Erinnerungen von weißrussischen Kinderzwangsarbeitern der Aluminiumwerke, geb. 1936 bis 1928, aufgeschrieben im Jahre 2001

Wiedergabe des Fragebogens von Nikolai Iwanowitsch B., geb. 10. Oktober 1932

Lebensdaten

Nikolai Iwanowitsch B. wurde im März 1944 im Alter von 11 ½ Jahren zusammen mit seiner Familie und gemeinsam mit anderen Bewohnern seines weißrussischen Dorfes nach Deutschland verschleppt. Transportiert wurden sie in einem Güterwagen und landeten nach kurzen Zwischenaufenthalten in verschiedenen Lagern (zunächst auf sowjetischem Gebiet und in Polen, dann in Deutschland) über Chemnitz in Göttingen. Sein Vater, Iwan Wassiljewitsch, geb. 1903, kam nach Kassel, er selbst, seine Mutter Sekleta Iwanowna, geb. 1923, sein Bruder Iwan Iwanowitsch, geb. 1927, und seine Schwester (ihren Namen nannte er nicht) kamen zusammen nach Göttingen in die Aluminiumwerke.

 

Über seine Arbeit schrieb er: "Wir sortierten Schraubenmuttern, Schrauben, Scheiben. Es war wahrscheinlich Luftwaffenproduktion."

Bis auf Sonntag hatten auch die Kinder keinen freien Tag, allerdings mussten sie nicht nachts arbeiten. Alle Kinder im Lager Aluminiumwerke mussten arbeiten.

Nach seinen Erinnerungen wurden die Kinder sogar bezahlt. Nikolai Iwanowitsch spricht von 30 Mark, sagt allerdings nicht für welchen Zeitraum, wahrscheinlich ist monatlich gemeint. Er erinnerte sich daran, dass er sich für das Geld einen halben Laib Brot kaufen konnte: "Der ganze Laib kostete 60 Mark. Für die Deutschen kostete er auf Karten 60 Pfennig, für uns aber 60 Mark." Denkbar ist hier eigentlich nur eine Form von Schwarzhandel. Dass es Schwarzhandel gegeben habe, verneint Nikolaj Iwanowitsch allerdings an anderer Stelle. Es ist allerdings auch möglich, dass er hier die Kriegszeit mit der Nachkriegszeit verwechselt. Denn die Familie verließ Göttingen erst im Juli 1945.

Untergebracht waren die Familien aus Weißrussland im Lager Aluminiumwerke, nach den Erinnerungen von Nikolai Iwanowitsch B. zusammen mit Polen. Er erinnerte sich außerdem an die Baracken für die französischen, die sowjetischen und die italienischen Kriegsgefangenen. Das Lager war nach seinen Erinnerungen von einem 4 Meter hohen Metallzaun mit mehrreihigem Stacheldraht umgeben und es gab einen Wachturm.

Waschgelegenheiten gab es seiner Erinnerung nach nur im Werk selbst, in der Baracke sei eine Toilette gewesen, aber kein Wasser, nur ein Wasserrohr außen. Die anderen ehemaligen Kinderzwangsarbeiter haben da zum Teil andere Erinnerungen.

In der Baracke, in der sie untergebracht gewesen seien, habe es keine erwachsenenen Männer, nur Frauen und Kinder gegeben. Sofija Stepanowa K., die mit Nikolai Iwanowitsch B. deportiert worden war, erinnert sich dagegen sehr wohl an einen Raum in der Baracke, in dem nur Männer untergebracht waren.

Der Lagerführer sei einarmig gewesen: "Er schlug mich oft dafür, dass ich zu den Franzosen ging."

Abgesehen von dem Lagerführer sei die Behandlung in Ordnung gewesen. Insgesamt sei er von den Deutschen, mit denen er gearbeitet habe, gut behandelt worden: "Die Deutschen haben uns geholfen, brachten uns etwas zum Essen mit (Butterbrot, Kaffee)." Dabei ist zu bedenken, dass ein Großteil der deutschen Arbeiter in den Aluminiumwerken am Ende des Krieges durch dienstverpflichtete Frauen ersetzt worden waren und Frauen, nach allem was wir wissen, eher zu solchen kleinen persönlichen Hilfsaktionen bereit waren.

Die größte Hilfe aber bekamen die Kinder von den französischen Kriegsgefangenen: "Die Franzosen gaben uns Lebensmittel, die sie vom Roten Kreuz bekommen hatten."

Die reguläre Verpflegung bestand nach der Erinnerung von Nikolaj Iwanowitsch aus 200 gr Brot und Spinat- und Rübensuppe, die zweimal am Tag ausgeteilt wurde. In der Baracke selbst hätten sie nur Tee gekocht und von dem Lohn eben Brot gekauft. Auf die Frage, ob er gehungert habe, antwortete Nikolaj Iwanowitsch mit einem einfachen "Ja", und auf die Frage "Mußten Sie betteln? Mußten Sie Essen stehlen?": "Ja. (Äpfel). Tamara, Nastja und ich haben sonntags im Dorf Wenda gebettelt."

Kleidung hätten sie von den Deutschen [wahrscheinlich vom Werk] bekommen: getragene Sachen und Holzschuhe.

An den freien Tagen durften sie das Lager verlassen, mussten aber zu einer bestimmten Zeit zurück sein. Und sie erhielten auch Gelegenheit ihrer Landsleute im Lager Schützenplatz zu besuchen.

Fleckfiebermeldung

Nikolaij Iwanowitsch gehörte mit seiner Familie zum dem Transport von 80 "Ostarbeitern", die am 16. März 1944 vom Arbeitsamt Chemnitz den Aluminiumwerken zugewiesen worden war und unter denen es mehrere Fälle von Fleckfieber gab. Besonders gefährdet waren natürlich die Kinder. Auch Nikolaj Iwanowitsch erkrankte:
"Ich war an Typhus erkrankt und wurde als Toter zu den anderen Toten geworfen. Ein sowjetischer Kriegsgefangener hat mich gefunden und ins Lagerkrankenhaus getragen. Ich wurde von einen sowjetischen Kriegsgefangenen, namens Walujew Pjotr Iljitsch aus der Stadt Irkutsk gerettet. Er war selbst krank."
Die Versorgung der Kranken erfolgten in den beiden Seuchenbaracken der Küchenvereinigung. Dort arbeiteten nach den Erinnerungen von Nikolaj Iwanowitsch Landsleute von ihm als Ärzte und Pfleger.

In den Aluminiumwerken selbst habe es aber eine medizinische Versorgungseinrichtung im Keller gegeben, wo Blutanalysen vorgenommen wurden und er auch Vitamine erhalten habe.

Bei Bombenangriffen erlaubte man den Kindern das Lager und das Werksgelände zu verlassen:
"Bei Alarm wurden die Tore des Lagers geöffnet und wir konnten in den Wald (ungefähr 2 km entfernt ) laufen. Nach dem Alarm mußten wir nach 15 min ins Lager zurückkehren."

Erstaunlicherweise erinnern sich sowohl Nikolaj Iwanowitsch als auch die anderen Kinder, die in den Aluminiumwerken arbeiten mussten, nicht an einen Bombenangriff am 9. Februar 1945, der die Aluminiumwerke selbst traf und dem zwei italienische und zwei sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer fielen. Sie erinnern sich aber sehr wohl an den Bombenangriff am 1. Januar 1945 auf das Lager Schützenplatz, bei dem insgesamt über 40 ihrer Landsleute getötet wurden und der in der Erinnerung fast aller ehemaligen Göttinger "Ostarbeiter" fest verankert ist: "Zu Neujahr sind sowjetische Bomben zusammen mit Flugblättern auf das Lager gefallen."
Nach diesem Angriff war Nikolaj Iwanowitsch wohl sogar zu Aufräumarbeiten eingesetzt bzw. ist eventuell gemeinsam mit anderen Zwangsarbeitern der Aluminiumwerke seinen Landsleuten dort zur Hilfe gekommen.
Die genaue Erinnerung an diesen Neujahrsangriff erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass auch der Bombenangriff am 1. Januar 1945 in der Weender Landstraße begann und auch die ganz in der Nähe der Aluminiumwerke gelegene Emilienstraße und die Arndtstraße und dann erst den Güterbahnhof und Schützenplatz traf. Daher haben auch die Zwangsarbeiter im Lager Aluminiumwerke diesen Angriff miterlebt, selbst wenn sie nicht im Lager Schützenplatz waren. Außerdem wurde über diesen Angriff mit seinen mehr als 40 Toten unter den "Ostarbeitern" natürlich viel geredet, und so ein schreckliches Ereignis an so einem markanten Datum ist daher auch nach vielen Jahrzehnten noch immer in der Erinnerung präsent. Denkbar ist eventuell aber auch, dass die Kinder mit ihren Müttern an diesem 1. Januar, der auf einen Sonntag fiel, ihre Landsleute im Lager Schützenplatz besucht haben und den Angriff deshalb tatsächlich miterlebt haben. (siehe dazu die Erinnerungen von Sofija Stepanowa K.).

 

 

Nach dem Einmarsch der Amerikaner am 8. April 1945 wurden die Kinder besonders betreut: "Nach der Befreiung haben uns die Amerikaner gut versorgt, die Kinder wurden durch eine besondere Küche ernährt. Wir zogen in die Kaserne um und wurden von Ärzten behandelt." Nikolaj Iwanowitsch und seine Familie verließen Göttingen daher anders als die meisten anderen "OstarbeiterInnen", die im Zuge der Repratiierungsmaßnahmen Stalins spätestens Mitte Mai aus Göttingen abtransportiert wurden, erst im Juli 1945:
"Wir haben Deutschland im Juli 1945 verlassen. Die Amerikaner übergaben uns den Engländern in der Stadt Salzwedel, und die haben uns den Russen bei der Elbe übergeben. Nach Hause kamen wir im September 1945."

Nachkriegsaufnahme der Familie B. Fotograf Blankhorn

Bevor sie aus Göttingen weggebracht wurde, ließ die Familie B. noch ein Erinnerungsfoto bei dem Fotografen Blankhorn machen.


Wiedergabe des Fragebogens von Sofija Stepanowa K., geb. 25. November 1930

Lebensdaten

Sofija Stepanowna K., war im März 1944 13 ½ Jahre alt und hatte die Schule noch nicht abgeschlossen. Ihre Erinnerungen gleichen sich mit denen von Nikolai Iwanowitsch B. in vielen Punkten.

Über ihre Arbeit in den Aluminiumwerken schrieb sie: "Wir haben hinter Tischen gesessen und mussten Kleinteile auf einer eiserne Platte befestigen. Dann haben wir noch Ringe eingelegt und das in die andere Abteilung zu den Werkmaschinen getragen. Das waren Ersatzteile für Flugzeuge."

Die Kinder arbeiteten bis auf Sonntags täglich von 9 bis 5 Uhr nachmittags; an andere Stelle erwähnt sie allerdings, dass sie schon um 5 Uhr vom Lagerführer zur Arbeit geweckt wurden.

Etwa 10 Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren hätten bei den Aluminiumwerken gearbeitet, an einer anderen Stelle spricht sie sogar von 20 bis 25 Kindern.

Sofija Stepanowa erinnert sich nicht daran, dass die Kinder Geld bekamen. Eine Bezahlung bekamen nach ihrer Erinnerung nur die Erwachsenen und zwar 3 Mark pro Monat. Da es alles nur auf Marken gab, hätten sie sich davon nur Limonade kaufen können. Nikolai Iwanowitsch B. spricht dagegen von 30 Mark und davon, dass sie dafür Brot gekauft hätten. Grundsätzlich sind jedoch diese konkreten Erinnerungen an Zahlen (ob nun die Anzahl der Kinder oder die Höhe der Bezahlung) nach mehr als 50 Jahren sehr unzuverlässig. Richtig erinnert sich Sofija Stepanowa jedoch daran, dass man ihnen das Geld nicht in voller Höhe ausbezahlt, sondern für Unterkunft und Kleidung verrechnet habe.

Vom Lager Aluminiumwerke fertigte sie eine Skizze an: In ihrer Baracke habe es einen Raum nur für Männer gegeben, und einen für die Familien: Frauen mit ihren Kindern. Es habe mehr Frauen als Männer gegeben.

Nach ihrer Erinnerung habe es in der Baracke, anders als dies Nikolai Iwanowitsch B. berichtet hat, eine Waschgelegenheit gegeben.

Sofija Stepanowa bezeichnete die Behandlung, die sie bei der Arbeit erfahren habe, als "hart" und "brutal", aber sie erinnerte sich an die Frauen, die mit ihr arbeiteten und die sie gut behandelten: "Wissen sie was, an die Namen erinnere ich mich nicht. Aber das waren deutsche Frauen, gute und herzliche Frauen und gute Mitarbeiterinnen. Sie haben mir Kämme geschenkt und meine Haare gekämmt." Außerdem habe sie eine deutsche Bekannte gehabt: "Sie hieß Sofija. In meiner freie Zeit habe ich ihr im Garten geholfen. Das war eine gute Frau, ein herzlicher Mensch." Der Garten lag wahrscheinlich in Weende direkt neben dem Werk bzw. Lager.

Auch sie erinnerte sich wie Nikolai Iwanowitsch B. an die überlebenswichtige Hilfe, die vor allem die Kinder von den französischen Kriegsgefangenen erfuhren: "In der Nähe war eine Baracke für Franzosen, sie halfen uns mit Essen, sie gehorchten dem Lagerführer nicht. […] Die Franzosen haben uns vor dem Hunger gerettet."

Nach der Erinnerung von Sofija Stepanowa bestand ihre tägliche Essensration aus: "200 g Brot für Tag und Nacht. Morgens Tee oder Kaffee und Margarine. Mittagsessen: Suppe aus Kohlrüben oder Kohl. Abendessen: dieselbe Suppe. […] In der Stadt war eine Küche, wo das Essen für den Russen vorbereitet wurde. Das Essen wurde ins Lager gebracht. Der Tee wurde in der Fabrik gekocht. […] Wir hatten Hunger. Deswegen gingen meine kleine Schwester und ich in die Gärten und halfen etwas und die Leute haben sich bei uns bedankt. […] Die kleinen Kinder haben gebettelt. Gestohlen haben wir nicht." Einige Deutsche hätten ihnen Äpfel und sogar Brot gegeben.

Kleidung und Schuhe hätten sie in der Fabrik bekommen: "Ich erinnere mich an genähte graue Jacken, das war eine Spezialkeidung. […] In der Fabrik bekamen wir Holzschuhe, aus Segeltuch und Holz."

Nach ihrer Erinnerung war es verboten, das Lager zu verlassen: "Die ganze Zeit waren wir im Lager. Wir durften nirgendwohin gehen. Aus unserer Baracke hat der Lagerführer alle, die nicht unsere Leute waren, vertrieben." Doch Sofija Stepanowa berichtet auch davon, dass sie von Landsleuten aus anderen Lagern besucht worden seien, und sie selbst konnte ja auch einer Deutschen im Garten helfen. Hier überlagert das Gefühl des Eingesperrtseins die Erinnerung an die wenigen Möglichkeiten, sich außerhalb des Lagers zu bewegen.

Unerlaubt in ihre Baracke kamen sowohl die französischen als auch die sowjetischen Kriegsgefangenen: "Ich habe gesehen, wie russische Kriegsgefangene in unseren Zimmer festgenommen wurden. Das hat der Lagerführer befohlen."

Fleckfiebermeldung

In dieser Meldung wurde fälschlich der Vorname Maria statt richtig Sofija angegeben.

Auch Sofija Stepanowa erkrankte wie Nikolai Iwanowitsch B. an Fleckfieber:
Ende April 1944 bin ich an Typhus erkrankt. […] Ja, es gab einen Arzt in der Fabrik, er hat die Diagnose gestellt . Einige Tage war ich ohne Bewusstsein, das war ein schwerer Fall. Dann wurde ich isoliert. […] Ich wurde in ein Krankenhaus in die Umgebung der Stadt gebracht. Dort durfte ich einen Monat lang nicht auf die Strasse zu gehen. […] Es gab eine russische Krankenschwester, Maria. Eine Baracke war für die Typhus-, die andere für die Tuberkulosekranken."

Außerdem fiel Sofjia einmal während der Bombardierungen aus dem Oberbett ihres zweistöckigen Bettes:
"Während der Bombardierung bin ich aus dem Bett gefallen und bekam eine Gehirnerschütterung. Das blieb unbehandelt und die Folgen spüre ich noch heute."

Nach der Erinnerungvon Sofija Stepanowa hinderten sie die Wachmannschaften daran, das Lager bei Bombenangriffen zu verlassen. An anderer Stelle schreibt sie jedoch - wie auch Nikolai Iwanowitsch B. - davon, dass sie sich bei Fliegeralarm im Wald versteckten: "Wir haben uns in dem Wald und im Keller unter der Fabrik versteckt. Bei dem Kampf um die Stadt [beim Einmarsch der Amerikaner – C.T.] sind mehr als eine Stunde lang Bomben auf die Stadt gefallen. Unsere Rettung war immer der Platz unter der Brücke und neben dem Wald." Und noch einmal: " Ein paar Monaten vor der Befreiung wurden wir sehr stark bombardiert. Man konnte nicht zur Arbeit gehen. Also saßen wir unter der Brücke, neben dem Wald, die ganzen Tage und Nächte bis zur Befreiung."

Auch sie erinnerte sich konkret an den Bombenangriff am 1. Januar auf das Lager Schützenplatz, schrieb aber darüber, als sei sie dabei gewesen und als habe die Bombardierung ihr eigenes Lager getroffen. Möglich ist daher, dass sie – und ev. auch Nikolai Iwanowitsch B. – diesen Bombenangriff tatsächlich selbst erlebt haben, weil sie ihre Landsleute an Neujahr besuchten. Der 1. Januar 1945 war ein Sonntag, an dem die "Ostarbeiter" frei hatten: "Am ersten Tag des Neujahrs 1945 wurde unsere Baracke von den Bomben fast zerstört. Es gab Tote und Verletzte. [...] Als unsere Baracke zerstört war, mussten wir den ganzen Schutt wegräumen."

Sie schrieb außerdem auch noch über eine Verletzung ihrer Schwester Tamara während einer der Bombenangriffe: "Außerdem war es noch so: Wir haben gearbeitet, als die Bombardierung begann. Alle Leuten liefen die Treppen hinunter und haben meine 8-jährige Schwester vor sich hergeschoben. Sie ist unter die Füße der laufenden Menschen gefallen. Dann aber haben die Leute das Mädchen auf die Arme genommen und getragen. Ich weiß nicht warum, aber die Wunden an meinen Füßen heilten zwei Jahre nicht. So ist unser Körper getroffen worden. Als Erinnerung an Deutschland sind immer noch Spuren von den Wunden zu sehen."

Auch sie schreibt wie Nikolai Iwanowitsch B., dass sie im Juli 1945 Deutschland verließen. Sie kamen zurück in ein völlig zerstörtes Land: " Unser Vater ist im Krieg gefallen. Bei uns im Dorf stand die Front ein halbes Jahr. Alles war zerstört und verbrannt. Ich wrude krank; meine Füße waren voller Wunden und das zwei Jahre lang: Deutschland erinnerte mich an sich. Ein Jahr habe ich gelernt und dann gearbeitet, um zu überleben. […] Es gab keinen, der für uns gesorgt hat. Alle haben uns Vorwürfe gemacht, dass wir in Deutschland gewesen waren."


Wiedergabe des Fragebogens von Galina Stepanowa K., geb. 27. Juni 1928

Lebensdaten

Die Erinnerungen ihrer Schwestern unterscheiden sich kaum von denen Sofijas. Wahrscheinlich haben auch alle drei den Fragebogen gemeinsam ausgefüllt: Galina Stepanowa, geb. 28.6.1928, war die älteste. Sie war bei der Deportation schon fast 16 Jahr alt und galt damit als erwachsen. Sie machte die gleiche Arbeit wie die erwachsenen "Ostarbeiterinnen":

"Zuerst arbeitete ich an der Drehbank. Dann wurde ich in die Küche überführt. Dort habe ich Essen für die Gefangenen zurbereitet." Der Chefkoch dort habe sie brutal behandelt. Sie arbeitete 10 Stunden am Tag, auch nachts. Sonntags war auch für die Erwachsenen ein freier Tag.

Sie erinnerte sich vor allem an die Wanzen in der Baracke, die ihre beiden jüngeren Schwestern gar nicht erwähnten.

An Kleidung habe sie nur gehabt, was sie selbst mitgebracht habe. Das sei immer wieder ausgebessert worden.

Zu der Frage nach Krankheiten schrieb sie: " Wegen des Schälens der Kartoffeln hatte ich Risse in der Haut und davon bekam ich eine Infektion an den Händen und konnte einige Zeit nicht arbeiten." Ein Klinikarzt habe sie behandelt.

Galina wanderte nach dem Krieg nach Australien aus.


Wiedergabe des Fragebogens von Tamara Stepanowa K., geb. 22. April 1936

Lebensdaten

Tamara Stepanowa, geb. 22. April 1936, war die jüngste der drei Schwestern und bei der Deportation erst 8 Jahre alt. Sie machte dieselbe Arbeit wie ihre Schwester Sofija.

Sie erinnerte sich an 14 Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren (Sofija sprach einmal von 10, dann von über 20 Kindern) und daran, dass nur die Erwachsenen, nicht aber die Kinder Geld bekommen hätten.

Wie Galina und Nikolai Iwanowitsch B. erinnerte auch sie sich nicht an eine Waschgelegenheit in der Baracke.

Auch sie spricht wie ihre Schwester Sofija und Nikolai Iwanowitsch B. von dem Bombenangriff am 1. Januar 1945, als habe er ihr Lager getroffen, und erwähnt auch das Verstecken im Wald bei Alarm.

Wie ihre Schwestern und Nikolai Iwanowitsch B. erinnerte sie sich natürlich an die Franzosen, die ihnen Lebensmittel geschenkt haben. Es gibt sogar ein Foto von ihr mit einem dieser französischen Kriegsgefangenen.

"Zu Essen gab man uns 3 Mal pro Tag, aber das Essen war von sehr schlechter Qualität. Brot 200g pro Tag, für die Kinder war es sehr schwer. […] Wir hatten Hunger. […] Wir waren gezwungen zu betteln. Wir gingen in die Dörfer Wenda und Bowenda [Weende und Bovenden - C.T.] und dort bekamen wir etwas zur Stärkung."

Ihre Kleidung habe ausgesehen wie die von "Bettlern".

Auch ihre Gesundheit war durch die Zwangsarbeit dauerhaft geschädigt: "Als wir nach Hause zurückgefahren sind, erkältete ich mich und bekam eine Gesichtslähmung. Dann wurde ich in ein Lazarett gebracht. Bis heute leide ich unter dieser Krankheit."


Wiedergabe des Fragebogens von Anastasija Nikolajewna B., , geb. 8. Oktober 1933

Lebensdaten

Anastasija Nikolajewna B. war bei der Deportation 10 ½ Jahre alt und machte die gleiche Arbeit wie die anderen Kinder:

"Keine sehr schwere Arbeit. Wir legten die Schrauben in Ringe und dort lagen Gummi, dann wurde dieses Gummi eingepresst. Ein deutscher Arbeiter fuhr die Ringe ab.[..] Jeden Tag 8 Stunden lang.

Sie erinnerte sich an die Namen der anderen Kinder: "Kolja, Wanja, Tamara, Sonja, Nastja, Wassja, Nadja u.s.w."

Nach ihrer Erinnerung bekamen die Kinder Geld für ihre Arbeit, für das sie sich allerdings nichts kaufen konnten.

Über das Lager schrieb sie: "Es gab ein Lager bei der Fabrik, an den Namen erinnere ich mich nicht. [..] Das Lager, in dem wir wohnten, war neben einer Rollbahn. Die Gebäude waren aus Holz.
[…]
Der Lager wurde bewacht. Der Lagerführer trug einen schwarzen militärischen Anzug, auf der Mütze war ein Schädel. Er hatte nur einen Arm und war sehr brutal.
[..] Rings ums Lager war ein Metallzaun, und oben drauf war Stacheldraht."

Anders als die anderen Kinder erinnerte sie sich daran, dass sie bei Bombenangriffen nicht nur in den Wald, sondern auch in den Bunker gelaufen seien: "Tag und Nacht liefen wir in die Bunker, in den Wald, unter die Brücke, aber meistens in den Bunker."

Auch in den Erinnerungen des holländischen Zwangsarbeiters ist von einem gesonderen Bunkerraum für die "Russen" die Rede, wobei allerdings nicht ganz klar wird, ob dieser eventuell nur für sowjetische Kriegsgefangene und nicht für die zivilen Ostarbeiter zur Verfügung. Die Kinder und Frauen scheinen dem holländischen Zeitzeugen gar nicht über den Weg gelaufen zu sein. Die Aluminiumwerke waren groß und weitläufig und er selbst schreibt, dass er kaum aus der Halle, in der er gearbeitet habe, herausgekommen sei.

Sowohl die Behandlung durch die Wachmannschaften sei schlecht gewesen als auch durch die Deutschen, mit denen sie arbeiteten: "Das Auftreten war brutal. Uns half keiner."

Auch für Anastasija Nikolajewna B. war das Gefühl des ständigen Hungers eine bleibende Erinnerung. Zu essen bekamen sie: "Suppe aus verdorbenem Gemüse ohne Salz, das Brot aus irgend etwas Undefinierbarem, ein Laib für 10 Menschen. Die Suppe 3 Mal pro Tag, Brot - einmal pro Tag." Das Essen hätten sie im Lager bekommen, es sei aus der Russenküche in die Aluminiumwerke gebracht worden: "Suppe und Brot brachte eine Frau mit einem kleinen Wägelchen aus der russischen Küche und verteilte es an uns."

"Ja, wir haben gebettelt", und manchmal – selten - hätten sie von den Deutschen etwas bekommen: "Wir baten bei den Deutschen um Brot, Kartoffeln und anderes zum Essen. Sie reagierten verschieden: Einige scheuchten uns fort, die anderen, die Guten, gaben uns etwas zum Essen und waren mitfühlend."

Die Kleidung bekamen sie vom Werk: "Unsere Kleidung hatte eine einheitliche Farbe, die Schuhe waren Holzschuhe. Die Kleidung und die Schuhe hat uns ein deutscher Mann gegeben."

Auch sie sei einmal krank gewesen und in einer "besonderen Klinik, nur für Russen", von einem Arzt in Uniform behandelt worden. Leider schreibt sie nicht, woran sie erkrankt war, und auch die Uniform des Arztes taucht nur in ihren Erinnerungen auf.

Über das Ende ihrer Zwangsarbeit schrieb sie: "Im Jahre 1945 wurden wir von den Amerikanern befreit. Mit großer Freude, wir weinten und lachten und beteten zu Gott. Wir hatten nicht erwartet, am Leben zu bleiben.
[…]
Nach einen Monat wurden wir von den amerikanischen Behörden den Russen übergeben und die fuhren uns in die Stadt Berjosa. Von dieser Stadt fuhren wir weiter so wie jeder es konnte."

Ihr Leben in der Sowjetunion nach dem Krieg sei sehr schwer gewesen: "In der Schule nannten sie mich "die Faschistin". Wir waren hungrig und fast nackt. Wir hatten keine eigene Wohnung und wohnten bei Fremden."


Quellen:

Fragebogen Nikolai Iwanowitsch B. (Eingang 31.10.2001), Fragebogen Sofija Stepanowa K. (Eingang 20.1.2001), Fragebogen Galina Stepanowa K. (Eingang 20.5.2001), Fragebogen Tamara Stepanowa K. (Eingang 20.1.2001), Fragebogen Anastasija Nikolajewna B. (Eingang 2.1.2001), Stadtarchiv Göttingen Sa. 32- Sammlung Tollmien.

Bericht 18.4.1944, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 122 a Nr. 3321, Bl. 67 (Abb.).

 


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