NS-Zwangsarbeiter: Sowjetische Kriegsgefangene

Da die entsprechenden Wehrmachtsunterlagen nicht erhalten sind, ist die Überlieferung zu den sowjetischen Kriegsgefangenen sehr lückenhaft. Wir wissen daher wenig über deren Lebensbedingungen und kennen auch nur einige ihrer Einsatzorte. Es ist auch nicht bekannt, wann genau nach dem wissentlich in Kauf genommenen Massensterben der sowjetischen Gefangenen (60 % der bis Ende 1941 in deutsche Gefangenschaft geratenen über 3,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen kamen ums Leben) und der erst Ende Oktober 1941 getroffenen Entscheidung, sowjetische Kriegsgefangene nun doch in Deutschland als Arbeitskräfte einzusetzen, erstmals sowjetische Kriegsgefangene in Göttingen arbeiteten bzw. überhaupt in der Stadt waren. Es ist aber anzunehmen, dass dies schon Ende 1941 der Fall war, denn es gibt eine Meldung über sechs im Jahr 1941 an die Göttinger Anatomie übergebene Leichen von Kriegsgefangenen aus dem Lager Lohberg, bei denen es sich nur um sowjetische Kriegsgefangenen handeln kann.

Erstmals explizit aktenkundig wurden sowjetische Kriegsgefangene in Göttingen im April 1942, als Stadtbaudirektor Otto Frey durch persönliche Vermittlung erreichte, dass das Heeresbauamt als "Ersatz" für die am 26. März 1942 deportierten 19 Juden der Göttinger "Judenkolonne", die von Frühjahr 1941 bis zum 20. März 1942 als Zwangsarbeiter der Firma Drege für das Bauamt Hochwasserschäden an der Leine beseitigt hatten, zehn sowjetische Kriegsgefangene zur Verfügung stellte, die dort allerdings nur 10 Tage arbeiteten.

Kein Foto

Es gibt kein Foto von sowjetischen Kriegsgefangenen in Göttingen!

Diese Kriegsgefangenen waren im Lager Lohberg untergebracht, wo sich wohl schon Ende 1941, spätestens aber seit April 1942 neben dem Lager für französische auch ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene befand. Ein weiteres Lager für sowjetische Kriegsgefangene unterhielten spätestens seit November 1942, wahrscheinlich aber schon früher, die Aluminiumwerke.

Im Lager der Aluminiumwerke starben allein im November und Dezember 1942 mindestens 15 Gefangene (die Sterbelisten der Friedhofsverwaltung sind diesbezüglich offensichtlich nicht vollständig). Auch im Lager Lohberg, wo spätestens seit April 1942 ebenfalls sowjetische Kriegsgefangene untergebracht waren, hatte es im August 1942 eine Reihe von Toten gegeben. Die Friedhofsverwaltung beschwerte sich bei der Lagerverwaltung der Wehrmacht, weil die Leichen nackt (ohne Sarg und Decke) "angeliefert" worden seien. Dies wurde allerdings nur deshalb moniert, weil sich zufällig anwesende (deutsche) Friedhofsbesucher daran hätten stören können. Siehe dazu auch die Ablieferung von Leichen an die Göttinger Anatomie.

Die Kriegsgefangenen aus dem Lager Lohberg arbeiteten ebenso wie diejenigen im Lager der Aluminiumwerke in den Jahren 1942 und 1943 zeitweise in einer städtischen Entladekolonne, die mit dem Entladen von Kohlewaggons für das Gaswerk beschäftigt war, und sowjetische Kriegsgefangene waren sowohl 1942, als auch im April 1944 für das Bauamt kurzzeitig beim Ausheben von Deckungsgräben eingesetzt. Sowjetische Kriegsgefangene arbeiteten auch im städtischen Forstamt.

Außerdem waren natürlich bei der Reichsbahn sowjetische Kriegsgefangene im Einsatz (ein Lager befand sich in Geismar, im Saal der Gastwirtschaft Engelhardt und ein weiteres - allerdings nur kurzzeitig - im Groner Hof)

Ein Kommando vom Lohberg (zwischen 40 und 50 Mann) arbeitete wahrscheinlich seit Sommer 1942 bei Feinprüf. Auch einer der Gefangenen aus diesem Kommando starb im Dezember 1942, und es gibt außerdem die Nachkriegsaussage eines deutschen Arbeiters, nach der bei Feinprüf die russischen Kriegsgefangenen von einem dort tätigen Vorarbeiter regelmäßig blutig geschlagen und mit Reißnägeln ins Gesäß gestochen worden seien.
Nach einem Runderlass Görings vom 23.1.1943 waren die Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft von über 500 Köpfen verpflichtet, Aufräumtrupps und Bauhilfstrupps zur Beseitigung von Bombenschäden aufzustellen. Dabei waren in erster Linie Ausländer und Kriegsgefangene einzusetzen. Für die Firma Feinprüf arbeiteten nachweislich vor allem sowjetische Kriegsgefangene in diesem Bautrupp.
 
 

 

Siehe dazu NS-Zwangsarbeiter: Fotos

 

Aktennotiz vom 3.12.1942 über die Beschwerde der Stadt Göttingen beim Kriegsgefangenenlager Lohberg wegen der "Anlieferung" nackter Leichen. (Stadtarchiv Göttingen Grünflächenamt C 83 Nr. 156, Bl. 24). Siehe dazu auch Ablieferung von Leichen an die Göttinger Anatomie.

Insgesamt arbeiteten von April 1942 bis Kriegsende in der Stadt Göttingen (einschließlich Geismar, Grone und Weende) wahrscheinlich etwa 2000 sowjetische Kriegsgefangene. Siehe dazu die Überlegungen zur Gesamtzahl der Kriegsgefangenen in Göttingen.

Unterbringung/Lager:

  • Spätestens seit April 1942 gab es auf dem Lohberg auch ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene,
  • und spätestens seit November 1942 auch bei den Aluminiumwerken. Nach einer Angabe aus dem Jahre 1949 befanden sich am Ende des Krieges noch 280 sowjetische Kriegsgefangene in diesem Lager.
  • Die Reichsbahn unterhielt ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene in Geismar, im Saal der Gastwirtschaft Engelhardt und ein weiteres - allerdings nur kurzzeitig - im Groner Hof.


    Liste der sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Göttingen

    Ablieferung von Leichen an die Göttinger Anatomie

    Beerdigung von sowjetischen Kriegsgefangenen unter entwürdigenden Bedingungen

    Hohe Sterblichkeit im Lager Lohberg

    Hohe Sterblichkeit im Lager Alumniniumwerke

    Zur Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen in einem der großen Sammellager, in dem sie vor ihrem Einsatz in Göttingen untergebracht waren, siehe auch die Erinnerungen ehemaliger Zwangsarbeiter von Rube & Co. Und zu der Tatsache, dass in der Bevölkerung sehr wohl bekannt war, dass man die sowjetischen Kriegsgefangenen willentlich hatte verhungern lassen, siehe das Tagebuch von Hermann Stresau (Eintrag 28.2.1945)


  • Quellen:

    Nachweisung über die im Kalenderjahr 1942, 1943 und 1944 an das Anatomische Institut abgelieferten Leichen 18.1.1943, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Hann 122a Nr. 3360, Bl. 2 ff.

    2 Aktennotizen 4.7.1942, Stadtarchiv Göttingen, Bauamt Abt. I Fach 2 Nr. 34, o. P.

    Reservelazarett an Städtischen Friedhof o.D., Stadtarchiv Göttingen Grünflächenamt C 83 Nr. 156, Bl. 19, Bl. Bl. 22 ff., Bl. 26, Bl.31.
    Lageraufnahme Belgischer Suchdienst 1949, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover, Nr. 1486, 1449, 1447, 1418.

    Aussagen 26.6.1946, 17.1.1947, Entnazifizierungsakte, Niedersächsisches Haupt- und Staatsarchiv Hannover Nds. 171 Hildesheim Nr. 19651.

    Runderlass Göring 23.1.1943, Zusammenstellung der Aufräumungstrupps (A-Trupps) und der Bauhilfstrupps (B-Trupps) der Göttinger Betriebe mit einer Belegschaft über 500 Köpfen, o. D. [10.4.1943], Aerodynamische Versuchsanstalt an Oberbürgermeister 7.3.1944, Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45, o.P.
    An das Landesarbeitsamt Hannover 14.12.1943, zur Kenntnis an Frey, unterzeichnet mit Ra., Stadtarchiv Göttingen Bauamt Abt. I Fach 1 Nr. 45a Bd. 3, o.P.

    Literatur:

    Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880-1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Berlin / Bonn 1986, 134-139.

    Rolf Keller, "Russenlager" – Sowjetische Kriegsgefangene in Bergen-Belsen, Fallingbostel Oerbke und Wietzendorf, in: Hans-Heinrich Nolte (Hg.), "Der Mensch gegen den Menschen" – Überlegungen und Forschungen zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion, Hannover 1992, S. 111-136, hier S. 124-136.

    >Cordula Tollmien, Zwangsarbeiter in Ämtern, Dienststellen und Betrieben der Göttinger Stadtverwaltung während des Zweiten Weltkriegs (Fassung ohne Namensnennungen), Göttingen Dezember 2000, (Manuskript im Stadtarchiv Göttingen), S. 29-36. (Judenkolonne); Dies., Stadtverwaltung, 2000, S. 29-36 ("Judenkolonne"), S. 48 (Tote), S. 36, 40, S. 46 f. (Arbeitseinsatz).
     


     Impressum