen und tausenden Baracken mit Sklavenarbeitern. Als ich zum ersten Mal die Stadt Hildesheim mit Namen nennen, hörte sagte ich: Wie schön ist dieser Name, das Heim von einer schönen Frau, liebenswürdig, romantisch. Eine Art Lorelei beim Harzgebirge. Aber am 8. Februar 1944 kam ich da in einen Keller mit etwa 60 Mann, meistens Franzosen. Ich sah einen Franzose, der seinen Namen und das Datum in die Mauer kratzte. Da wurden wir von der Gestapo verwaltet. Nachher gingen wir in das furchtbar schmutzige “Sammellager”. Das war wahrscheinlich improvisiert um einen grossen Strom Flüchtlinge auffangen zu können. Es waren Holländer dabei, die meistens freiwillig für die Organisation Todt arbeiteten, hinter die Ostfront. Es war meistens holländisches Gesindel. Die fürchteten später nicht umsonst die Rache der Russen, und versuchten mit allen Mitteln nach Westen zu gehen und wurden wieder zurück geschickt. Ich hatte mit diesen Landsleuten überhaupt kein Mitleid. Wer freiwillig für die Nazis arbeitete war in meinen Augen ein Verräter.
Schliesslich kam ich im August 1992 zurück nach Hildesheim. Jetzt als Tourist, ich wollte den Weg zurück finden, den ich mit halbgelähmtem Fuss zum Bahnhof gestolpert war. Das war eine Erinnerung an meine Rückkehr ins Leben. Ich hatte es überlebt, aber drei meiner Gefährten aus Salzgitter nicht."
Nach dem Krieg beendete Jan Klompenhouwer sein Ingenieurstudium und arbeitete mit am Wiederaufbau der Energiebetriebe in Den Haag und des Bahnhofs in Rotterdam. Seit 1957 unterichtet er dann an der Höheren Technischen Lehranstalt in Rotterdam.
2006 hat Jan Klompenhouwer seine Erinnerungen an das Lager Watenstedt veröffentlicht.
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Quellen:
Einwohnermeldekarte Klompenhouwer, Stadtarchiv Göttingen, Alte Einwohnerregistratur.
Fragebogen Jan Gerrit Klompenhouwer, 27.7.2003 und Brief 12.8.2002, (überlassen von Günther Siedbürger, mit kleinen Korrekturen der deutschen Grammatik), Stadtarchiv Göttingen, Sammlung 32 - Tollmien.
Jan Klompenhouwer, Das Krankenrevier des "Lagers 21". Erfahrungen aus dem Arbeitserziehungslager Watenstedt (1941-1945), in: Zwangsarbeit und Gesundheitswesen im Zweiten Weltkrieg. Einsatz und Versorgung in Norddeutschland, hg. von Günther Siedbürger und Andreas Frewer, Hildesheim 2006, S. 213-219.