Erinnerungen von weißrussischen Kinderzwangsarbeitern der Aluminiumwerke, geb. 1936 bis 1928, aufgeschrieben im Jahre 2001 |
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Wiedergabe des Fragebogens von Nikolai Iwanowitsch B., geb. 10. Oktober 1932
Nikolai Iwanowitsch B. wurde im März 1944 im Alter von 11 ½ Jahren zusammen mit seiner Familie und gemeinsam mit anderen Bewohnern seines weißrussischen Dorfes nach Deutschland verschleppt. Transportiert wurden sie in einem Güterwagen und landeten nach kurzen Zwischenaufenthalten in verschiedenen Lagern (zunächst auf sowjetischem Gebiet und in Polen, dann in Deutschland) über Chemnitz in Göttingen. Sein Vater, Iwan Wassiljewitsch, geb. 1903, kam nach Kassel, er selbst, seine Mutter Sekleta Iwanowna, geb. 1923, sein Bruder Iwan Iwanowitsch, geb. 1927, und seine Schwester (ihren Namen nannte er nicht) kamen zusammen nach Göttingen in die Aluminiumwerke.
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Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 8. April 1945 wurden die Kinder besonders betreut: "Nach der Befreiung haben uns die Amerikaner gut versorgt, die Kinder wurden durch eine besondere Küche ernährt. Wir zogen in die Kaserne um und wurden von Ärzten behandelt." Nikolaj Iwanowitsch und seine Familie verließen Göttingen daher anders als die meisten anderen "OstarbeiterInnen", die im Zuge der Repratiierungsmaßnahmen Stalins spätestens Mitte Mai aus Göttingen abtransportiert wurden, erst im Juli 1945:
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Bevor sie aus Göttingen weggebracht wurde, ließ die Familie B. noch ein Erinnerungsfoto bei dem Fotografen Blankhorn machen. |
Wiedergabe des Fragebogens von Galina Stepanowa K., geb. 27. Juni 1928
Die Erinnerungen ihrer Schwestern unterscheiden sich kaum von denen Sofijas. Wahrscheinlich haben auch alle drei den Fragebogen gemeinsam ausgefüllt: Galina Stepanowa, geb. 28.6.1928, war die älteste. Sie war bei der Deportation schon fast 16 Jahr alt und galt damit als erwachsen. Sie machte die gleiche Arbeit wie die erwachsenen "Ostarbeiterinnen": "Zuerst arbeitete ich an der Drehbank. Dann wurde ich in die Küche überführt. Dort habe ich Essen für die Gefangenen zurbereitet." Der Chefkoch dort habe sie brutal behandelt. Sie arbeitete 10 Stunden am Tag, auch nachts. Sonntags war auch für die Erwachsenen ein freier Tag. Sie erinnerte sich vor allem an die Wanzen in der Baracke, die ihre beiden jüngeren Schwestern gar nicht erwähnten. An Kleidung habe sie nur gehabt, was sie selbst mitgebracht habe. Das sei immer wieder ausgebessert worden. Zu der Frage nach Krankheiten schrieb sie: " Wegen des Schälens der Kartoffeln hatte ich Risse in der Haut und davon bekam ich eine Infektion an den Händen und konnte einige Zeit nicht arbeiten." Ein Klinikarzt habe sie behandelt. Galina wanderte nach dem Krieg nach Australien aus. |
Wiedergabe des Fragebogens von Tamara Stepanowa K., geb. 22. April 1936
Tamara Stepanowa, geb. 22. April 1936, war die jüngste der drei Schwestern und bei der Deportation erst 8 Jahre alt. Sie machte dieselbe Arbeit wie ihre Schwester Sofija. |
Sie erinnerte sich an 14 Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren (Sofija sprach einmal von 10, dann von über 20 Kindern) und daran, dass nur die Erwachsenen, nicht aber die Kinder Geld bekommen hätten.
Wie Galina und Nikolai Iwanowitsch B. erinnerte auch sie sich nicht an eine Waschgelegenheit in der Baracke.
Auch sie spricht wie ihre Schwester Sofija und Nikolai Iwanowitsch B. von dem Bombenangriff am 1. Januar 1945, als habe er ihr Lager getroffen, und erwähnt auch das Verstecken im Wald bei Alarm.
Wie ihre Schwestern und Nikolai Iwanowitsch B. erinnerte sie sich natürlich an die Franzosen, die ihnen Lebensmittel geschenkt haben. Es gibt sogar ein Foto von ihr mit einem dieser französischen Kriegsgefangenen.
"Zu Essen gab man uns 3 Mal pro Tag, aber das Essen war von sehr schlechter Qualität. Brot 200g pro Tag, für die Kinder war es sehr schwer. […] Wir hatten Hunger. […] Wir waren gezwungen zu betteln. Wir gingen in die Dörfer Wenda und Bowenda [Weende und Bovenden - C.T.] und dort bekamen wir etwas zur Stärkung." Ihre Kleidung habe ausgesehen wie die von "Bettlern".
Auch ihre Gesundheit war durch die Zwangsarbeit dauerhaft geschädigt:
"Als wir nach Hause zurückgefahren sind, erkältete ich mich und bekam eine Gesichtslähmung. Dann wurde ich in ein Lazarett gebracht. Bis heute leide ich unter dieser Krankheit."
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Wiedergabe des Fragebogens von Anastasija Nikolajewna B., , geb. 8. Oktober 1933
Anastasija Nikolajewna B. war bei der Deportation 10 ½ Jahre alt und machte die gleiche Arbeit wie die anderen Kinder: "Keine sehr schwere Arbeit. Wir legten die Schrauben in Ringe und dort lagen Gummi, dann wurde dieses Gummi eingepresst. Ein deutscher Arbeiter fuhr die Ringe ab.[..] Jeden Tag 8 Stunden lang. Sie erinnerte sich an die Namen der anderen Kinder: "Kolja, Wanja, Tamara, Sonja, Nastja, Wassja, Nadja u.s.w." Nach ihrer Erinnerung bekamen die Kinder Geld für ihre Arbeit, für das sie sich allerdings nichts kaufen konnten. Über das Lager schrieb sie:
"Es gab ein Lager bei der Fabrik, an den Namen erinnere ich mich nicht.
[..] Das Lager, in dem wir wohnten, war neben einer Rollbahn. Die Gebäude waren aus Holz.
Anders als die anderen Kinder erinnerte sie sich daran, dass sie bei Bombenangriffen nicht nur in den Wald, sondern auch in den Bunker gelaufen seien: "Tag und Nacht liefen wir in die Bunker, in den Wald, unter die Brücke, aber meistens in den Bunker." Auch in den Erinnerungen des holländischen Zwangsarbeiters ist von einem gesonderen Bunkerraum für die "Russen" die Rede, wobei allerdings nicht ganz klar wird, ob dieser eventuell nur für sowjetische Kriegsgefangene und nicht für die zivilen Ostarbeiter zur Verfügung. Die Kinder und Frauen scheinen dem holländischen Zeitzeugen gar nicht über den Weg gelaufen zu sein. Die Aluminiumwerke waren groß und weitläufig und er selbst schreibt, dass er kaum aus der Halle, in der er gearbeitet habe, herausgekommen sei.
Sowohl die Behandlung durch die Wachmannschaften sei schlecht gewesen als auch durch die Deutschen, mit denen sie arbeiteten: "Das Auftreten war brutal. Uns half keiner." Auch für Anastasija Nikolajewna B. war das Gefühl des ständigen Hungers eine bleibende Erinnerung. Zu essen bekamen sie: "Suppe aus verdorbenem Gemüse ohne Salz, das Brot aus irgend etwas Undefinierbarem, ein Laib für 10 Menschen. Die Suppe 3 Mal pro Tag, Brot - einmal pro Tag." Das Essen hätten sie im Lager bekommen, es sei aus der Russenküche in die Aluminiumwerke gebracht worden: "Suppe und Brot brachte eine Frau mit einem kleinen Wägelchen aus der russischen Küche und verteilte es an uns." "Ja, wir haben gebettelt", und manchmal – selten - hätten sie von den Deutschen etwas bekommen: "Wir baten bei den Deutschen um Brot, Kartoffeln und anderes zum Essen. Sie reagierten verschieden: Einige scheuchten uns fort, die anderen, die Guten, gaben uns etwas zum Essen und waren mitfühlend." Die Kleidung bekamen sie vom Werk: "Unsere Kleidung hatte eine einheitliche Farbe, die Schuhe waren Holzschuhe. Die Kleidung und die Schuhe hat uns ein deutscher Mann gegeben." Auch sie sei einmal krank gewesen und in einer "besonderen Klinik, nur für Russen", von einem Arzt in Uniform behandelt worden. Leider schreibt sie nicht, woran sie erkrankt war, und auch die Uniform des Arztes taucht nur in ihren Erinnerungen auf. Über das Ende ihrer Zwangsarbeit schrieb sie:
"Im Jahre 1945 wurden wir von den Amerikanern befreit. Mit großer Freude, wir weinten und lachten und beteten zu Gott. Wir hatten nicht erwartet, am Leben zu bleiben.
Ihr Leben in der Sowjetunion nach dem Krieg sei sehr schwer gewesen: "In der Schule nannten sie mich "die Faschistin". Wir waren hungrig und fast nackt. Wir hatten keine eigene Wohnung und wohnten bei Fremden." |
Quellen:
Fragebogen Nikolai Iwanowitsch B. (Eingang 31.10.2001), Fragebogen Sofija Stepanowa K. (Eingang 20.1.2001), Fragebogen Galina Stepanowa K. (Eingang 20.5.2001), Fragebogen Tamara Stepanowa K. (Eingang 20.1.2001), Fragebogen Anastasija Nikolajewna B. (Eingang 2.1.2001), Stadtarchiv Göttingen Sa. 32- Sammlung Tollmien.
Bericht 18.4.1944, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3321, Bl. 67 (Abb.).